Wie Russland verkackt

Militärische Perspektive. Für Dummies.

Was geheim erscheint, ist gar nicht so geheim

Ich selber war lange im Nachrichtenbereich tätig. Auf unseren Dienststellen und in den Bunkern lagen Lloyd‘s Register herum. Fürchterlich dicke Wälzer, die damals locker über 2000 Mark gekostet haben. Darin standen alle Kriegsschiffe mit Bewaffnung, Besatzung, mutmaßlicher Geschwindigkeit und Bruttoregistertonnen. Wir hatten auch Wälzer über Panzer, über zivile Schiffe und so weiter.
Zusätzlich hatten wir ein Archiv mit Aufnahmen, haben täglich Schiffserkennung geübt und die Schiffsbewegungen in Kattegat und Skagerrak zweimal täglich auf einer drei mal vier Meter großen Karte geplottet.
Und das war nur eine kleine Einheit, auf der Leiter ganz unten. In den Kommandos sah das dann nochmal derber aus. Ich war auch dort, bis auf NATO-Ebene.

Solche Nachschlagewerke gibt es bis heute. Und im Grunde kann sie sich jeder besorgen, sie sind nicht geheim. Es gibt beispielsweise das jährliche „Military Balance“ vom International Institute for Strategic Studies, das für schlappe 570 Euro zu haben ist. Wer es also genau wissen will: Bitteschön.

Soll heißen: Es gibt zwar noch James Bonds. Doch die wurden längst aus Kosteneffektivität rationalisiert.
Weit über 90 Prozent aller Informationen der Nachrichtendienste kommen aus so genannten offenen Quellen. Der Clou ist nur, sie systematisch auszuwerten, zu sammeln und für das zusammenzustellen, was man irgendwann mal wissen will.
Keine Sau bei der NSA interessiert es, was ich auf meiner Pizza bestelle. (Was nicht heißt, dass ich das Abhören ok finde. Ich finde es nicht.)

Daher mein üblicher Vergleich: Ich war nicht James Bond. Wenn James Bond in einem Bunker mit M diskutiert und jemand im Hintergrund bräsig mit einem Kaffee und einem Klemmbrett durchs Bild schlurft und etwas an eine Wand schreibt… Das war ich.

Ok, ok, zurück zum Thema.
Ich wollte nur verdeutlichen, dass die Informationen nicht so geheim sind. Geheim ist eher, was man weiß oder woher man es weiß.

Die unzerbrechliche Union der freien Republiken vereinigt für die Ewigkeit die große Rus

Der Plan der Sowjetunion war es, Europa bis zu den Pyrenäen zu überrennen.
Das bedeutet nicht, dass sie das unmittelbar vorhatten. Es war einfach die Doktrin, wie sie es anstellen wollten. Wir kannten diese Pläne, bis zur kleinsten Einheit. Ich habe sie gesehen, Kopie, einfarbig.

Deshalb unterhielten sie die größte Landstreitmacht der Welt. Die USA hatten kaum halb so viel. Warum ist offensichtlich: Die Amis müssen das Gerödel ja erstmal irgendwohin schicken, wenn sie nicht gerade Mexiko oder Kanada angreifen wollen. Sie brauchen also viel mehr Marine und müssen weit flexibler sein. Und deshalb müssen sie auch gutes Zeug haben. Damit sie mit dem Zeug, das sie erst irgendwohin bringen müssen, möglichst viel erreichen können.

Deshalb hat Russland bis heute nur einen Flugzeugträger. Die Admiral Kusnetzow, die meine Einheit damals schon mal aufgeklärt und beobachtet hatte. („Admiral Flota Sowjetskowo Sojusa Kusnezow“ …kann ich noch heute nachts um drei nach einer Flasche Wodka aus dem Tiefschlaf erwacht aufsagen. Bundeswehr, da lernt man fürs Leben. Danke auch, Drug.)
Die USA besitzen bummelig 10 solcher Flugzeugträger. Zehn fucking schwimmende Städte auf dem neusten Stand, plus weitere 10 Landungsschiffe, die fast genauso groß sind.

Die Sowjetunion soll hingegen bei ihrem Zusammenbruch 22.000 Panzer gehabt haben. Das war aber damals schon völlig überzogen. Wir sind 1992 von etwa 13.000 bis 14.000 gepanzerten Fahrzeugen ausgegangen. Also auch Truppentransporter und Brückenpanzer, die jemanden höchstens töten, wenn sie ihn überfahren.

Es gab zu meiner Zeit noch den Spruch, die Sowjets können entlang der NATO-Grenze alle 20 m einen Panzer stellen. Aber 80 Prozent kämen höchstens 20m weit. (Der Rest kommt bis zum Kamener Kreuz und bleibt im Stau stecken. Ba Dum Tsss.)
Sie gingen auch damals schon auf Masse und nicht auf Klasse. Das ist russische Mentalität.

Strategisches Rechnen

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Wie kann man das alles so genau wissen?

Nun, es ist ziemlich einfach.
Eine deutsche Kampfpanzer-Kompanie hat vier Züge. Jeder Zug hat drei Panzer. Dann bekommt der Kommandant noch einen Panzer und schon wissen wir: eine Kompanie hat 13 Leopard II.
Ein Bataillon hat fünf Kompanien und den Stab, eine Division hat so und so viel Bataillone… Es ist simple Mengenlehre.
Und genau das ging bei der sowjetischen Armee auch. Und bei der russischen sogar noch leichter.

Man kann auch einfach viele geheime Informationen sammeln. Von abgeworbenen Spionen oder Soldaten. Oder man schlägt einfach die entsprechenden Bücher auf die überall rumliegen …lest Ihr überhaupt, was ich schreibe? Es ist offen! Es steht heute sogar auf Wikipedia!

Wenn der Bundestag beschließt Panzer zu kaufen, dann steht das in der Zeitung. Mit Stückzahl. Es müssen Verträge unterzeichnet und Aufträge müssen geschrieben werden. Und es müssen Parkplätze gebaut werden. Und ganz nebenbei fliegen ständig Satelliten über unsere Köpfe, ein paar hundert Panzer fallen da schon mal auf.
Genauso ist es auch in Russland und in der Duma.

Wenn also das International Institute for Strategic Studies in Großbritannien oder das Institute for the Study of War in den USA als zivile Organisationen solche Zahlen veröffentlichen, dann ist das schon sehr sehr glaubwürdig. Viel genauer hätten wir sowas auch als Militär damals nicht gewusst.

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