Die Psychologie der Putinversteher

Der Feind in meinem Kopf

Die Fremdenfeindlichkeit in jedem von uns

Ich unterstelle Querdenkern, Konservativen und all denen, die derzeit russische Propaganda-Narrative übernehmen nicht, dass sie alle Nazis sind. Und ich halte es für Schwachsinn und kontraproduktiv, wenn andere das tun. Ich unterstelle ihnen, dass sie etwas fühlen. Auf der Ebene, bevor aus diesem Gefühl eine Meinung und danach eine Handlung wird.

Das wäre noch normal und zu akzeptieren. Denn man kann an seinen Gefühlen arbeiten, sie hinterfragen und therapieren. Aber man kann sie nicht durch Fakten einfach ausschalten.

Als ich heute Morgen über die Straße ging, kamen mir auf der anderen Seite zwei schwarzhaarige Männer entgegen. Die sich in einer arabischen Sprache unterhielten. Gefolgt von einer jungen Frau mit Kopftuch und Abaya. Und um alle wuselten locker sieben Kinder herum.

Auf der untersten Ebene, der Gefühlsebene, war ich spontan abgestoßen. Natürlich ratterten in Sekundenbruchteilen sämtliche Stereotype durch mein Hirn.
Das ist auch vollkommen normal. Und die Psychologie erforscht derzeit, woran das liegt. So weiß man inzwischen, dass ausgerechnet das so genannte „Mutter-Hormon“ Oxytocin eine große Rolle bei Fremdenfeindlichkeit spielt. Das macht evolutionspsychologisch auch Sinn. Denn jedes Säugetier will seinen Nachwuchs vor anderen beschützen. Reptilien sind da eher pragmatisch veranlagt.

Die Prädisposition

Diese Fremdenfeindlichkeit findet sich nicht nur in Deutschland gegen Menschen aus dem arabischen Raum. (Spannenderweise gibt es weniger Fremdenfeindlichkeit gegen Amerikaner, Briten, Franzosen und sogar Japaner. Die Einstellung gegenüber Italienern hat sich seit meiner Geburt überraschend geändert. Irgendwer ist halt immer der Kanacke, jetzt sind es eben andere.) Sondern auch in Japan gegenüber Koreanern ebenso wie in Afrika bei Ethnien gegenüber anderen Ethnien. In Ruanda wurden beim Völkermord in den 90ern bis zu eine Millionen Tutsi von Hutu erschlagen. Die für einen Europäer weder in Aussehen noch in Sprache zu unterscheiden wären.

Entscheidend ist, wie man im nächsten Schritt mit diesem Gefühl umgeht. Welche Filter es durchläuft. Denn jedes Gefühl durchläuft Filter, bevor es zu einer Handlung wird. Sonst säße ich längst im Knast und der Schlüssel wäre weggeschmissen.

Für mich war das in dieser Situation heute Morgen sehr leicht. Ich bin mit Menschen aus allen Herren Ländern aufgewachsen. Was immer schon einmal gut ist. Spannenderweise gibt es ja die meiste Fremdenfeindlichkeit in Deutschland dort, wo es die wenigsten Fremden gibt.
Außerdem haben die Kinder gelacht und gegiggelt und hatten offenbar einen schönen Familiensonntag. Was könnte ich dagegen haben? Ich glaube, ich habe gelächelt.

Für das erste Gefühl ist also auch eine Grundhaltung mitverantwortlich, eine Prädisposition. Oder zumindest dafür, wie wir mit den ersten, spontanen Gefühlsblitzen umgehen.
Meine Fremdenfeindlichkeit wäre sicher deutlicher gewesen, wenn mir zwei junge Männer mit Bomberjacken und sächsischem Akzent entgegengekommen wären.

Die Motive

Kehren wir also zurück zu denjenigen, die nun gerne die Narrative der russischen Propaganda aufgreifen.

Es wäre leicht, sie einfachheitshalber „Putintrolle“ oder „Russlandversteher“ zu nennen. Doch genau das möchte ich an dieser Stelle nicht. Das wäre zu platt. So einfach sollten wir es uns nicht machen.
Die Diskussionen, die mich zu diesem Beitrag gebracht haben, waren mit zwei CDU-Wählern und einem persönlichen Bekannten.

Am Anfang steht das Gefühl. Und das alleine kann schon ganz unterschiedliche Trigger haben.

