Verbeamtete Verantwortungsdiffusion

Einfach mal Gerade machen ist so 20. Jahrhundert

Dieser Kommentar ist zuvor auf der Facebook Fanpage erschienen.

Bundespräsident Steinmeier wollte mit anderen Politikern Kiew besuchen. Präsident Selenskyj hat gesagt: „Nööö, bleib mal zu Hause. Die anderen können kommen. Und Kanzler Scholz auch gerne.“

Die Reaktionen auf Steinmeiers „Ausladung“ zeigen vor allem, dass deutsche Politiker nicht verstehen, wenn sie ganz persönlich an ihrem politischen Handeln gemessen werden.

Steinmeier war über Jahre hinweg Vertrauter von Schröder, schon bevor der nach Berlin gegangen ist. Das ist der, der jetzt zum inneren Kreis von Putin gehört und diejenigen leitet und vertritt, die mit Öl Kohle in die Kriegskasse holen.

Steinmeier hat in allen Etappen seiner Karriere russlandfreundliche Politik gemacht. Er war der erste ausländische Politiker, der nach 2008 mit Putin gesprochen hat. Und nach Jahren und Gauck der erste deutsche Bundespräsident, der Putin 2017 besucht hat. Er initiierte die „Modernisierungspartnerschaft“, die später EU-Politik wurde. Die Liste ist lang.

Kann man ja machen. Er hat ja eingeräumt, dass es ein Fehler war.

Nachdem Russland jetzt die Ukraine überfallen hat, sagt die Ukraine „Mit dir wollen wir nix zu tun haben.“ Und einige – vor allem aus der SPD, fallen aus allen Wollen. Heute springt ihm Sigmar Gabriel in einem Spiegel-Gastbeitrag bei. Genau der, der Steinmeier als Außenminister abgelöst und seine Politik fortgesetzt hat. Und jetzt geht die Maulfechterei auf Twitter weiter.

Das erweckt doch sehr den Eindruck, dass einige Politiker in der Vorstellung leben, dass politische Amt sei völlig von ihrer Person getrennt. Und das wiederum ist für viele Menschen schlicht unverständlich.
Das erinnert an die Verantwortungsdiffusion von Beamten, die sich nur als Ausführungsorgan sehen. Im Bewusstsein, dass man sie kaum persönlich haftbar machen kann. Selbst wenn sie Mist bauen.

Wenn jemand die ganze Zeit auf gut Freund mit einem macht, der mir anschließend die Türe eintritt, meine Frau vergewaltigt und die Bude abfackelt, dann möchte ich mit dem auch nix mehr zu tun haben. Und da interessiert mich auch recht wenig, wenn der mir erzählt, er hätte so handeln müssen, um diesen Vollarsch zu integrieren.

Ich verstehe das Unverständnis der Politiker nicht.
Es scheint in weiten Kreisen der Gesellschaft aus der Mode zu sein, einfach mal Kreuz zu zeigen und sich gerade zu machen für das, was man gemacht hat. Ob das nun große Scheiße war oder einfach dumm gelaufen, Beschiss oder Blödheit, ist gar nicht der Punkt.

Von einem Soldaten wird erwartet, dass er bei einem Einsatz einer Flutkatastrophe nicht weiß wo er pennt, wann er nach Hause kommt, kaum schläft und sich den Arsch aufreißt. In Abstufungen ganz ähnlich sieht das bei Rettungskräften aus, die das häufig freiwillig machen. Eine zuständige Ministerin stimmt sich erstmal mit ihrem Pressesprecher ab und fährt zehn Tage später für vier Wochen in Urlaub.
Da nimmt man seinen Hut, sagt „Tschuldigung“, denkt über seine Kompetenzen und Krisenmanagement nach und dann ist doch gut. Aber man stellt sich nicht vor die Kameras und drückt sich ein Tränchen raus, weil der Urlaub so dringend nötig war, weil der Mann drei Jahre vorher einen Schlaganfall hatte. Und man drei Jahre erstmal mit der eigenen Karriere verbracht hat.

Nein, ich schimpfe nicht auf alle Politiker oder „die da oben“. Ich kenne persönlich Politiker aller großen Parteien (außer der AfD), die sich den Pöppes aufreißen und mit Idealismus dabei sind.
Aber diese Verantwortungsdiffusion, die bei manchen inzwischen völlig normal geworden zu sein scheint, finde ich doch schon bedenkenswert.

Aktuelles

Krieg

Wie Elon Musk in den Krieg eingriff

PrologAufgrund einer offenen Umfrage auf der Facebook Fanpage habe ich mich dazu entschlossen, diesen Artikel ohne Bezahlschranke bereitzustellen. Er ist auch auf der Steady Seite für Abonnenten erschienen. Walter Isaacson ist Geschichtsprofessor für Geschichte, ehemaliger […]