Die Fabel vom Fuchs, dem Hasen und der Meinungsfreiheit

Die traurige Geschichte von Fritz Buck und N. Utzer

Fritz Buck hat einen Kiosk in einem Dorf in der deutschen Pampa.
Eines Tages kommt Niels Utzer in seinen Kiosk und fragt, ob er ein Plakat für das nächste Spiel seiner Fußballmannschaft ins Fenster hängen darf.
„Gerne,“ sagt Fritz „Sie können es in meinem Schaufenster veröffentlichen. Aber dann machen wir einen Vertrag.“
Niels lacht ungläubig. „Sie wollen, dass ich dafür zahle?“
„Irgendwie schon.“ sagt Fritz. „Aber sie müssen mir kein Geld geben. Sie müssen mir nur Ihre persönlichen Daten geben. Und wenn sie im Supermarkt gegenüber einkaufen, dann schicken die mir eine Kopie Ihres Kassenbelegs. Mehr nicht. Dann können sie etwas in mein Schaufenster hängen.“
„Och,“ sagt Niels „das ist gebongt.“
Sie schütteln sich die Hände und haben einen Vertrag geschlossen.

Das geht einige Wochen gut. Niels hängt vor jedem Spiel ein neues Plakat ins Schaufenster des Kioskes. Und weil alle Dorfbewohner irgendwann mal etwas bei dem Kiosk kaufen, sehen es alle und die Zuschauer werden immer mehr.

Doch bei einem Spiel gegen die Mannschaft aus dem Nachbardorf gibt es ein böses Foul. Und sie gewinnt auch noch. Deshalb ist Niels sehr wütend. Er macht ein Plakat auf dem steht „Im Nachbardorf sind alle doof!“ und hängt es im Kiosk ins Schaufenster.
Als er am nächsten Tag an dem Kiosk vorbeigeht, ist sein Plakat verschwunden. Sauer stellt er Fritz zur Rede.

„Was ist mit meinem Plakat?“
„Das habe ich abgenommen.“ sagt Fritz. „Hier kaufen manchmal auch Leute aus dem Nachbardorf ein. Sowas kann ich natürlich nicht erlauben.“
Da wird Niels erst richtig sauer. „Was ist mit meiner Meinungsfreiheit?“ sagt er aufgebracht.
„Was soll damit sein?“
„In diesem Staat gilt die Meinungsfreiheit. Ich darf sagen, was ich will!“

Fritz schaut ihn unverständig an.
„Nun,“ sagt er geduldig „zunächst dürfen sie nicht alles sagen, was Sie wollen. Das hat nämlich Grenzen. Und außerdem ist das in diesem Fall gar nicht anwendbar.“
„Wie, nicht anwendbar?“ Niels wird immer wütender. „Wie kann ein Gesetz nicht anwendbar sein? So etwas gibt es nicht.“

Fritz atmet tief durch.
„Haben Sie die Geschichten gehört, als hier im Dorf, am Ende der Straße, die Gestapo stationiert war?“
Niels ist perplex.
„Damals reichte es schon, wenn man den Eindruck vermittelte, dass man das Dritte Reich doof findet. Dann konnte man verhört, gefoltert oder Schlimmeres werden. Und deshalb haben die Gründer dieses Staates ganz vorne in die Verfassung geschrieben, dass man für seine Meinung nicht vom Staat bestraft werden kann.“
„Sehen sie?“ Niels sieht sich bestätigt. „Also doch Meinungsfreiheit!“
„Ja natürlich. Aber gegen den Staat. Sie dürfen dafür nicht von der Polizei verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden. Aber ich bin ja nicht der Staat. Ihre Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass Sie einfach alles in mein Schaufenster hängen dürfen, was Sie wollen. Sie können gerne auf den Dorfplatz gehen und da allen erzählen, dass alle im Nachbardorf doof sind. Davon wird Sie niemand abhalten. Sie dürfen auch einen eigenen Kiosk eröffnen und Ihre Plakate da ins Schaufenster hängen. Aber eben nicht in mein Schaufenster. Es ist nämlich mein Recht und meine Freiheit zu bestimmen, was in meinem Schaufenster hängt.“

„Das ist Zensur!“ schreit Niels. Aber Fritz bleibt ganz ruhig.
„Das Wort benutzen viele so. Ich weiß. Aber eigentlich ist Zensur auch nur das, was ein Staat macht. Und dieser Staat hat sich selber verboten zu zensieren, was andere veröffentlichen. Genau wie er sich verboten hat, Menschen für ihre Meinung ins Gefängnis zu stecken. Er hat aber Schaufensterbesitzern nicht verboten, Plakate abzunehmen.
Und außerdem dürften Sie ja gar nichts aufhängen, wenn wir keinen Vertrag hätten. Und keinen Vertrag zu haben kann ja keine Zensur sein. Sonst könnten mich ja alle verklagen, nur weil ich ein Schaufenster habe. Wäre das so, würde ich mein Schaufenster lieber zerschlagen.“
„Dann verklage ich Sie halt!“ sagt Nils überlegen.
„Das können Sie ja gerne versuchen.“ sagt Fritz gelassen „Aber jeder Anwalt wird ihnen sagen, dass es dafür gar kein Gesetz gibt. Sie können mich gar nicht wegen Meinungsfreiheit verklagen. Es geht einfach nicht. Ich kann Ihre Meinungsfreiheit gar nicht unterdrücken. Auch, wenn Sie das glauben.“ Fritz zuckt mit den Schultern.