Beispielsweise kann jemand in der ehemaligen DDR aufgewachsen sein und ist dann im Anschluss an die BRD gescheitert. Er fühlt sich vielleicht abgehängt. Job verloren, die Frauen sind oftmals in den Westen gegangen, und nun sitzt er in seiner Datscha im Erzgebirge und fühlt sich als Mensch zweiter Klasse und Kasse. Ihm war nicht klar, dass die Freiheit des goldenen Westens auch Eigenverantwortung und Scheitern mit sich bringt.
Ganz ähnlich muss es vielen Russen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gehen.

Ein anderer hat vielleicht in den 1970ern schon gegen die USA demonstriert. Er hat die Welt nicht in Gut und Böse eingeteilt, sondern für Gut und Böse einfach die Platzhalter USA und Osten verinnerlicht. Er unterscheidet nicht zwischen den USA und der NATO, nicht zwischen dem Einmarsch der USA in den Irak und der Operation Enduring Freedom, woran sich unter anderem auch Belarus und Russland beteiligt haben.

Bei so komplizierten Konflikten wie in Libyen oder Syrien ist es mit seinem bipolaren Weltbild gleich ganz vorbei. Wenn man diesen Menschen versucht zu erklären, dass der Krieg in Syrien zwischen mindestens sieben Kriegsparteien vor allem ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist, kann man die Überforderung förmlich schmecken.

Der nächste hat einfach Angst um seinen Wohlstand und will nicht in einen Krieg gezogen werden, der seiner Meinung nach Deutschland eigentlich gar nichts angeht.
Und ein anderer ist vielleicht Konservativ, hat seit Jahren CDU/CSU gewählt, will dass alles schön so weiterläuft wie bisher und beharrt deshalb auf der Vorstellung, dass die Grünen das größte Unglück dieses Landes sind. Bei Energiewende denkt er als erstes daran, dass er sich ein neues Auto kaufen muss.
Und einige fühlen sich generell durch jeden Staat gegängelt und unterdrückt und basteln sich daraus ein reichsbürgerliches Weltbild zusammen. In dem sie allen Ernstes versuchen Gesetze zu instrumentalisieren, die sie eigentlich eh nicht akzeptieren.

Die Gefühle hinter einem Denkmuster sind fast so vielfältig, wie es verschiedene Menschen gibt.
Gemein ist Ihnen allen aber eine „Art“ zu denken. Ein Weg, ihre Gefühle in dem komplizierten Prozess der Meinungsbildung zu übersetzen. Und daraus dann wiederum Handlungen zu abzuleiten.

Das Mensch-Maschine-Modell

Die Psychologie erklärt sich am leichtesten an dem Mensch-Maschine-Modell. Der Mensch funktioniert wie ein Computer.
Was man in seine Tastatur tippt, ist die Eingabe. Das entspricht der Wahrnehmung, was wir hören, sehen oder lesen. Was der Computer daraus macht, also beispielsweise die Lösung der Rechenaufgaben oder der nächste Zug beim Schach, ist die Verarbeitung. Das entspricht dem Denkprozess und der Meinungsfindung. Was abhängig von dem Programm ist, das zuvor geschrieben wurde. Und die Ausgabe ist die Handlung, also das, was der Computer dann auf dem Monitor anzeigt.
Psychologie hat erst einmal nichts mit Therapie zu tun, sondern mit der Erforschung dieser Prozesse.

Häufig wird auf der Fanpage kommentiert, dass meine für Social Media ungewöhnlich langen Texte nicht diejenigen erreichen, die es eigentlich betrifft. Also Querdullies, Vaterlandsretter oder wie bei diesem Beispiel diejenigen, die russische Narrative reproduzieren. Und da ist sicher auch etwas dran. Aus mehreren Gründen.
Um es einmal wohlwollend zu sagen: Niemand liest lange Texte, die ihn nicht interessieren oder ihn womöglich widerlegen. Um es weniger nett zu formulieren: Rechtspopulistische Vollidioten lesen nichts, was länger dauert als ein Furz.
Es ist nachgewiesen, dass die Klientel, um die es hier geht, selten lange Texte liest. Das ist eine Einschränkung der Wahrnehmung. Der Eingabe.

Aber mit dieser Erklärung macht man es sich zu einfach. Subjektiv und ganz persönlich bin ich davon überzeugt, dass die Verarbeitung gestört ist. Also das, was zwischen den Ohren passiert.

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