Wie Russland die Nord Stream Pipeline sprengte

Eine heuristische Gegenüberstellung

Die Diskussion um die Sprengung der Nord Stream Pipelines ist wieder entflammt. Durch einen Artikel des US-amerikanischen Journalisten Seymour Hersh.
Orakeln ist wenig hilfreich. Versuchen wir es einmal anders.

Möchte man zu komplexen Themen veröffentlichen, ist es ein Tanz auf Twitters Schneide. Denn wird der Beitrag zu lang, wird er weniger verstanden und noch häufiger erst gar nicht gelesen. Wird der Beitrag zu kurz, setzt man sich dem Vorwurf der Ungenauigkeit aus.

Bei den Sprengungen der Nord Stream Pipelines handelt es sich bereits um einen komplexen Vorgang. Den man mit detektivischem Gespür aufarbeiten muss.
Versucht man dann auch noch anhand von Indizien, die bei Geheimhaltung mangelhaft sein müssen, einen Täter zu überführen, ist das nahezu aussichtslos.

Ähnlich hat es nun der US-amerikanische Journalist Seymour Hersh gemacht. Der offenbar einzig um Aussagen einer anonymen Quelle eine ganze Geschichte aufgebaut hat. Und die am 08.02.2023 auf seinem Blog veröffentlicht wurde. Die so schnell zerlegt wurde, dass es sich kaum noch lohnt, überhaupt ein Wort darüber zu verlieren. Weshalb klar wird, warum sie nicht in der New York Times erschienen ist.

Kein mir bisher bekannter Erklärungsversuch geht über den Status einer Theorie hinaus. Nicht einer. Egal, wer am Ende als angeblicher Schuldiger ausgemacht wird.

Und nur um es ganz deutlich zu sagen: Meiner auch nicht. Denn würde ich es wissen und nach journalistischen Standards belegen können, würde ich das nicht auf diesem Blog veröffentlichen. Sondern in der Washington Post. Und schon einmal einen Flug zur Pulitzer-Preisverleihung buchen.

Der Titel ist lediglich eine Reminiszenz an den Artikel von Seymour Hersh. („How America Took Out The Nord Stream Pipeline“) Die hiermit aufgelöst sei, um nicht den Verdacht des übermäßigen Clickbaiting zu erregen.

Ich verabschiede mich daher an dieser Stelle von Antiamerikanisten, Russlandfreunden und ehemaligen Epidemiologen. Drei Seiten sind aber auch echt viel zu lesen. Ich verstehe das.

Schorsch Holmes und das Geheimnis der gesprengten Gasleitung

Sie wollen trotzdem weiterlesen? Schön. Setzen Sie sich, nehmen Sie sich `nen Keks.

Wozu schreibe ich das hier also?
Richtig: Medienkompetenz.

Denn in fast allen Variationen von „Schorsch Holmes und das Geheimnis der gesprengten Gasleitung“, die ich bisher gelesen habe, waren Logikfehler zu finden. Das hat zwei signifikante Ursachen.

Entweder, bestimmte Fakten waren nicht bekannt. Oder Fakten wurden bewusst oder unbewusst ausgeblendet.
Letzteres liegt daran, dass die Meisten glauben, dass der eine oder der andere der Täter war. Und dann ausschließlich Fakten beachten, die ihre These stützen. Argumente, die ihre Aussage widersprechen, werden ignoriert oder gar nicht zur Kenntnis genommen. In der Psychologie spricht man vom confirmation bias oder vom Bestätigungsfehler.
Es kann natürlich auch sein, dass der Erzähler einfach drauf pfeift und Klicks und Aufmerksamkeit haben will. Soll es ja geben.

Ich möchte versuchen, eine chronologische Abfolge der relevanten Fakten zu liefern. Und anschließend anhand der Fakten wie bei Agatha Christie die unterstellten Motive, die Gelegenheit, die Pros und die Cons durchzugehen.

