Von der Kunst Freiheiten zu nehmen

Ein Posting, die E-Zigarette, Benjamin Franklin und gut gemeiner Populismus

Schokolade verbieten!

Stundenlang könnte ich so weiterschreiben. Aus Angst zu langweilen beende ich das.
Kommen wir zu dem, was der eigentliche Motivator meines Postings war. Und nochmal: Der Kern waren Tabakerhitzer und E-Zigaretten, nicht das Rauchen.

Stellen wir uns für einen Augenblick vor, die Regierung würde Schokolade im Auto in Anwesenheit von Kindern verbieten wollen. Man darf wohl davon ausgehen, dass viele das nicht richtig finden würden. Die meisten würden es als Eingriff in ihren persönlichen Horizont ansehen.
Dabei ist es in meinen Augen, und in den Augen vieler Menschen die sich etwas mit der Materie auskennen, genau das gleiche.

Wenn ich Schokolade am Steuer esse, während der Rotzisch mir von der Hinterbank aus sabbernd dabei zu sieht, ist das nicht nett. Aber der Staat kann niemanden zwingen nett zu sein.
Lasse ich den Lütten mitessen, wird das Kind fett und in der Schule gehänselt.
Einer Vorbildfunktion komme ich sicher auch nicht nach. Aber wenn man sich einmal betrachten, was an Verantwortung der Eltern für ihren Nachwuchs in den letzten 100 Jahren erodiert ist, kann das sicher auch keine Aufgabe des Staates sein.

Das alles muss abgewogen werden. Ist der Schaden an der Gesellschaft groß genug, um 83 Millionen Menschen etwas zu verbieten? Und ein Gesetz zu schaffen, dass einen „Erfüllungsaufwand“ hat, das umgesetzt werden muss, das mehr Bürokratie erfordert?
Meiner Meinung nach kann die Antwort darauf nur lauten: Nein.

Genau das ist der Populismus daran: Es wird eine einfache Antwort auf eine komplizierte Frage angeboten. Und viele Menschen sind sofort bereit, für etwas vermeintlich Gutes Freiheiten und Selbstverantwortung abzugeben.

Was in meinen Augen tatsächlich passiert ist, dass diese nachweislich weniger schädlichen Alternativen mit dem Rauchen gleichgesetzt werden. Was Raucherinnen und Raucher davon abhalten kann umzusteigen. Weil der Eindruck vermittelt wird, beides wäre gleich schlimm. Was sich wiederum in Umfragen spiegelt.
Somit wird die Harm Reduction unterdrückt und viele Menschenleben werden in Kauf genommen. Mehr noch, es wird einfach verdrängt.
Alleine die eventuelle Möglichkeit des Schadens von einigen Kindern wird über Menschenleben gestellt. Weil man gerne gefühlsmäßig zu dem Schluss kommt „Selbst schuld“.

Harm Reduction ist eine Lebenseinstellung

Wir wurden mit einer bestimmten Vorstellung geimpft, einem bestimmten Bild, mit dem wir uns die Welt erklärlich halten.
Selbstverständlich schreien die meisten sofort „Juhuh“, wenn es darum geht, Kinder zu schützen. Die Frage ist doch aber, ob das etwas bringt und ob diese Abwägung richtig ist. Unser Urteilsvermögen ist meist nicht sehr zuverlässig.

Ein anderes Beispiel: Jeder empfindet Angst und Aggression, wenn es um Kinderschänder geht. Man liest ja so viel. Es wird ja alles immer schlimmer. Dabei waren Kinder noch nie so sicher, gesund, gefüttert und gewässert wie heute. Und sind es in vielen Teilen der Welt nicht.
Die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit ist aber nach wie vor völlig falsch. Denn über 90% der Missbrauchs-Täter waren den Opfern vorher bekannt, über 85% kommen aus dem engeren Familienumfeld. „Im Wald da sind die Räuber“ ist 18. Jahrhundert, kein Räuber hockt sich heute noch stundenlang in den dunklen Wald.
Ein Ansatz im Sinne der Harm Reduction wäre hier also, die Menschen zu informieren und ihnen klar zu machen, woher die Gefahr tatsächlich kommt und wie man sie erkennt und vermeidet.

Noch ein Beispiel?
Im Zuge der ewigen Debatten um Row Zero und Till Lindemann vertreten viele den Standpunkt, solche Events sollten für junge Frauen sicher sein. Natürlich. Das wäre schön. Das wir aber nie passieren. Weder Row Zero noch ein Rockkonzert sind ein Frauenhaus.
Es gibt nun einmal Umstände, Gegenden und Situationen, in denen man sich Gedanken um seine Sicherheit machen sollte. Selbst als Zwei-Meter-Ex-Soldat-und-Ex-Türsteher gibt es für mich Situationen, die ich vermeide. Beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel in Großstädten nach 22:00 Uhr.
Ein Ansatz der Harm-Redcution-Philosophie wäre also jungen Frauen zu erklären, was vielleicht nicht so sicher für sie ist. Doch alleine der Ansatz wird sofort niedergebrüllt, weil unterstellt wird, dass man sexuellen Missbrauch von Stars tolerabel findet. Auch das habe ich erlebt.

