„Was ist denn im Sudan los?“

Warlords und Kolonialismus

Seit Tagen berichten die Medien über anhaltende Kämpfe im Sudan. Nun kommen häufiger Fragen, was denn im Sudan los sei. Eine kurze Übersicht.

Der Sudan liegt südlich von Ägypten. Sein Vorläufer, das Land Kusch, herrschte sogar etwa 50 Jahre über Ägypten. Im Sudan gibt es reiche Goldvorkommen, die bereits von den Pharaonen ausgebeutet wurden.

Nach der Amtssprache Englisch ist Arabisch die zweite Amtssprache und die häufigste Alltagssprache. Der Sudan hat etwa 45 Millionen Einwohner, von denen die meisten sich als arabischstämmig bezeichnen.

Doch anders als man nun erst einmal glauben sollte, geht es bei den aktuellen kämpfen nicht um religiöse oder ethnische Konflikte. Es geht ausschließlich um Macht.
Um es salopp zu sagen: Der gesamte Sudan ist seit Jahren ein einziges Chaos.

Ägypten, Türkei und England

Die Geschichte des Sudan ist bis heute eng mit der Geschichte Ägyptens verbunden. Im frühen 19. Jahrhundert eroberten von Norden entlang des Nils vordringende ägyptisch-türkische Truppen das Land und gründeten die heutige Hauptstadt Khartum.

Während der Kolonialisierung besetzte Großbritannien auch Ägypten, und so kam auch der Sudan unter britische Kontrolle. Nach einem Streit mit Frankreich wurde es 1882 endgültig durch Großbritannien besetzt.
Es kam zu einer Einigung mit Ägypten und so wurde der Sudan offiziell Teil Ägyptens unter britischer Kontrolle. Es gab mehrere Aufstände.

1956 wurde der Sudan unabhängig. Er wurde teil der arabischen Liga und schritt langsam Richtung Demokratie. Was wiederum durch mehrere Putsche unterbrochen wurde. Es sollten noch mehr folgen.

Umar al-Baschir

Umar al-Baschir hatte im Jom-Kippur-Krieg 1973 auf ägyptischer Seite gegen Israel gekämpft. Zurück im Sudan legte er eine Steile Karriere beim Militär hin.
Im Juni 1989 putschte al-Baschir mit einer Gruppe Offiziere und wurde zum Diktator, der sich 30 Jahre lang halten konnte.

Dennoch gab es weiterhin ständig Aufstände im Land. Der größte war sicher der Dafur-Konflikt im Süden des Sudan. Für das Vorgehen gegen den Aufstand läuft gegen al-Baschir inzwischen wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Haftbefehl des internationalen Strafgerichts in Den Haag. Dagegen protestierten unter anderem Russland und China.

Den Sudan baute al-Baschir zu einem streng muslimischen Staat aus, was vielen im Süden des Landes jedoch nicht passte. Obwohl auch der islamisch geprägt ist.
2011 kam es durch ein Referendum zur Abspaltung des Südsudan, die von al-Baschir anerkannt wurde. Dort gilt inzwischen die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau, das Frauenwahlrecht und so weiter.

Abspaltung des Südsudan

Nachdem al-Baschir angekündigt hatte nicht mehr zur Wahl anzutreten, trat er 2015 dann doch erneut zur Wahl an und gewann diese mit 94%.

Beim nächsten Militärputsch 2019 wurde er dann jedoch abgesetzt. Allerdings befindet er sich bis heute im Sudan.
Bei dem Putsch gerieten wiederum militärische und zivile Kräfte aneinander, wobei etwa 100 der zivilen Oppositionellen erschossen wurden.

Von der Abspaltung des Südsudan bis zu dem Putsch hatte es im Grunde durchgehend Proteste gegeben. Teilweise sind Millionen Menschen auf die Straße gegangen.
Auch danach kam es immer wieder zu Unruhen. Bei Protesten gegen die schleppenden Verhandlungen schoss das Militär auf die unbewaffneten Demonstranten, es kam zu dutzenden Toten und weit mehr verletzten.

