Wann ist im Krieg jemand Zivilist?

Nicht so einfach, wie man es sich vorstellt

Ich wurde am Dienstag, den 05.04.22, gefragt, „wer eigentlich während eines Krieges ein Zivilist ist. Jemand der keine Uniform trägt? Per se Frauen und Kinder? Und wenn z.B. ein Kind bewaffnet ist, eine Frau eine Brandbombe wirft? Oder ein Soldat der keine Uniform trägt?
Die Frage wurde vorab auf der Facebook Fanpage beantwortet.


Genau das ist die Frage. Das ist nämlich nicht so eindeutig, wie viele es sich vorstellen. Umso weniger, wenn Waffen an Zivilisten verteilt werden. Und was viele Menschen wohl nicht verstehen.
Ich versuche es sehr vereinfacht zu erklären.

Für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (korrekte Bezeichnungen) ist entscheidend, ob die Handlung militärisch gerechtfertigt ist. Und ob mögliche zivile Opfer angemessen sind.

Das kann beispielsweise – wie in Jugoslawien – sein, dass eine Brücke beschossen wird. Und wenn gerade ein „ziviler“ Zug auf der Brücke ist, dann ist das halt Pech. So hart, so realistisch.
Ich wurde auf der Facebook Fanpage bereits in eine Diskussion verwickelt, weil „zivile“ Bahnhöfe bzw. Gleise beschossen wurden. Gleise gehören zur fundamentalen Infrastruktur, über die Waffen transportiert werden. Sie gehören zu den „Secondary Targets“ nach der ersten Welle. Ebenso Rundfunkeinrichtungen, Treibstoffdepots, Tankstellen, Häfen, Flughäfen und so weiter. Selbst Straßen, auf denen Flugzeuge landen könnten.
Ich selber habe zu einem Team gehört, dass solche Ziele u.a. in Sowjet-Lettland aufgeklärt hat.

Das ist gängige Praxis auf der ganzen Welt. Egal ob USA, Deutschland, Russland, Ukraine… Kein Gericht würde es als Kriegsverbrechen beurteilen, wenn bei dem Angriff auf eine solche Infrastruktur Zivilisten sterben.
Die gleiche Logik findet im Einzelfall statt. Es ist immer zu beurteilen, ob der militärische Nutzen eventuelle zivile Opfer rechtfertigt.

Ein deutscher Wachsoldat muss beispielsweise immer beurteilen, ob der Demonstrant vor der Kaserne einfach nur ein Demonstrant ist, oder ob er die Kaserne angreifen würde. Ob er ihn gewähren lässt, festnimmt oder erschießt. Deshalb sagt man bei der Bundeswehr „Die Wache steht immer mit einem Bein im Knast.“ Denn beurteilt er das falsch, kann er später dafür bestraft werden.

Für die Beurteilung, ob eine Tat ein Kriegsverbrechen ist, ist also weniger entscheidend, ob das Opfer „Zivilist“ ist. Sondern ob es eine entsprechende Rechtfertigung gibt.

Nähert sich jemand einem militärischen Posten (Straßensperre etc.) und verhält sich auffällig – bleib auf Anweisung nicht stehen oder ähnliches – muss der Posten davon ausgehen, dass die Person den Posten angreifen will (Selbstmordattentat). Dafür ist unerheblich, ob es eine zivil gekleidete Frau oder ein Kind ist. (Wie bereits mehrfach in Israel, Afghanistan u.a. geschehen.)

Haben Soldaten aber beispielsweise Unbewaffnete kontrolliert und/oder festgenommen und erschießen sie dann, ist das ein Kriegsverbrechen. Was auch unter (westlichen) Soldaten als das Verabscheuungswürdigste gilt, was man machen kann.

Die landläufige und moralische Unterscheidung zwischen Zivilisten und Soldaten, welche die meisten sicher im Kopf haben, hat also gar nichts mit der Realität und Rechtslage zu tun. Umso weniger in Zeiten, in denen so genannte Zivilisten auch Sprengladungen unter der Kleidung tragen oder bewaffnete Drohnen fernsteuern können. Es ist viel komplizierter und einzelfallabhängig.

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