Wie die Sanktionen wirken

Die Neuordnung der Welt

Roswita ist vernetzt

Der Roswita Konzern hat ganz viel von anderen Konzernen gekauft. Man stellt Einzelteile nicht selber her, sondern kauft sie von anderen. Genauso wie Volkswagen seine Bremsen von irgendwelchen anderen Betrieben kauft oder alle Autobauer derzeit Probleme haben, weil Halbleiter knapp sind. Es ist ja Unfug zu glauben, Adidas oder Nike würde jeden Schuh selber herstellen. Das machen indische Kinder in Sweat Shops für 60 Cent am Tag.

Roswita kann nicht alleine funktionieren. Es muss Teile von anderen kaufen. Um überhaupt das produzieren zu können, womit Roswita eigentlich sein Geld verdient.

Und jetzt sagen die meisten dieser anderen Konzerne plötzlich: „Roswita, Rotte alte Lotte, mit dir machen wir keine Geschäfte mehr.“ Weil diese Konzerne wissen, dass Roswita viel abhängiger von ihnen ist, als sie von Roswita. Denn sie machen ja weiterhin Geschäfte untereinander und mit allen anderen.
Das sind die Sanktionen.

Das hat Auswirkungen für den Roswita Konzern. Wie man sich vorstellen kann. Und deshalb haben viele erwartet, dass der Rosko nun abstürzt und nichts mehr wert ist. Doch das Gegenteil passiert.

Schönheits-OP für die Währung

Roswita war einfach so pfiffig, den Rosko künstlich zu verknappen. Und dadurch die Nachfrage zu erhöhen.
Das bedeutet nicht, dass Roswita einfach Rosko-Jetons einbehalten hat. Das wäre ja doof, denn dann hätten die eigenen Mitarbeiter plötzlich weniger Jetons mehr für die Kantine und würden rebellieren.
Roswita hat untersagt, dass der Rosko auf ihrem Betriebsgelände in andere Währung getauscht werden darf.

Außerdem hat Roswita bestimmt, dass man Produkte von Roswita nur noch in Rosko bezahlen darf. Was bedeutet, dass alle, die doch noch etwas von Roswita kaufen wollen, ihr Geld zwangsläufig vorher in Rosko tauschen müssen.
Und Roswita hat bestimmt, dass Mitarbeiter ihre Rosko preisgünstiger in Gold umtauschen können. Eine Währung, die überall auf der Welt immer den gleichen Wert hat.

Ostmark und D-Mark

Was wir sehen ist also eine Wertkorrektur des Rosko. Die aber nichts damit zu tun hat, was der Rosko außerhalb des Roswita Konzerns tatsächlich wert ist.
Das erscheint vielen merkwürdig. Einfach, weil das Prinzip von Angebot und Nachfrage so verinnerlicht wurde.

Doch gerade wir Deutsche müssten das aus eigener Erfahrung gut kennen.
Als die DDR zusammengebrochen ist, hatte die Ostmark einen Wert von etwa 16,50 D-Mark zu 100 Ostmark. Aber das war nur die offizielle Umrechnung. Also wenn ein Westdeutscher seine Mark in Ostmark hätte umtauschen wollen. Umgekehrt war das nicht so. Denn welcher westdeutsche Händler hätte denn Ostmark angenommen? Selbst zu einem weit höheren Kurs?

Stellen wir uns das doch einmal praktisch vor: Chantall aus Eisenhüttenstadt möchte 1990 in West-Berlin eine Lampe kaufen. Der Preis wird mit 32 D-Mark ausgewiesen. Und sie geht zum Verkäufer und sagt, sie gibt ihm dafür 200 Ostmark. Er hätte sie sicher nicht genommen.
Der Haushaltswarenfachverkäufer hätte mit den Ostmark nichts anfangen können, selbst wenn Chantall ihm mehr geboten hätte. Sie hätte es vorher tauschen müssen. Und dabei hätte sie arge Probleme bekommen. Weil westdeutsche Banken es teilweise gar nicht umgetauscht haben.

