Wer sagt die Wahrheit über Butscha?

Mutmaßungen auf Social Media

Inzwischen wurde ich mehrfach per PN auf der Facebook Fanpage darum gebeten, irgendwelche Quellen zu Butscha zu beurteilen.
Die Fragen wurden vorab auf der Facebook Fanpage beantwortet.

Die eine Quelle behauptet, die Leichen seien alle gestellt. Auf einem bekannten Video könne man sehen, wie eine der Leichen sich angeblich bewegt. (Falsch!) Die nächste Quelle behauptet, da einige der Leichen weiße Armbinden tragen, seien sie von Ukrainern erschossen worden. Diese Armbinden seien Zeichen der russischen Truppen.

Dazu möchte ich einmal grundsätzlich erklären, was mir erst gestern durch eine Frage in den Kommentaren bewusstwurde. Es gibt ein großes Missverständnis zu dem Begriff „Kriegsverbrechen“.
Kein Land, Staat oder militärische Einheit wird wegen Kriegsverbrechen bestraft. Ein Kriegsverbrechen ist (vereinfacht) ein Verbrechen wie jedes andere auch, nur halt im Krieg.
Das bedeutet, für jedes Kriegsverbrechen gibt es einen oder mehrere Täter, ein Motiv, einen Tathergang und so weiter.

Slobodan Milošević sollte beispielsweise nicht einfach verurteilt werden, weil er Präsident von einem Land war, das Kriegsverbrechen begangen hat. Sondern weil er persönlich mutmaßlich Verbrechen begangen hat. Es gab verschiedene Anklagepunkte, Millionen Seiten von Beweisunterlagen, und so weiter.

Es ist also unsachlich nun hinzugehen und zu sagen, alle in Butscha Getöteten sind Opfer eines „Massakers“. Das ist eine völlig vereinfachende Vorstellung. Befeuert durch die Medien.
Genau das ist nebenbei der Grund, warum ich mich gegen diese Bezeichnung wehre. Weil sie militärisch ganz einfach etwas anderes bedeutet.
So etwas hat es auch in den Jugoslawien-Kriegen gegeben: Opfer von Gefechten wurden in den Medien als „Massaker“ bezeichnet, über andere „echte“ Massaker wurde kaum berichtet.

Wikipedia: „Im Völkerrecht werden genauer definierte Begriffe wie Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet, weil die Bezeichnung Massaker unscharfe Nebenbedeutungen mit sich trägt und deshalb propagandistisch leichter missbraucht werden kann.“

Ein „Massaker“ in diesem Kontext wäre es, wenn dort 10 unbewaffnete Zivilisten von einer Einheit erschossen worden wären. Doch das hat so offenbar nicht stattgefunden.

Die New York Times hat gestern einen Beitrag veröffentlicht, in der die Satellitenbilder der Firma Maxar abgeglichen wurden. (Foto: Screenshot) Diese zeigen, dass diese Leichen auf der Yablonska Straße, die in dem bekannten Video zu sehen sind, dort seit mindestens dem 19. März liegen. Ein verlassenes Auto und ein Toter – offenbar der Fahrer – erst ab dem 21. März. Und zu dem Zeitpunkt haben dort noch Kämpfe stattgefunden. Man sieht Spuren von Granatbeschuss auf der Straße. (So unsinnig sind also Spekulationen, Leichen hätten sich bewegt.)
Einige Leichen sollen laut Times sogar über drei Wochen dort liegen.

Das belegt:

  • Die Menschen wurden nicht in einem singulären Geschehen getötet.
  • Die Menschen wurden nicht nach dem Abzug der russischen Truppen getötet.
  • Die Menschen wurden nicht während des Abzugs der russischen Truppen getötet.
  • Die russische Behauptung, die Menschen seien durch Ukrainer getötet worden, ist mehr als unwahrscheinlich.
  • Die auf den Satellitenbildern zu erkennenden Leichen sind keine „Hoaxes“, wie Russland behauptet.

Und so muss man auch beurteilen, wenn dort zwei tote junge Männer liegen, mit sauberer Kleidung. Worauf ich hingewiesen habe. Die passen nicht in den Kontext auf dieser Straße. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass das gestellt ist. Sondern dass sie offenbar zu einer anderen Zeit bzw. in einem anderen Geschehen getötet wurden, als die anderen Leichen, die dort seit dem 19. März liegen.

Butscha hatte vorm Krieg 35.000 Einwohner. Und es war mindestens sechs Wochen umkämpft. Einige dieser Leichen lagen auf der besagten Yablonska Straße. Andere wurden in Kellern gefunden, andere in Autos. Wieder andere wurden inzwischen in Massengräbern beerdigt, eins davon direkt an der Kirche.

Derzeit werden die Leichen auf 280 geschätzt. Das bedeutet, dass es sich um bis zu 280 Taten handelt. Die nun alle ermittelt werden müssen, sollten und werden. Mit Zeugenaussagen, Tatortanalyse und Autopsie. Und erst dann wird man rekonstruieren können, was tatsächlich passiert ist.

Selbstverständlich ist naheliegend, dass diese Menschen von den russischen Truppen getötet wurden.
Zumal dort während der Kämpfe laut verschiedener Quellen erst tschetschenische Söldner-Truppen (Kadyrowzy) im Einsatz waren, die bewusst und absichtlich Terror durch besondere Grausamkeit verbreiten. Anschließend sollen diese Truppen weitergezogen sein und andere Einheiten mit Wehrpflichtigen sollen Butscha gesichert haben.

Deshalb sollte man keinem Glauben, dass nun der eine oder andere Schuld ist. Einfach nur, weil es ein sehr komplexes Geschehen ist, was die Medien in den Überschriften so darstellen, als wäre es eine begrenzte Tat gewesen. Und das war es definitiv nicht.
Solche vereinfachenden Aussagen können nur zwei Zwecke haben. Entweder Propaganda und Manipulation, oder Klicks zu generieren.

Umso weniger sollte man russischen Quellen trauen. Denn umso mehr Informationen öffentlich werden, umso mehr zeigt sich, wie sehr Russland versucht, Informationen zu manipulieren.

Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa sagte gestern, dass es über 7000 Meldungen von russischen Kriegsverbrechen gibt. Die meisten Meldungen aus Borodjanka, was aus Richtung Kiew einige Kilometer hinter Butscha liegt. Es ist also zu erwarten, dass in den nächsten Tagen weitere ähnliche Bilder öffentlich werden.

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