„Aber es hat schon Prozesse gegen Ladenbesitzer wie Sie gegeben, weil sie Plakate nicht aufgehängt haben!“
„Jaha,“ erwidert Fritz lachend „das war aber nicht wegen der Meinungsfreiheit. Sondern wegen Vertragsrecht. Die Anwälte von denen haben einfach gesagt, dass sie Plakate unrechtmäßig abgehängt haben. Weil sie in ihrem Vertrag vorher nicht genau erklärt haben, was man nicht aufhängen darf. Oder nicht erklärt haben, warum sie ein Plakat abgehängt haben.“
„Sehen Sie!“
„Nein, nein,“ sagt Fritz „das ist etwas völlig anderes. Und viel gebracht hat es denen auch nicht. Sie müssen dafür sogar Kosten tragen und wenn sie verlieren sogar die Kosten des Schaufensterbesitzers und die Gerichtskosten. Das machen also nur Leute, die sich dadurch etwas anderes versprechen. Mir ist das egal, ich bin dagegen versichert und habe einen guten Anwalt. Ich lerne dadurch höchstens, wie ich den nächsten Vertrag noch sicherer mache.“

Niels überlegt kurz. „Sie meinen also, ich habe hier gar keine Meinungsfreiheit?“
„Im Grunde schon. Die haben Sie ja überall. Sie werden ja auch hier nicht wegen Ihrer Meinung von der Polizei verhaftet. Aber in unserem Vertrag, in unserem Rechtsverhältnis, haben Sie keine Meinungsfreiheit. Einfach, weil es sie da gar nicht gibt. Wie ich gesagt habe: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“
„Aber Sie und der Supermarkt sind die einzigen, die hier im Dorf ein Schaufenster haben. Ich bin also gezwungen mich an Ihre Regeln zu halten, wenn ich ein Plakat aufhängen will.“
„Ja, das stimmt. Das ist ein Problem am Schaufenstermonopol. Und dagegen muss man auch etwas machen. Aber das Recht am eigenen Schaufenster ist nun einmal wichtiger. Deshalb ist das sehr schwer. Und deshalb ändert das auch nichts.“

„Ich habe keine Meinungsfreiheit, das ist der größte Schwachsinn, den ich jemals gehört habe!“
„Ich befürchte eher, dass der größte Schwachsinn der ist, wie Sie Meinungsfreiheit bisher verstanden haben.“ sagt Fritz mitleidig lächelnd. „Was Sie meinen ist ein Recht auf Veröffentlichung. Das haben Sie auch. Aber eben nur, wenn Sie etwas selber veröffentlichen. Sie verwechseln das Recht auf Veröffentlichung in meinem Schaufenster mit dem Recht auf Meinungsfreiheit.“

Und die Moral von der Geschichte: Wer war hier wohl der Fuchs? Fritz Buck oder N. Utzer?

Epilog

Niels war so sauer, dass er wütend aus dem Kiosk stürmte und seiner Fußballmannschaft davon erzählte. Die ihn nicht nur auslachte. Sondern auch beschuldigte, weil sie nun keine Plakate mehr aufhängen konnte.

Bitter enttäuscht ging Niels in die Dorfkneipe, ließ sich volllaufen, zerschlug den Spieleautomaten und wurde auf dem Heimweg im Straßengaben ohnmächtig. Er verlor wegen unentschuldigtem Fehlen seinen Job und der Wirt verklagte ihn wegen des Automatens. Er fing an Marihuana zu spritzen, seine Frau ließ sich scheiden und zog mit den Kindern, dem Hund und dem Thermomix zu ihrer Mutter nach Ennepetal, er lief monatelang breit durchs Dorf und quatschte jeden mit Meinungsfreiheit voll und endete einsam mit der Spritze im Arm auf einer Bahnhofstoilette in Wanne-Eikel.

Und alles nur, weil dieser grenzdebile, egozentrische, von Helikoptereltern erzogene Vollarsch nicht in der Schule aufgepasst hat und selbst dann noch Recht haben musste und glaubte irgendwelche Rechte zu haben, wenn dutzende andere ihm gesagt haben, dass er falsch liegt.

Veröffentlicht auf der Facebook Fanpage und Instagram, 10.09.2023, gefolgt von ellenlangen Diskussionen.

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