In diesem Chaos stachen zwei Militärs hervor, die beide zuvor bereits zur Führung unter al-Baschir gehört hatten. Und zwischen denen eskaliert nun der Konflikt.

Die zwei Nachfolger

Auf der einen Seite ist Abdel Fattah Burhan, der derzeitige offizielle Präsident und General des Sudan. Er befehligt die offiziellen Streitkräfte.

Auf der anderen Seite ist Mohammed Hamdan „Hemeti“ Daglo, sein Stellvertreter. Der befehligt die Rapid Support Forces. Das ist eine paramilitärische Einheit, die von dem langjährigen Diktator al-Baschir gegründet wurde. Sie kämpfte auch schon in Libyen, im Jemen und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für das Massaker an Demonstranten 2019 verantwortlich.

Nun ist die Frage, warum der Konflikt zwischen diesen beiden semi-offiziellen Warlords ausgerechnet jetzt ausgebrochen ist. Einige rechtspopulistische Accounts versuchten sehr schnell, eine Verbindung zu einer gerade genehmigten russischen Marinebasis herzustellen. Und so zu implizieren, die CIA hätte ihre Finger im Spiel.

Doch solche Verschwörungsmythen sind völlig überflüssig, wenn man sich einmal die Geschichte und die letzten Jahre des Sudan anguckt.
Man könnte fast fragen, warum es überhaupt so lange gut gegangen ist. Doch es ist ja gar nicht gut gegangen.

Die naheliegendste Erklärung ist laut Ockhams Rasiermesser fast immer auch die zutreffende:
Nach langen Verhandlungen zwischen Zivilen Oppositionellen und den beiden Warlords wurde im Dezember 2022 beschlossen, die Macht an zivile, demokratisch orientierte Kräfte abzugeben.
Sie steckten also in einer Situation kurz vor einem Schachmatt: Hätte einer von beiden die Macht abgegeben, hätte der andere unweigerlich die Macht behalten.

Spätfolge des Kolonialismus

In meinen Augen ist der Sudan ein Paradebeispiel für die Spätfolgen des Kolonialismus. Der Sudan ist seit Jahrzehnten in inneren Machtkämpfen zerrissen. Da die Kolonialmächte sich nie darum gekümmert haben, eine irgendwie geartete, gefestigte Staatsform zu hinterlassen. Ganz ähnliche Machtkämpfe sieht man in Ägypten.

Derzeit gehe ich davon aus, dass diese Kämpfe nicht nur lange anhalten werden. Sondern dass sie sich auch zu einem handfesten Bürgerkrieg ausweiten. Den beiden Warlords gehören Unternehmen, Banken und Goldminen. Sie haben also das Kapital, um einen solchen Bürgerkrieg am Laufen zu halten.

Doch es ist noch um einiges heikler.
Ägypten unterhält im Sudan Militärbasen. Und offenbar werden inzwischen ägyptische Soldaten von Hemetis Rapid Support Forces festgehalten. Ägypten hat also ein Interesse an dem Konflikt.
Hemeti hat wiederum Kontakte zu den Wagner-Söldnern des Milliardärs Prigoschin, der im Sudan von Wagnerianern geschützte Goldminen unterhält.

Wie laut Washington Post berichtet, enthüllen Dokumente der Ukraine Leaks, dass Ägypten kurz davor stand Raketen an Russland zu liefern. Sich nun aber dazu entschlossen hat Artilleriemunition für die Ukraine zu liefern.
Eine große Gefahr besteht auch darin, dass Kräfte in diesem Chaos versuchen könnten, den Südsudan wieder an den Sudan anzuschließen.

Inzwischen wurden weite Teile der Wasserversorgung und der Kommunikation in Khartum zerstört. Bis heute gab es etwa 270 Tote. Die Menschen sitzen in ihren Kellern und warten darauf, dass die Kämpfe zwischen den Warlords aufhören.

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