Wie die Sanktionen wirken

Die Neuordnung der Welt

Ein kleiner Pressespiegel

Darüber hinaus gibt es viele einzelne Berichte darüber, welche Auswirkungen die Sanktionen und der Krieg im Allgemeinen haben. Nur drei Beispiele:

WirtschaftsWoche, 20. August
In der Rubrik „Wirtschaft von oben“, eine Kooperation mit LiveEO, berichtet die WiWo anhand von Luftbildern darüber, dass Aeroflot scheinbar moderne Flugzeuge ausschlachtet.
Die staatliche Fluggesellschaft Aeroflot ist am Flughafen Moskau-Scheremetjewo beheimatet. Dort werden moderne Airbus A350 geparkt, umgeparkt und scheinbar ausgeschlachtet. Die Autoren zeigen, dass die Langstecken-Flugzeuge nur auf Kurzstrecken eingesetzt werden. Ersatzteile sind sanktioniert oder die Unternehmen haben den Betrieb in Russland eingestellt. Wer keine Reisenden fliegt, fliegt auch keine Waren.

New York Times, 05. September
Der renommierten Zeitung wurden Papiere eines US-Geheimdienstes zugespielt, die belegen, dass Russland in großer Stückzahl Artilleriegeschosse und Raketen in Nordkorea kauft.
Diese Munition ist auf einem Stand von vor locker 50 Jahren. Russland bleibt nichts anderes übrig, weil durch die Sanktionen der Markt zu Hightech versperrt ist. Zwar könnte China liefern. Die halten sich jedoch zurück, nachdem die USA ihnen mit Einschränkungen des Zugangs zum US-amerikanischen Markt gedroht hatten.
Bereits wenige Wochen nach dem Einmarsch Russlands waren Videoaufnahmen veröffentlicht worden, die zeigten, dass Helikopter kurz vor dem Abfeuern steil nach oben zogen. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Piloten einfach wie mit Kanonen auf Schätzung geschossen haben. Weil bereits keine Präzisionsmunition mehr verfügbar war.

Verschiedene Medien (Bloomberg, Spiegel, Bild)
Da Zulieferer für Automobile quasi ausschließlich aus dem Westen kommen, werden auch moderne russische Neuwagen wie von Lada inzwischen ohne ABS, Airbags oder andere moderne Systeme ausgeliefert. In vielen westlichen Ländern dürften sie so gar nicht verkauft werden. Russlands Industrieminister Denis Manturow erklärte, es gäbe ein Projekt zur „Wiederbelebung“ alter Marken wie Wolga oder Pobeda.
Die Automobilindustrie liegt am Boden, im Mai wurden in ganz Russland nur 3000 Autos gebaut, ein Einbruch um 97%.

Der interne Kreml-Bericht

Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete am 05. September von einem ihr vorliegenden, internen Bericht des Kreml. Dieser sei durch russische Insider verifiziert worden. Er stammt aus den vergangenen Monaten und sollte am 30. August der Regierung vorgelegt werden. Man kann also mutmaßen, dass diese Zahlen bereits geschönt sind.

  • Die russische Wirtschaft wird bis Ende 2023 um 8,3% abfallen, bis Ende 2024 um 11,9%. Den Zustand von vor dem Krieg wird erst am Ende des Jahrzehnts erreicht werden können. Wenn die Sanktionen jetzt beendet würden.
  • Dieses Szenario kann laut Bericht nur durch massive Investitionen erreicht werden. Doch die waren auch vor den Sanktionen bereits ausgeblieben, die russische Wirtschaft stagnierte seit einigen Jahren.
  • Der Bericht geht davon aus, dass bis 2025 200.000 IT-Fachkräfte Russland verlassen werden.
  • Ein vollständiger Gas-Stopp Europas würde alleine die Steuereinnahmen um 6,6 Milliarden Euro jährlich verringern. Es wird nicht möglich sein, die verlorenen Absätze mittelfristig zu kompensieren.
  • Europa hat zuvor 55% des produzierten Öls gekauft. Der Wegfall könnte nun zu einer verringerten Produktion führen. Und die wiederum dazu, dass der heimische Markt nicht mehr gedeckt werden kann.
  • Der russische Ökonom Alexander Isakov geht davon aus, dass das Wachstum der russischen Wirtschaft schnell auf 0,5% abfallen und bis 2050 bei knapp über 0% landen wird. (Vergl.: Wachstum Deutschland 2022 auf ca. 3% geschätzt, Anm. d. Red.)
  • In der Metallproduktion gehen derzeit 5,7 Milliarden Euro jährlich verloren.
  • 99% der Geflügelproduktion und 30% der Rindfleischproduktion hängen ausschließlich vom Import ab. Ein großer Teil des Saatguts für Zuckerrüben und Kartoffeln stammt ebenfalls aus dem Ausland.
  • 95% der Flugpassagiere wurden mit Flugzeugen transportiert, die im Ausland produziert werden und von Ersatzteilen abhängig sind.
  • Nur 30% der Produktionsmittel im Maschinebau werden in Russland produziert. Die Industrie hat keine Möglichkeiten, den Rest zu decken.
  • 80% der Herstellung von Medikamenten hängen von dem Import von Rohstoffen aus dem Ausland ab.
  • Die Kosten für den Straßentransport haben sich bereits verdreifacht.
  • Die Sanktionen von SIM-Karten können bis 2025 zu einer Knappheit führen, während der gesamte Sektor der Telekommunikation bereits in diesem Jahr fünf Jahre hinter den Weltführern zurückfallen könnte.