Selbst das kann bei aller Sorgfalt bereits tendenziös sein. Denn aufgrund der Tatsachen habe ich einen Verdächtigen. Was die Darstellung unbeabsichtigt verfälschen könnte.
Doch den Verdacht habe ich aufgrund der vorliegenden Fakten. Weil es mir am plausibelsten erscheint. Wissen tue ich nichts. Und ich bin mindestens so ergebnisoffen, dass mein Weltbild nicht zusammenstürzt, wenn es doch jemand anders war. Würde mich wundern, aber dann ist das halt so.
Das ist der Unterschied zu Verschwörungsspinnern.

„Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“

Sherlock Holmes, Die Beryll-Krone, 1892

Außerdem ist die Vorstellung eines rein berichtenden Journalisten Unfug. Die wird von Menschen vertreten, die ihre verquere Meinung unterrepräsentiert sehen. Journalismus war immer schon auch Meinungsäußerung.

Ich kann nicht mehr, als zu versprechen, mich um Sachlichkeit zu bemühen.

Die chronologische Abfolge

  • 16.11.2021: Die Bundesnetzagentur teilt mit, dass die Zertifizierung für Nord Stream 2 ausgesetzt wurde.
  • 07.02.2022: Präsident Biden sagt auf einer Pressekonferenz mit Scholz, bei einem Einmarsch Russlands werde es kein Nord Stream 2 geben.
  • 22.02.2022: Bundeskanzler Scholz teilt mit, dass die Zertifizierung von Nord Stream 2 gestoppt ist. Das Projekt ist damit de facto beendet. Noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.
  • Februar 2022: Der Betreiber Nord Stream 2 AG, 100%ige Tochter der staatlichen russischen Gazprom mit Sitz in der Schweiz, entlässt 106 Mitarbeiter. Es verbleiben nur 40 Mitarbeiter im administrativen Bereich. Später wird ein Verwalter durch ein Kantonsgericht eingesetzt werden.
  • April 2022: Die russischen Gaslieferungen wurden bereits von 55% auf 40% gedrückt. Wirtschaftsminister Habeck geht davon aus, die russischen Ölimporte bis zum Sommer zu halbieren. Zum Herbst soll komplett auf russische Kohle verzichtet werden.
  • 02.09.2022: Die FDP-Fraktion fordert den Rückbau von Nord Stream 2. Alle Rohstoff- und Energiekäufe aus Russland sollen gestoppt werden.
  • 02.09.2022: Die zuvor bereits deutlich eingeschränkte Lieferung von Gas wird durch Russland eingestellt.
  • 05.09.2022: Wirtschaftsminister Habeck sagt in einem Interview im ZDF heute nach einem vorherigen Stresstest „Dass Nord Stream 1 wieder aufgemacht wird, gehört nicht zu den Szenarien, von denen ich ausgehe“.
  • 26.09.2022 02:03 Uhr: In der Nacht wird ein Druckabfall in Strang A von Nord Stream 2 verzeichnet. Dänische und schwedische Seismologen verzeichnen eine Explosion.
  • 26.09.2022 19:03 Uhr: Am Abend wird ein Druckabfall in Beiden Strängen von Nord Stream 1 verzeichnet. Dänische und schwedische Seismologen sprechen erneut von einer Explosion.
  • 27.09.2022: Die schwedischen und dänischen Behörden nehmen Ermittlungen auf, da die Lecks nicht in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet, aber in ihrer „ausschließlichen Wirtschaftszone“ liegen.
  • 27.09.2022: Schweden, Dänemark, Polen, Deutschland und die EU-Kommission sprechen offiziell von einer vorsätzlichen Handlung.
  • 18.11.2022: Schweden bestätigt in einem abschließenden Bericht die Sprengung. Analysten haben Reste von Sprengstoff gefunden.

Die üblichen Verdächtigen auf der nächsten Seite:

Aktuelles

Krieg

Wie Elon Musk in den Krieg eingriff

PrologAufgrund einer offenen Umfrage auf der Facebook Fanpage habe ich mich dazu entschlossen, diesen Artikel ohne Bezahlschranke bereitzustellen. Er ist auch auf der Steady Seite für Abonnenten erschienen. Walter Isaacson ist Geschichtsprofessor für Geschichte, ehemaliger […]