Plötzlich und unerwartet: Die Tode russischer Eliten

Putins Todeslisten oder Mafia?

Es hat in Russland Tradition, unliebsame Personen aus dem Weg zu räumen. Was auch in der Vergangenheit häufig als Unfälle oder Selbstmorde getarnt wurde.
Doch seit dem Krieg in der Ukraine hat das eine neue Qualität erreicht. Was auch westliche Nachrichtendienste wohl noch nicht so recht einordnen können.

Um einen Eindruck zu vermitteln, werde ich im Folgenden zeigen, was vor dem Überfall auf die Ukraine in Russland bereits üblich war. Im zweiten Teil werde ich – vermutlich unvollständig – auflisten, wer seit dem Überfall auf die Ukraine plötzlich, unerwartet und unter merkwürdigen Umständen verstorben ist. Und im dritten Teil werde ich zwei mögliche Szenarien erklären, was da in Russland wahrscheinlich los ist.

Dass ehemalige russische Geheimdienstleute oder Feinde auch im Ausland mal der plötzliche Tod dahinraffen kann ist bekannt. Das hat Tradition. Zu Sowjetzeiten hat sich der Begriff des Dissidenten eingebürgert.

Der bekannteste Vorfall dieser Art, der auch in Filmen und Büchern häufig verwendet wurde, war der Mord an Georgi Iwanow Markow.
Am 07. September 1978 ging der nach London geflohene bulgarische Schriftsteller über die Waterloo Bridge und wurde versehentlich von einem Passanten mit einem Regenschirm am Unterschenkel verletzt.

Wie sich später herausstellte war der Passant der in Italien geborene Däne Francesco Gullino, der im Auftrag des bulgarischen Geheimdienstes das Attentat verübt hatte. Bei dieser „zufälligen“ Verletzung wurde Markow eine winzige Kugel mit Gift injiziert. Welches Gift es war, konnte nie nachgewiesen werden. Der ehemalige Generalmajor des KGB Oleg Kalugin bestätigte jedoch später, dass sowohl Gift als auch Kugel vom KGB kamen.
Markow starb vier Tage später. Der Vorfall ging als „Regenschirmmord“ in die Geschichte der Geheimdienste ein.

Etwas ähnliches passierte am 15. Juli 2011 dem deutschen Informatiker Christoph Bulwin in Hannover. Bulwin verfolgte den Täter, konnte ihm die Spritze entreißen, der Täter entkam jedoch.
Da Bulwin aber keinerlei Verbindungen zu Russland oder Nachrichtendiensten hatte, dachte er sich wohl, es habe sich um einen Angriff eines psychisch Gestörten gehandelt.

Er bekam Kopfschmerzen, seine Haut schälte sich ab. Später konnte Dimethylquecksilber nachgewiesen werden. Da die Erkenntnis zu spät kam, kam auch jede Hilfe zu spät. Er fiel später in ein Wachkoma und verstarb im darauffolgenden Jahr an einem epileptischen Anfall.
Man geht inzwischen von einer Verwechselung aus. Geklärt wurde der Fall nie. Zeugen hatten den Täter aber zuvor schon häufig auf der Straße gesehen.

Der Überläufer, der Putin zu nah kam

1999 waren Bombenanschläge auf zwei Wohnhäuser in Moskau verübt worden. 367 Menschen kamen ums Leben und über 1000 wurden verletzt.
Gemäß der offiziellen Ermittlungen waren dafür tschetschenische Separatisten verantwortlich. Was Wladimir Putin die Möglichkeit gab, sich als starker Mann zu präsentieren. Die im In- und Ausland angezweifelte Version wurde als Grund genommen, den zweiten Tschetschenienkrieg zu beginnen. Im gleichen Jahr wurde Putin zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt.

Der Abgeordnete Sergei Kowaljow gründete eine Untersuchungskommission. Die kam zu dem Ergebnis, der Inlandsgeheimdienst FSB stecke hinter den Bombenanschlägen. Zu der Zeit war Putin Direktor des FSB. (Федеральная служба безопасности Российской Федерации, Federalnaja sluschba besopasnosti Rossijskoi Federazii, Inlandsgeheimdienst)
Die Lebenserwartung der führenden Kommissionsmitglieder verringerte sich daraufhin rapide. Einer starb an einer allergischen Reaktion, einer wurde wegen Waffenbesitzes vor Gericht gestellt, der Vorsitzende wurde vor seiner Wohnung von einem Unbekannten erschossen.

Litwinenko kurz vor seinem Tod

Alexander Litwinenko war ursprünglich ein Offizier des KGB und des Nachfolgers FSB und 2003 zum britischen MI6 (Military Intelligence, Section 6, Auslandsnachrichtendienst) übergelaufen. Er veröffentlichte unter anderem ein Buch, in dem er die Verantwortung für diese Bombenanschläge dem FSB zuschrieb.

Am 1. November 2006 wurde Litwinenko in der Bar des Millennium Hotel vergiftet. Mit Polonium in einem grünen Tee.
Wer das Gift letztendlich in den Tee getan hatte, konnte nie geklärt werden. Der untersuchende Sir Robert Owen kam zu dem Schluss, der Mord musste vom Leiter des FSB Nikolai Patruschew abgenickt worden sein. Einem Silowiki aus dem Umfeld Putin, der mit hoher Wahrscheinlichkeit selber Kenntnis hatte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schloss sich dem an.

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