Der Gegenangriff hat begonnen!

Heftige Gefechte im Süden, bereits hunderte Tote

Zunächst meldete die New York Times starke Gefechte im Süden. Unter Berufung auf zwei ungenannte Mitarbeiter des Pentagon. Dann berichtete die Washington Post. Inzwischen haben sich auch russische MilBlogger gemeldet und OSINT haben die Lage analysiert.
Es hat ein massiver ukrainischer Angriff im Süden begonnen.

Zunächst zur Ausgangslage
(Karte siehe unten)

Russland hat 2014 den größten Teil des Donbass im Südosten und die Halbinsel Krim annektiert.
Bereits in den ersten Wochen des Überfalls ist es Russland gelungen, diese beiden Gebiete durch einen breiten Korridor entlang der Küste zu verbinden.

Ende des vergangenen Jahres ist es der Ukraine gelungen, ein großes Gebiet der Ukraine im Osten zurückzuerobern. Um die Großstadt Charkiw wurde ein ganzes Bundesland (Oblast) zurückerobert. Die überforderten und zumeist schlecht ausgebildeten russischen Soldaten sind geflohen und haben hunderte Fahrzeuge und Panzer zurückgelassen.

Der Winter

Während des Winters haben die russischen Streitkräfte sich nun entlang dieses Frontverlaufs „eingegraben“. Sie haben Gräben ausgehoben, Minen verlegt und Stellungen befestigt. Dadurch haben sie auch die Nachschubwege gesichert, um Proviant, Munition und Waffen schnell von Russland aus über den Donbass bis auf die Krim bringen zu können.

Seitdem wurden der Ukraine viele moderne Waffen geliefert, beispielsweise Leopard II, US-amerikanische Bradley und britische Storm Shadow. Seit etwa März gab es Andeutungen der ukrainischen Militärführung, dass eine Gegenoffensive vorbereitet werde.

Diese Gegenoffensive läuft nun seit einigen Wochen. Jedoch anders, als viele es erwartet hatten. Vor allem Laien werden sicher mehr erwartet haben. Ich hatte das bereits mehrfach versucht zu erklären.

Die Gegenoffensive

Doch inzwischen kam auch Kritik von anderer Seite. Zuletzt in einem geleakten Papier der Bundeswehr, in das taktische und strategische Vorgehen der Ukraine analysiert wurde.
Denn es wurden zwar ukrainische Soldaten im Westen ausgebildet. Aber man sah den Kern der Ausbildung nicht strategisch umgesetzt: Das Gefecht der verbundenen Waffen.

Stattdessen schien es so, dass die Ukraine versuchte, die Einheiten aufzuteilen und Russland auf der gesamten Breite der etwa 1200 km langen Front zu bekämpfen. Was eher der alten, sowjetischen Strategie von „Masse statt Klasse“ entsprechen würde. Eine Masse, welche die Ukraine jedoch nicht hat.

Wobei Analysten bereits vor einigen Wochen geschätzt haben, dass die Ukraine frische Kräfte und viele der gelieferten Waffen zurückhält. Die Schätzungen gingen von neun bis 13 Brigaden aus.

Seit etwas zwei Tagen häufen sich nun die Informationen, dass es derzeit zu einem großen, punktuellen Angriff der Ukraine kommt. Was auch mit Meldungen der ersten, offenbar verheerenden Angriffe auf der Krim durch die britischen Storm Shadow Marschflugkörper zusammenfällt.
Diese „vorbereitenden“ strategischen Angriffe werden als „shaping“ (formgebend“) bezeichnet.

Bisherige Einschätzung

Das primäre Ziel der Ukraine muss sein, den russischen Korridor entlang der Küste zu durchbrechen. Dafür habe ich auf zwei naheliegende Möglichkeiten aufmerksam gemacht:
Einmal über die Route über Mariupol im Osten. Oder – strategisch naheliegender – die Route über Melitopol im Westen.