Wissen wird zugunsten des Wünschens negiert.

Der Populismus des scheinbar Guten

Der Mensch ist schnell bereit, Eingriffe in seine persönlichen Freiheiten hinzunehmen, wenn es seiner Meinung nach einer „guten Sache“ dient. Dazu gibt es dutzende, vermutlich hunderte Studien.
In diesem speziellen Fall war es „nur“ die E-Zigarette.

„Wer wesentliche Freiheit aufgeben kann, um eine geringfügige bloß einstweilige Sicherheit zu erlangen, verdient weder Freiheit, noch Sicherheit.“

Benjamin Franklin, Bemerkungen über die Vorschläge, Dr. Benjamin Franklin’s nachgelassene Schriften und Correspondenz, nebst seinem Leben; Band 3. Franklin’s Leben ersten Theil enthaltend, Weimar, 1818

Diese psychologischen Mechanismen sind der Grund, warum die Rechtspopulisten einen solchen Erfolg haben. Weil sie sie auf Emotionen setzen. Das Thema ist völlig flexibel. In diesem Fall schien ich offenbar für einige auf der Seite der mindestens Liberalen, wenn nicht gar der Populisten, Schwurbler oder Rechtsextremen zu stehen. Die anderen sind also nicht zwangsläufig besser.

Bei Populisten und denen, die ihnen nachlaufen, funktioniert es im Grunde sehr einfach: Sie lesen in den Medien, dass wieder ein Flüchtling irgendwo amokiert ist. Warum und und wieso interessiert sie in der emotionalen Bewertung nicht weiter. Es findet keine Abwägung mehr statt. Es wird nicht hinterfragt, wie viele Flüchtlinge tatsächlich Gewaltdelikte verüben, geschweige denn, woran das liegt. Vor allem aber wird nicht hinterfragt, ob Deutschland tatsächlich ohne Flüchtlinge sicherer würde.

Jeder Mensch kann Opfer dieser Mechanismen werden. Völlig unabhängig vom Thema.
In dem Moment nämlich, in dem er glaubt, für etwas vermeintlich Gutes einzustehen. Und das nicht prüft und hinterfragt.

Aber ich habe doch gute Argumente. Bitte.

Nein, keiner sollte in der Nähe von Kindern überhaupt rauchen. Was gibt es da überhaupt noch zu diskutieren?
Darum ging es nicht. Die Reaktion auf mein Posting ist nur ein Symptom.

Wir sind dabei, eine neue Alternativen und damit riesige Chancen wegzuwerfen. Was viele Menschenleben kosten kann. Nur weil wir nach Bauchgefühl entscheiden und uns von denen einflüstern lassen, die einen Nutzen daraus ziehen.

Wir sind bereit, Freiheiten über Bord zu werfen, um sie gegen Sicherheit einzutauschen. Und dadurch werden wir blind dafür, das zu hinterfragen. Zu hinterfragen, ob und wem es nutzt.
Wir geben unsere Abwehr gegen den Staat auf. Überfordert durch die Flut des Informationszeitalters. Wobei wir von den meisten Dingen absolut keine Ahnung haben, weshalb wir oberflächlich und nach dem angeblich so gesunden Menschenverstand urteilen.

Jeder, der im Verdacht steht dagegen zu verstoßen, wird niedergeschrien. Egal auf welcher Seite.
Und ja, das mag sich wie ein typisches Opfer-Argument der Rechtspopulisten anhören. Der feine, aber entscheidende Unterschied ist, dass der mündige Bürger sich einer Diskussion stellen und faktisch argumentieren kann. Alleine, er kommt ja gar nicht mehr dazu.

Diese Unterscheidung verschwimmt zusehends. Man schreit sich nur noch gegenseitig an.
Auch deshalb war es mir ein Bedürfnis, das einmal auszuführen. Zu zeigen, dass ich Argumente habe.
Und wenn nur wenige Menschen bis hierher gelesen haben, habe ich meinen Teil für die Tobacco Harm Reduction erfüllt. Ganz abgesehen von vielen Jahren und vielen, denen ich beim Umstieg helfen konnte.

Diesen Beitrag habe ich begonnen mit „Diskutiert habe ich schon immer gerne.“
Das ist nicht mehr so. Ich fühle mich ausgelaugt. Ich bin müde.

Aktuelles