Die Psychologie der Putinversteher

Der Feind in meinem Kopf

Die kognitiven Verzerrungen

Dafür verantwortlich sind die so genannten kognitiven Verzerrungen.
Die inzwischen bekannteste ist der aus Spaß geborene Dunning Kruger Effect. Der besagt, dass diejenigen, die wenig Kompetenz in einer Sache besitzen, nicht wissen, dass sie wenig Kompetenz besitzen. Weil sie, um das beurteilen zu können, genau die Kompetenz bräuchten, die ihnen fehlt.
Oder um es einfacher zu formulieren: Wenn du doof bist, bist du auch zu doof zu merken, dass du doof bist. Bekannter unter der gängigen Formel: Doof sein ist wie tot sein, man selber merkt es nicht. Es stört immer nur die anderen. Denn selig sind die geistig Armen.

Der Attributionsfehler besagt, dass wir Dinge häufig einer Eigenschaft (Attribut) einer Person zurechnen, ohne die Variablen zu beachten. Beispielsweise, dass ich auf der Fanpage meist nur sehr knapp antworte wird so interpretiert, dass ich ein Arschloch mit sozialer Inkompetenz bin. Die Variable, dass ich täglich hunderte Kommentare gar nicht ausführlich, nett und mit Floskeln auf der Beziehungsebene (Vier Seiten Modell) beantworten kann, wird ausgeblendet.

Der Default Effect beschreibt die Tendenz, wenn einem Menschen mehrere Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, er eher nichts macht.
Der Bystander Effect besagt, dass wenn ein Unglück passiert, es umso unwahrscheinlicher ist, dass jemand hilft, umso mehr Menschen drum herum stehen. Weil jeder erwartet, dass schon jemand anderer helfen wird.
Die Liste ist lang.

Spannenderweise sind die Kommentatoren, die russische Propaganda reproduzieren, auch immer diejenigen, die sich auf ihren „gesunden Menschenverstand“ berufen. Und mir aufgrund des Namens dieses Blogs einen mangelnden Menschenverstand unterstellen.
Doch es gibt keinen „gesunden Menschenverstand“, der uns „intuitiv“ gute Entscheidungen treffen lässt. Um in der Meinungsfindung zu einer soliden Meinung zu kommen, benötigen wir Informationen. Und die erlangen wir nicht durch Gefühl. Wir müssen Fakten abwägen.
Diese Kommentatoren verstehen nicht einmal, dass genau sie mit dem Titel dieses Blogs kritisiert werden. Und es durch den Kommentar bestätigen. Tuscheh, wie der Italiener sagt. Verteidigung, ihr Zeuge.

Dafür, dass diese „Andersdenker“ zu anderen Meinungen kommen als der größte Teil dieser Gesellschaft, ist meiner Meinung nach vor allem das Confirmation Bias verantwortlich. Nicht nur, aber man trifft es ständig.

Der Bestätigungsfehler

Das Confirmation Bias, deutsch „Bestätigungsfehler“, besagt, dass diejenigen Informationen ausgewählt und interpretiert werden, welche die eigenen Erwartungen bestätigen.

Das bedeutet, würde ich einen Text schreiben, in dem ich zu gleichen Teilen etwas schlechtes über die Ukraine und Russland schreiben würde, würden diejenigen Menschen das Negative zur Ukraine anders verarbeiten, als das Negative über Russland. Sie würden letzteres ausblenden. Oder negieren, bewusst oder unbewusst.

Um das zu verdeutlichen einmal ein paar typische Argumente dieser Klientel:

  • Wir werden Kriegspartei
    Das wurde bereits seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine reproduziert. Erst sollten wir Kriegspartei werden, weil wir Waffen liefern. Dann sollten wir Kriegspartei werden, weil wir Panzer liefern. Und nun werden wir Kriegspartei, weil wir demnächst angeblich Flugzeuge liefern. (Was Polen ja nun jetzt tut.)
    Dass wir nach wie vor keine Kriegspartei sind und dass das Völkerrecht eine ganz klare Definition zu Kriegsparteien hat wird ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass Russland deshalb sicher nicht die NATO angreifen würde. Stattdessen wird ausgeblendet, dass ein möglicher Angriff Russlands ausschließlich von Russland abhängt. Würde Russland auch nur einen Schmutz auf das Völkerrecht geben, stünde es nicht in der Ukraine. Und ob nun Polen oder Deutschland Jets liefert, ist völlig unerheblich. Es ist NATO: Würde Russland Polen angreifen, wäre Deutschland im Krieg. Zusammen mit 28 anderen Staaten.
  • Der Bruderkrieg
    Viele sind davon überzeugt, dass es sich bei dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine um einen Streit zwischen Brüdern handelt. Dass die Ukraine als eigene Entität seit mindestens Beginn des vergangenen Jahrhunderts durch Russland mit Gewalt unter Kontrolle gezwungen wurde und von Russland selber 1991 als souveräner Staat anerkannt wurde, wird ausgeblendet. Es ist kein Krieg zwischen Brüdern, sondern eine Prügelei zwischen einem besoffenen Vater mit einem Knüppel und einem Jugendlichen, der Geld nach Hause bringt, eine eigene Identität entwickelt und endlich ausziehen will.
  • Das Motiv der USA
    Selbstverständlich sind die Menschen in der Ukraine für keinen Staat das primäre Motiv. Auf keiner Seite. Aber es wird ständig das Narrativ argumentiert, die USA würden Europa vor den Karren spannen, um die Energieversorgung durch Russland zu ersetzen. Das ließe sich sehr leicht durch Statistiken widerlegen, die zeigen, dass die USA dadurch gar nicht so viel mehr fossile Brennstoffe verkaufen. Zudem werden ständig die Losungen „Fracking“ und „LNG“ benutzt, obwohl letzteres nur eine Form des Transportes ist und die USA nicht nur Fracking Gas produzieren. Der bereits 2021 erklärte Ausstieg aus russischen Energien wird ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass Deutschland Erdgas vor allem aus Norwegen ersetzt.
  • Das Interesse Europas
    Vor allem aber wird ignoriert, dass die Ukraine der größte Flächenstaat Europas und der größte Agrarproduzent ist. Was zusammen mit einem großen Absatzmarkt doch eher an die tatsächlichen Motive Europas kommt, als pseudophilosophische Thesen über Gas und Öl. Die einzig von der russischen Propaganda noch in den Kommentarspalten gehalten werden. Europa ist längst unabhängig, die Nummer ist durch.
  • Der durch die USA verursachte Putsch
    In der Operation Ajax haben die CIA und der MI6 einen Putsch gegen den demokratisch gewählten Iranischen Präsidenten Mossadegh ausgelöst. Weil der dafür stand, das iranische Öl frei von den USA und Großbritannien zu handeln. Das war allerdings in den frühen 1950ern.
    Dieses Modell wird nun einfach auf die ukrainische Revolution 2014 angewendet. Es wird argumentiert, der Euromaidan sei durch die USA forciert worden. Es wird ignoriert, dass ohne Einmischung von außen eine enorme Unzufriedenheit gab, vor allem mit der korrupten Regierung unter Janukowytsch. Alle Untersuchungen und Statistiken dazu werden ebenso ignoriert, wie die tatsächlichen Vorgänge im Winter 2013/2014.
  • Die Ukraine hat Menschen im Donbass getötet
    Es wird bis heute das Narrativ verbreitet, die Ukraine hätte vermeintlich willkürlich Menschen im Donbass getötet und bombardiert. Warum das so war, wird ausgeblendet.
    Es wird inzwischen eingeräumt, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine zwar bereits 2014 begonnen hat. Doch es wird verdrängt, warum es eigentlich dazu gekommen ist. Nämlich weil Milizien, vor allem getrieben von ultrarechten, nationalistischen und teilweise neonazistischen Russen, dort eigene Volksrepubliken ausgerufen haben. Ohne russische Unterstützung hätte kein Hahn danach gekräht.
    Und selbst wenn das nicht widerlegt werden kann, wird es dadurch entschuldigt, dass die Ukraine dort Russen unterdrückt und beispielsweise die russische Sprache verboten habe. Was ganz einfach nicht stimmt und sehr klar auf die russische Propaganda von 2014 zurückgeht. Es wäre leicht zu prüfen… Wenn man denn wollte.

Die Liste ist beliebig fortsetzbar.

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