Eine kurze Geschichte vom Deutschsein

Exkurs in Identitätssuche

Eigentlich ist ja alles ganz einfach. Es gab die Germanen, die bezwangen die Römer, Karl der Große, Otto der Große, Zack: Deutschland. So lernen wir es in der Schule. Zwischen Kreideholen und Reli Freitag sechste Stunde. Auf diesem Bild gründet sich jeder deutsche Nationalismus unerschütterlich und solide.
Dabei war alles ganz anders.

Zunächst sollte man verstehen, dass „germanisch“ eine historische Kultur ist. Genauso wie Historiker „Griechenland“ sagen, aber eigentlich Athen, Sparta, Korinth und viele andere meinen. Ein großer Teil des heutigen Deutschlands war nicht einmal germanisch. Der gesamte südliche Bereich war keltisch. Und es gab Vermischungen.

Diese germanische Kultur war aus Skandinavien, zu dem wir auch einmal großzügig Schleswig-Holstein zählen, nach Süden „eingewandert“. Die Mode, die Sprache und die Religion wanderten ein. Die Menschen blieben die gleichen. Wie wir heute Jeans tragen, Kaugummi kauen, Anglizismen verwenden und trotzdem keine Amerikaner sind.

Erst der griechische Philosoph Poseidonios aus dem heutigen Syrien erwähnte um 80 v. Chr. zum ersten Mal „Germanen“.
Als Julius Caesar dann seine Propaganda zum Krieg in Gallien schrieb, beschrieb er auch die Germanen. Was mit Vorsicht zu genießen ist. Denn die germanischen Stämme östlich des Rheins werden sich nicht wahnsinnig von den keltischen Stämmen in Belgien unterschieden haben.

Und vor allem haben die Germanen sich nie als Germanen verstanden. Man fühlte sich seinem Clan und dann seinem Stamm zugehörig. Es gab keine nationalen Grenzen, wie wir uns das heute vorstellen. Deshalb sind auch die Karten aus der Zeitenwende immer sehr ungenau. Man weiß ungefähr, wo die Stämme gelebt haben. Aber eben nicht genau. Grenzen waren meist Flüsse, Bäche, Wälder oder andere natürlichen Grenzmarken. Und wer einen Hof besaß, konnte auch mal den Stamm wechseln.

Als Arminius im Jahr 9 n. Chr. für die Varus Schlacht einige Stämme vereinte, war das ein kurzes Aufblitzen. Neben seinen eigenen Cheruskern hatte er unter anderem die Brukterer, Usipeter, Chatten, Chattuarier, Tubanten und Angrivarier vereint. Ob die sich wirklich selber so genannt haben, ist unsicher. Arminius war kein König, es war ein loser Bund von Stämmen. Kaum acht Jahre später führte er Krieg gegen andere Germanen. Und im Jahr 21, etwa elf Jahre nach der großen Schlacht, wurde er von seinen Verwandten ermordet. So viel zur Nibelungentreue.

Diese Entwicklung und diese Verteilungskämpfe hielten mehrere Jahrhunderte an. Im Jahr 98 schrieb Tacitus seine „Germania“. Und der beschrieb die Germanen schon als „untermischt mit anderen Völkern“. Das ist auch schon die letzte greifbare „zeitgenössische“ Erwähnung der Germanen.
Richtig gelesen. „Die Germanen gab es von 80 vor bis 98 nach Christi. Es ist fast absurd, dass wir das heute noch in der Schule lernen.
Historiker sprechen heute nur noch von „germanisch“, wenn sie von einer Materialkultur sprechen, von Sprachen oder von bestimmten Aspekten in der Gesellschaft oder Religion. Germanen waren nie „ein Volk“. Dänen und Niederländer waren auch germanisch, niemand käme auf die Idee sie mit Deutschen gleichzusetzen. Obwohl das richtiger wäre, als heutige Grenzen einfach überzustülpen.

Das Bild der germanischen Religion muss inzwischen neu bewertet werden. Die Religion unterschied sich zu der Zeit nicht nur fundamental zwischen Kelten und Germanen. Sondern von Stamm zu Stamm und von Region zu Region. Es gab keine Religion mit einer festgelegten Götterwelt. Zumal sich auch das römische, griechische und ägyptische Pantheon ständig änderte.
Ich lebe beispielsweise im Rheinland. Hier wurden Muttergottheiten verehrt, die so genannten Matronen. Überall lassen sich so genannte Matronensteine finden. Und die gab es überschneidend bei Kelten, Germanen und sogar hier stationierten römischen Legionären. Ob hier jemals jemand an Thor, Odin oder Wotan, oder Freyr geglaubt hat, ist doch eher dünn.

Diese germanischen Stämme wuchsen zusammen und vergrößerten sich. Durch Allianzen, Hochzeiten, Mord und Totschlag. Einer dieser Großstämme waren die Franken (ca. 400), die bis heute im geflügelten Wort „frank und frei“ verblieben sind. Und dabei wird deutlich, wie schwierig es ist, das auf heutige Staatsgrenzen zu übersetzen. Denn aus den Franken ging das Geschlecht der Merowinger hervor. Die das heutige Frankreich (i.e. Frankenreich) begründeten. Auch die sind dort nicht eingewandert, die Menschen vor Ort blieben die gleichen. Es war immer die Kultur und die herrschende Klasse.
Die regierten auch nicht von Deutschland aus, sondern u.a. aus Tournai (Doornik) im heutigen Belgien. Wobei Könige auch immer unterwegs sein mussten. Es gab keine wirkliche Hauptstadt und die meisten Burgen waren aus Holz.

Runen werden gerne den Deutschen zugeschrieben, was schlicht falsch ist. Es sind zwar in der Hochzeit viele Runen auch im Südwesten Deutschlands belegt. Aber nur dort, wo auch wirklich Germanen lebten. Und sie waren nie eine wirkliche Schriftsprache, sondern dienten als (religiöse) Inschriften. Und sie verschwanden im siebten Jahrhundert, bevor es auch nur annähernd so etwas wie ein Deutschland gab.
Sucht man eine „deutsche Schrift“, so wäre es eher die karolingische Minuskel. Die unseren heutigen „Kleinbuchstaben“ ähnelt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wann es endlich „deutsch“ wurde.

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