Ukraine: Warum es keine Verhandlungen gibt

Eine Analyse

Kommentatoren und Gesprächspartner sind häufig erschüttert, dass ich die Dauer des Kriegs auf vier Jahre geschätzt habe. Vielleicht sollte ich die Situation, abseits von russischer Propaganda und den Schlachtfeldern auf Social Media, einmal grundlegend erklären. So, wie ich sie als Analyst beurteilen würde und wie viele hochrangige Militärs sie auch sehen.

Zugegeben: die vier Jahre, die meiner Meinung nach der Krieg dauern wird, sind einfach mal so rausgehauen. In die Tüte gesprochen. Es hat keine echte Substanz.
Damit möchte ich auch nicht so tun, als wenn ich genaue Kenntnisse über die jeweiligen Ressourcen hätte und das aufrechnen könnte. Das kann ich nicht und das kann niemand.

Vier Jahre ist einfach eine gute Zahl. Vier Gewinnt, vier Jahreszeiten, vier als Unglückszahl im Chinesischen, vier Körpersäfte im Mittelalter, die Vier halt.
Ein anständiger Krieg zwischen Staaten dauert bummelig vier Jahre. Korea Krieg: Drei Jahre. Zweiter Weltkrieg: Sechs Jahre. Pazifikkrieg: Vier Jahre. Amerikanischer Bürgerkrieg: Vier Jahre. Erster Weltkrieg: Vier Jahre.
Ok, Sechstagekrieg… Ausnahmen, Sie kennen das.

Soll einfach heißen: Der Krieg wird nicht mal eben enden. Das ist eine Illusion.
Auch wenn viele Experten derzeit eine Chance sehen, das Ding früher zu beenden. Dem ich auch nicht abgeneigt bin, weil andere Aspekte hinzukommen. Ich komme darauf zurück.

Im Krieg in der Ukraine wurden bereits im ersten Jahr mehr Raketen abgefeuert, als in jedem anderen Krieg zuvor. Die moderne Kriegsführung des Westens trifft mehr und mehr auf die alte, auf Masse getrimmte Kriegsführung des Ostens. Das ist kein Ponyhof, was wir gerade erleben.

Eigentlich ist alles sehr einfach

Simplifikationen sind meist fehlerbehaftet und häufig falsch. Aber manchmal helfen sie, eine Perspektive einzunehmen, um von da aus Details abzuwägen.

Die Situation ist im Grunde recht einfach.
Russland hat aus der Sowjetunion ein riesiges, aber altes Arsenal an Waffen übernommen. Welches es mit seiner jetzigen Wirtschaftsleistung nicht mehr anhäufen könnte. Und offenbar nicht einmal in der Lage war, es auch nur zu unterhalten. Die vollmundig angekündigte Modernisierung zeigt keine Wirkung. In der Ukraine sind schon in der ersten Phase LKW auf platten Reifen aus Sowjet-Produktion liegengeblieben.

Die NATO ist Russland konventionell hoffnungslos überlegen. Das hat selbst Putin bereits 2014 eingeräumt.
Das Einzige, was Russland hat, ist also die atomare Abschreckung. Und niemand weiß so wirklich, wie viele Atomraketen Russland einsatzbereit hat. Denn die einsatzbereit zu halten, kostet sehr sehr viel Geld.
Die Nachrichtendienste werden es abschätzen können, aber mehr auch nicht. Und Sie und ich schon gar nicht.

Doch machen wir uns bitte klar, was das in jedem Fall bedeutet:
Kommt es zu einem atomaren Konflikt, wird jede Seite sofort atomar antworten. Egal wer anfängt.
Die Drittschlagfähigkeit der NATO dürfte weit überlegen sein. Doch zu dem Zeitpunkt, zu dem das relevant wird, ist mindestens das Schicksal der Nordhalbkugel längst besiegelt und die Menschheit wird zumindest dort innerhalb eines Jahres aussterben. Stichwort nuklearer Winter.

Der ultimative Trumpf

Aber das weiß die NATO ja auch. Und das weiß auch Russland.
Die nukleare Abschreckung ist also der ultimative Trumpf. Danach kommt nichts mehr. Dieser Trumpf beendet das Spiel. Und Putin will nun einmal als großer Einiger in die Geschichte eingehen, und nicht als Beender der Geschichte.

Und da die NATO das auch weiß, wird sie auch nicht eskalieren, wenn Russland eine „kleine“ nukleare Bombe in der Ukraine einsetzt. Besser die Ukraine geht hops, als ganz Europa.
Ich habe es mehrfach gesagt: Wenn es ernst wird, würde die NATO die Ukraine schneller über die Klinge springen lassen, als Selenskyj „Bljad“ sagen kann.

Das ist genau das, was „der Westen“ gerade macht. Er fliegt immer knapp unterm Radar. Er macht nur so viel, dass Russland sich nicht bemüßigt fühlt, „Atombomben“ einzusetzen. Erst einmal grundsätzlich, und dann im Speziellen gegen die NATO.

Und dieses Unter-dem-Radar-Fliegen erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl. Was von Kommentatoren auf Social Media meist nicht verstanden, von Populisten schlicht ignoriert und von Propagandisten angefeindet wird. Und von den meisten auch nicht zu erwarten ist.
Um das zu können, braucht man sehr viele Informationen.

Denn es gibt zwei Unsicherheitsfaktoren. Die sehr schwer abzuschätzen sind. Und die ich mir und fast allen anderen nicht zutraue einschätzen zu können.

Zwei Szenarien der Eskalation

Es gibt zwei Szenarien, in denen Russland eskalieren könnte.
Das erste ist der direkte Angriff der NATO (oder eines Mitglieds) auf Russland selber oder auf seine Truppen. So steht es in der Doktrin.
Das hat die NATO bereits in den ersten Tagen nach dem Überfall auf die Ukraine ausgeschlossen. Es wird kein direktes Eingreifen in der Ukraine geben und keinen Angriff auf Russland. Egal was in der Ukraine passiert.

Die USA haben sich sogar versichern lassen, dass die Ukraine Russland niemals mit US-amerikanischen Waffen angreift. Ich bin sicher, alle NATO-Staaten haben das getan.

Das zweite Szenario ist, dass die Führungsriege um Putin bedroht würde. Und das kann dann in guter russischer Tradition auch physisch sein. Es würde nicht verwundern, wenn Putin mal an einem Laternenpfahl endet. Damit haben die Russen Erfahrung.

Derzeit arbeite ich auch an einem Beitrag darüber, wie viele Führungspersönlichkeiten in Russland Selbstmord begangen haben. Die letzte war gerade erst Marina Yankina aus dem Verteidigungsministerium. Die gefragt hat, warum viel Geld für die Wartung von Waffen ausgegeben wurde, die nicht gewartet wurden. Kurz darauf hatte sie offenbar spontane Selbstmordgedanken und fiel aus einem Hochhaus in St. Petersburg.

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PrologAufgrund einer offenen Umfrage auf der Facebook Fanpage habe ich mich dazu entschlossen, diesen Artikel ohne Bezahlschranke bereitzustellen. Er ist auch auf der Steady Seite für Abonnenten erschienen. Walter Isaacson ist Geschichtsprofessor für Geschichte, ehemaliger […]