Melitopol wäre aus zwei Gründen naheliegender, auch wenn es sicher genau aus diesen Gründen besser verteidigt wird. Zum ersten finden um Melitopol seit Monaten sich ausweitende Partisanenkämpfe gegen die russische Besatzung statt. Auch mit größeren Waffensystemen wie Raketenwerfern. Russland ist nicht in der Lage, das unter Kontrolle zu bekommen. Was bedeutet, die Ukraine hat dort bereits einen Fuß in der Türe.
Zum zweiten liegt südlich von Melitopol der Molotschna-Liman, eine Art Fjord oder Golf. Da das Gelände dort aber sehr flach ist, ist es eine weite Sumpflandschaft. Und die ist mit einer großen Anzahl Truppen nicht zu durchqueren. Geschweige denn, dass man darüber Nachschubwege etablieren kann.

Würde die Ukraine von Norden aus nach Militopol durchstoßen, wäre das der kürzeste Weg um die russischen Nachschubwege zu durchbrechen. Und dann könnte die Krim nur noch mit dem Schiff oder über die nun bereits zweimal angegriffene Krim-Brücke versorgt werden. In umgekehrter Richtung wäre jeder Austausch zwischen Donbass und Krim ebenfalls erheblich erschwert.

Und genau auf dieser Linie finden nun heftige Gefechte statt.

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Starke Verluste bereits am ersten Tag

Von Orichiw kommend sind massiv Truppen, auch mit westlichen Waffensystemen (mehrere Bradley nachgewiesen), und offenbar im Verbund Richtung Süden vorgestoßen. In der Tiefe sind sie bis zu dem Städtchen Robotyne vorgedrungen.
In diesem ersten Angriff wurden mindestens 2,5km überwunden. Auch das ist verifiziert. Dabei sollen dutzende Panzer zerstört worden und mindestens 100 ukrainische Soldaten getötet worden sein. Das ist etwa der Stand von Donnerstagmorgen.
Doch diese Angaben sind mit Vorsicht zu behandeln. Der russische MilBlogger „Zapisky Veterana“ („Notizen eines Veteranen“) sprach von „einigen zerstörten Fahrzeugen“ und „dutzenden Gefangenen“. Putin selber sprach gegenüber einem Reporter von 39 gepanzerten Fahrzeugen.

Gestern sagten dann mehrere US-Offizielle, man solle mit der Einschätzung vorsichtig sein, dass dies bereits der Hauptangriff sei. Sowohl sie als auch OSINT (wie das Istitute for the Study of War) gehen davon aus, dass die ukrainischen Angreifer erfahrene und ausgeruhte Einheiten sind. Diese erwähnten Brigaden, die in der Reserve gehalten wurden.
Auf russischer Seite hingegen sind Einheiten, die seit mindestens Beginn der Gegenoffensive im Juni nicht ausgetauscht oder aufgestockt wurden. (71st Motorized Rifle Regiment)

Relation

Das russische Verteidigungsministerium geht davon aus, dass bei dem derzeitigen Angriff drei Bataillone eingesetzt werden. Drei Bataillone ergeben eine Brigade. Doch diese Zahlen dürften gemäß der russischen Propaganda hoch angesetzt sein.
Doch selbst wenn sie realistisch sind, warten ja noch etwa acht bis zwölf weitere Brigaden auf ihren Einsatz.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass in den nächsten Tagen und Wochen häufiger von Melitopol, Tokmak und Robotyne zu hören und lesen sein wird.
Um auch hier falschen Erwartungshaltungen vorzubeugen: Auch ein solcher massiver Angriff wird Wochen, wenn nicht Monate dauern. Und es ist davon auszugehen, dass die dortigen Verluste der Ukraine die größten des gesamten Krieges sein werden.

Bisher wird es jedoch immer wahrscheinlicher:
Der Gegenangriff der Ukraine hat begonnen.

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