Die ukrainische Gegenoffensive erklärt

Falsche Erwartungshaltungen

Die ukrainische Gegenoffensive wird kommen. Da das aber inzwischen durch das Netz 2.0 und die Medien so publik gemacht wurde, kommt offenbar eine falsche Erwartungshaltung auf.
Gegenoffensive für Dummies.

„Am 9. Mai wird ein Feuerwerk abgebrannt!“ So und so ähnlich ist es immer wieder in Kommentarspalten zu lesen. Auch auf der U.M. Facebook Fanpage.
Denn am 9. Mai wird in vielen Ländern der „Tag des Sieges“ gefeiert, der Sieg über das Dritte Reich. (Belarus, Kasachstan, Serbien, Georgien, etc.) Frankreich feiert ihn bereits am 8. Mai.

Dazu muss man vielleicht auch wissen, dass das Zutun Russland zu dem Sieg über Deutschland durch die sowjetische Propaganda enorm überhöht wurde. Das wird dadurch unterstützt, dass Russland Berlin eingenommen hatte und 40 Jahre an der DDR als Vasall festhielt. Die Rolle der westlichen Alliierten, vor allem der USA, wird höchstens löblich zur Kenntnis genommen.
Das kann man beispielsweise auch daran ermessen, dass dieser Tag in Frankreich keine so überragende Rolle spielt. Er sollte gar mal abgeschafft werden, inzwischen ist er nur noch über das Arbeitsgesetz als Feiertag definiert. Die große Militärparade in Paris findet am Nationalfeiertag am 14. Juli statt.

In Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken wird der Zweite Weltkrieg „der große vaterländische Krieg“ genannt. Der Tag wird üblicherweise mit großen Militärparaden in ganz Russland begangen. Viele in ukrainischer Reichweite wurden aus Sicherheitsgründen bereits abgesagt.

Gemeint ist mit solchen Kommentaren, dass am 9. Mai die Gegenoffensive der Ukraine starten wird. Oder massive Angriffe auf Russland beginnen werden. Hintergrund ist vielleicht auch, dass einige ukrainische Politiker „Überraschungen“ angekündigt haben.

Persönlich rechne ich mit einem Kriegstag wie jedem anderen auch. Im Osten nichts Neues.
Natürlich kann es durchaus sein, dass an diesem Tag Anschläge von Partisanen verübt werden. Auch mehrere koordiniert. Denn spätestens mit dem Anschlag in Brjansk in der vergangenen Woche, bei dem vermutlich durch Sprengung der Gleise ein Güterzug mit 20 Waggons entgleist ist, geht man in Militärkreisen von Partisanen auch in Russland aus.

Aber die Erwartungshaltung, die gegenüber dieser Gegenoffensive aufgebaut wird, kann nur enttäuscht werden.

Die Nummer ist zu groß

Einige scheinen damit zu rechnen, dass ein Meer von Panzern am Horizont erscheint, wie Gandalf mit dem Reiterheer der Riddermark Rohans mit der aufgehenden Sonne im Osten erscheint.
Das wird nicht passieren. Weder wird es einen solchen, zentralen Angriff geben. Noch wird die Gegenoffensive Russland aus der Ukraine vertreiben.

Denn dazu ist der Krieg zu groß. Die Frontlinie spannt sich über mehr als 1000 km. Länger als Deutschland hoch ist. Lesen wir über Vorkommnisse im Donbass, Charkiv oder auf der Krim, sind das Distanzen und Unterschiede wie zwischen München, Hamburg, Köln und Berlin.

Das macht vielleicht auch deutlich, um wie vieles größer die Gefechte des Ersten und Zweiten Weltkrieges waren. Und wie vergleichsweise „harmlos“ dieser Krieg abläuft. Alleine bei der Eroberung von Kursk (Unternehmen Zitadelle) sind mehr Menschen eingesetzt worden und gestorben, als im Krieg in der Ukraine. In weniger als zwei Wochen. Und das wiederum macht deutlich, mit welchem Mindsetting viele russische Generäle wohl noch an die Sache herangehen.
Und doch ist es der Krieg dieser Generation, der inzwischen Ausmaße angenommen hat, mit denen vor 2022 kaum jemand gerechnet hatte.

Eigentlich hat die Gegenoffensive bereits begonnen.
Um das zu sehen und zu verstehen, muss man ein wenig Militär sprechen.

Shaping Operations

Zu Beginn des Überfalls hatte ich auf der Facebook Fanpage erklärt, wie so eine Eroberung funktioniert und was die Russen da gerade machen. Es gibt – laienhaft vereinfacht – drei Phasen. In der ersten Phase versucht man unter anderem die feindliche Kommunikation zu stören und neuralgische Verkehrswege zu besetzen oder zerstören. Man reitet nicht einfach in ein anderes Land. In der zweiten Phase wird gekämpft, in der dritten Phase das eroberte Land befestigt.

Vor Kiew ist Russland bereits gescheitert, es wurde vor der zweiten Phase zu Klump geschossen. Im Donbass und auf der Krim hatte es weite Teile bereits unter Kontrolle, weil es ja bereits seit 2014 dort eingegriffen hat. Da musste es also gar nicht mehr viel machen. Nun stockt es auf breiter Linie entlang der so genannten Front in Phase zwei. Es passiert nichts mehr, Russland ist die Puste ausgegangen.

Etwa so funktioniert dann auch eine Gegenoffensive. Nur sind die Vorzeichen andere.
Was die Ukraine gerade macht, ist eigentlich typisch westliche Kriegsführung. Was nicht bedeutet, dass die NATO oder die USA dahinterstecken. Auch die ukrainischen Militärs haben sich über Jahre hinweg dem Westen angenähert.

Was wir aktuell sehen, sind im NATO-Jargon so genannte „Shaping Operations“. „Shaping“ bedeutet auch so viel wie „in Form bringen“ oder „Modellierung“. Technisch und materiell überlegene bzw. an Personal unterlegene Streitkräfte lieben Shaping Operations. Dafür haben wir beispielsweise so präzise Artillerie, Kampfschwimmer und Flugabwehr.

Die drei Ziele von Shaping Operations auf der nächsten Seite:

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PrologAufgrund einer offenen Umfrage auf der Facebook Fanpage habe ich mich dazu entschlossen, diesen Artikel ohne Bezahlschranke bereitzustellen. Er ist auch auf der Steady Seite für Abonnenten erschienen. Walter Isaacson ist Geschichtsprofessor für Geschichte, ehemaliger […]