Eine kurze Geschichte vom ukrainischen Nationalismus

Was ist dran, an der Entnazifizierung?

Die verschiedenen Perspektiven

Diese Vorgeschichte macht zwei Dinge deutlich.

Zunächst wird durch den Hintergrund verständlich, warum in der Ukraine viele „Russen“ leben. Damit sind nicht zwangsläufig russische Staatsbürger gemeint. Die Begriffe werden auch in der Ukraine und Russland nicht immer sauber getrennt.
Natürlich versteht Russland alle Russischstämmigen als „echte Russen“. Auch Ukrainer, die einfach nur russisch sprechen, weile s lange Amtssprache war. Und hat nach den Schau-Referenden in den besetzten Gebieten inzwischen angefangen, russische Staatsbürgerschaften an Ukrainerinnen und Ukrainer zu verteilen.

Östlich des Dnepr leben viele Russischstämmige, in einigen Gegenden bis über 50 Prozent. Umso weiter man nach Westen kommt, umso weniger werden es. Ganz im Westen leben auch noch Polen und Bulgaren, auf der Krim viele Krimtataren, also Nachkommen der Turkvölker und Mongolen, und so weiter.

Das erklärt vor allem die Beziehung der Ukraine zu Russland.
Russland wird in der Ukraine allgemein als Besatzer gesehen, von vielen gar gehasst. Der Holodomor ist tief in der ukrainischen Seele verankert.

Karte von Großrussland („Moskowien“, 1681)

Umgekehrt versteht Russland die Ukraine aber als ihren Vorgarten, ihre Kornkammer. Deshalb sprechen viele der putinistischen, ultrarechten und revisionistischen russischen Politiker der Ukraine eine Existenzberechtigung ab.
Viele vertreten bis heute die alte Vorstellung des dreieinigen russischen Volkes (Триединый русский народ), eine Spielart des Panslawismus. Bestehend aus Russland, Belarus (Weißrussland) und der Ukraine (Kleinrussland). Ziel ist ein Großrussland, welches alle slawischen Völker vereint. Geschichtlich werden meist die Kiewer Rus als Ursprung dieses gesamtrussischen Volkes angesehen. So wie die Nazis die Germanen als Ursprung alles Deutschen definierten, obwohl die meisten nie germanisch waren. Was sich aber in der öffentlichen Wahrnehmung bis heute gehalten hat.

Genau deshalb sind die Begründungen Putins und seiner Führungsriege unglaubwürdig, es ginge bei dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine um Sicherheit oder Entnazifizierung.
Atom-U-Boote der NATO können recht leicht in der Ostsee bis vor die Haustür von St. Petersburg und Moskau fahren und von dort aus Raketen abfeuern, ohne auch nur aufzutauchen. Der Vorteil einer Seite durch die Ukraine ist also nicht so groß, wie die russische Propaganda glauben lässt.

Und zur Entnazifizierung kommen wir jetzt.

Der ukrainische Nationalismus

1929 wurde in Wien die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) gegründet. Nationalistische Bewegungen in der Ukraine kamen bereits seit 30 Jahren langsam auf.

Laut Wikipedia ist Nationalismus eine Ideologie, welche „eine Identifizierung und Solidarisierung aller Mitglieder einer Nation anstrebt und letztere in einem souveränen Staat verbinden will.“
Im Grunde vertreten also auch die AfD, die französische Rassemblement National, die italienische Regierungschefin Meloni mit gleich mehreren Parteien und Trumps „Amerika First“ eindeutig Nationalismus.
Das ist nicht gleichzusetzen mit Nationalsozialismus.

Bedenkt man den geschichtlichen Hintergrund der Ukraine, versteht man eher, was die grundsätzliche Motivation des ukrainischen Nationalismus war und in dem weit überwiegenden Teil bis heute geblieben ist: Die Schaffung eines ukrainischen Staates und der Souveränität des ukrainischen Volkes und seiner Kultur.

Und dieser ukrainische Nationalismus war vor dem Hintergrund des zweiten Weltkriegs Spielball zwischen Nazi-Deutschland, seinen Verbündeten und der Sowjetunion.

Der ukrainische Rechtsextremismus

Häufig genannt wird der Politiker und Partisanenführer Stepan Bandera. Der zu einer der Führungsfiguren der OUN wurde.
In den Wirren des Weltkriegs zersplitterte diese in die OUN-B unter Bandera und OUN-M unter Andrij Melnyk.

Beide vertraten radikale Ansichten. Sie strebten die Gründung eines ukrainischen Staates an, wollten jedoch Russen, Polen, Juden und andere aus der Ukraine vertreiben. Sie waren eindeutig rechtsextremistisch.
Die Gruppe unter Melnyk stellte ukrainische Freiwillige für die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS, die Gruppe unter Bandera beteiligte sich an Programen an jüdischen Zivilisten in Polen.

Doch beide hatten ihre Rechnung ohne die Nazis gemacht. Denn die sahen die Slawen nicht als gleichwertig, geschweige denn gleichberechtigt an. Das ist einer der Unterschiede zwischen Rechtsextremismus und Nationalsozialismus. Sie benutzten die ukrainischen Rechtsradikalen als „nützliche Idioten“, ein souveräner, ukrainischer Staat war ihnen dann aber doch zu viel.
Beide wurden nach dem deutschen Überfall auf Russland verhaftet und landeten als „Ehrenhäftlinge“ unter anderem im KZ Sachsenhausen.
Als die Nazis Bandera 1944 eine Zusammenarbeit anboten, hatte er offenbar verstanden, wo der arische Hase langläuft und lehnte ab.

In der Ukraine waren beide nicht mehr gerne gesehen. Nach dem Krieg ging Melnyk nach Luxemburg. Bandera flüchtete über Österreich wieder nach Deutschland. Wo er in München 1954 mittels Blausäuregas-Pistole von dem KGB-Agent Bogdan Staschinski ermordet wurde.

Weiter auf der nächsten Seite:

Aktuelles