Das Gesamtbild ist entscheidend

In den Kommentarspalten auf Social Media wird gerne kolportiert, dass die Sanktionen nicht wirken.
Gäbe es nur eine oder zwei solcher Meldungen, könnte man sie sicherlich anzweifeln. Doch inzwischen kommen ständig solche Meldungen rein, auch von russischer Seite. Das Gesamtbild ist entscheidend.

In der vergangenen Woche haben Abgeordnete aus St. Petersburg und Moskau öffentlich den Rücktritt Putins gefordert. Und nachdem die Region der zweitgrößte Stadt der Ukraine Charkiw zurückerobert wurde, veröffentlichte der verbündete tschetschenische Präsident Kadyrow, der Söldner in der Ukraine im Einsatz hat, harsche Kritik an der Militärführung.

Da der Einsatz in der Ukraine offiziell nicht als Krieg eingestuft wird, was ein Rückschlag für die Propaganda des Kremls wäre, dürfen dort offiziell keine Wehrpflichtigen eingesetzt werden. Also werden Wehrpflichtigen nach kurzer Ausbildung Verträge vorgelegt.
Dass immer mehr den Überredungskünsten standhalten, kann man auch daran ermessen, dass inzwischen Soldaten in Gefängnissen gegen eine Amnestie angeworben werden.

Viele haben die Sowjetunion im Kopf, wenn sie sich die Zahlen der russischen Streitkräfte anschauen. Die mindestens sehr theoretische, wenn nicht geschönte Zahlen sind. Und so geben sie sich dem Eindruck hin, Russland stünde ein schier endloses Arsenal an Kräften und Nachschub zur Verfügung.
Doch dass die Region Charkiw, dass nur wenige Kilometer hinter der russischen Grenze liegt, nicht gehalten werden konnte, offenbart mehr als diese Zahlen.

Am Beginn einer Zeitenwende

Am vergangenen Montag wurde erneut in Leipzig demonstriert. Es wurde das Ende der Sanktionen gefordert und die Öffnung von Nord Stream 2. Dabei werden zwei Fakten einfach ignoriert.

Zum ersten haben viele Unternehmen sich aus Russland zurückgezogen, ohne dass Sanktionen das vorgeschrieben hätten. Einfach, weil sie dort keine guten Geschäfte mehr machen können.
Zudem sind die Sanktionen keine rein deutsche Idee. Selbst wenn Deutschland die Sanktionen beenden würde, würde es sich damit gegen seine Partner stellen. Und Länder wie Japan oder die USA würden weiter sanktionieren.

Zum zweiten soll Russland nun mit wirtschaftlicher Macht auf seinen Platz verwiesen werden. Auf den Platz eines Schwellenlandes mit sehr geringer Wirtschaftskraft, mit weniger Einwohnern als Brasilien oder Bangladesch. Indonesien hat fast doppelt so viele Einwohner. Und kaum jemand weiß, wo Indonesien liegt.

Die Wirtschaft der nächsten Jahrzehnte wird im ostasiatischen Raum stattfinden. China und Indien haben jeweils mehr Einwohner als Europa und Nordamerika zusammen. Mit riesigem Wachstum. Und da will man sich sicher nicht von Russland reinreden lassen. Weshalb diese beiden Staaten sich zwar aus allem schön raushalten, aber immer mehr auf Abstand gehen.
China wird es immer mehr ausnutzen, Russland nun seine Bedingungen diktieren zu können.

Daher ist die Vorstellung, das alles würde mit einem Ende des Krieges enden, auch naiv.
Weder wird es enden, wenn Russland gewinnt. Denn inzwischen hat sich die UN deutlicher als bei der Annexion der Krim auf die Seite der Ukraine gestellt. Fast einstimmig.
Noch wird es enden, wenn Russland sich zurückzieht. Denn nach diesem Schlag wird sich Europa weiter unabhängig von Russland machen. Nicht nur Deutschland, wo russische Energieträger längst auf der Ausstiegsliste standen. Sondern beispielsweise auch Griechenland und Italien.
Die Chinesen werden den Trumpf, den Putin ihnen nun gegeben hat, sicher nicht verschwenden.

Es ist müßig, über so Dinge wie Nord Stream zu diskutieren. Oder wie viele Soldaten Russland aktivieren könnte.
Wenn man sich das Gesamtbild anschaut, wird sehr deutlich, dass wir an einer Zeitenwende und vor der Neuordnung der Welt stehen.

Diese Umwälzungen hatten längst begonnen. Russland wollte das aufhalten und einen Platz am Pokertisch der Supermächte behalten. Der Einmarsch in die Ukraine hat die Umwälzung nur beschleunigt.

Aktuelles