Die andere Seite wird vergessen

Der offizielle Wert der Währung ist für sich alleine kein schlüssiger Indikator dafür, wie es einem ganzen Land geht. Eben weil sie innerhalb des Staates ja das gleiche wert sein kann. Selbst wenn sie im Ausland niemand mehr haben will.
Man muss also betrachten, was international passiert. Wie dieser Staat im Verhältnis zu anderen steht.

Hinweis: Für die beschriebenen Maßnahmen bei Roswita ist in der Realität vor allem die russische Zentralbank „Bank Rossii“ und ihre Chefin Elvira Nabiullina verantwortlich. Die nach dem Einmarsch in die Ukraine offenbar die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und Putin ihren Rücktritt angeboten hatte. Der sie dafür aber einfach für eine weitere Amtszeit bestimmt und ihr sogar mehr Verantwortung gegeben hat. Was viele Banker international eher als Himmelfahrtskommando sehen.
Unter ihrer Verantwortung wurden bereits im Vorfeld viele Banken geschlossen und 70% des russischen Bankwesens wurden verstaatlicht.

Kommen wir also nun endlich darauf zu sprechen, was derzeit tatsächlich passiert. Kehren wir zurück in die Realität.

Das Schwellenland Russland

Elvira Nabiullina, Chefin der Zentralbank
Foto: WTO/Studio Casagrande (CC BY-SA 2.0)

Dazu muss man meines Erachtens erst einmal verstehen, wie die Situation grundsätzlich ist. Denn wir bekommen nur Bilder aus Moskau und St. Petersburg zu sehen. Was die wohlhabenden Zentren Russlands sind.
In den Köpfen hat sich das Bild der Weltmacht Sowjetunion verfestigt, welches auch nach 30 Jahren nicht hinterfragt wird.

Tatsächlich ist Russland ein Schwellenland, eine Stufe vor der Dritten Welt.
In Russland leben etwa so viele Menschen wie in Frankreich und Deutschland zusammen. Im bereinigten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt Russland hinter Rumänien. Der durchschnittliche Deutsche erwirtschaftet etwa das Fünffache von einem durchschnittlichen Russen. Russland exportiert nicht einmal ein Drittel von dem, was Deutschland mit viel weniger Einwohnern exportiert.

Etwa ein Fünftel der russischen Bürger haben keinen Anschluss an die Kanalisation. Richtig gelesen: jeder fünfte Russe sitzt auf einem Plumpsklo. Und genau da, wo diese Plumpsklos stehen, werden russische Wehrpflichtige für die Kriege gezogen. Nicht in den Metropolen im Westen.

Das russische Diktat

Russland ist de facto eine zentralistische Diktatur.
Es war immer zentralistisch, es war immer autoritär. Aber Putin hat das seit etwa 2002 deutlich angezogen.

Russland wird derzeit regiert von der Partei Jedinaja Rossija (Einiges Russland, Единая Россия), die 334 von 450 Sitzen in der Duma hat. Die ganz klar Nationalismus im Programm hat. Und den so genannten „Etatismus“: die Einstellung, dass Wirtschaft und soziale Probleme alleine durch den Staat gelenkt werden können und müssen. Also fast Planwirtschaft wie in der DDR.

Ich halte es immer für schwierig, Diktaturen zu vergleichen. Aber das heutige Russland hat viele Überschneidungen mit dem Stalinismus, Deutschland in den 1930ern oder Nord-Korea.
Als ein Mitglied der NSDAP mit einem Handwerksbetrieb hatte man 1938 keinerlei Einschnitte in seinem Leben und seiner persönlichen Freiheit bemerkt. Im Gegenteil: Läuft ja. Vielleicht bekam man noch ein paar billige Zwangsarbeiter zugewiesen.

Den Bürgerinnen und Bürgern, denen es finanziell gut geht, die dieses System unterstützen und die ihm einen Nutzen bringen, haben wenig Probleme. Um das Diktatorische einschätzen zu können, muss man genauer hinschauen.

Wir haben das Gefühl, das sei alles nicht so schlimm. Denn es gibt in St. Petersburg ja noch Internet und Handys und Telegram und den Nachfolger von McDonalds. In Diktaturen, wie wir sie uns vorstellen, gibt es das nicht.

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