Ukraine Leaks: Daten, Quellen, Fakes, Tatverdächtiger

Eine erste Einschätzung

Verdächtiger festgenommen

Die New York Times hat heute Nacht (etwa 20:00 Uhr Ortszeit) veröffentlicht, dass das mit den Ermittlungen beauftragte FBI einen Verdächtigen festgenommen hat. Der 21-jährige Jack Teixeira ist Soldat bei der Air National Guard. Was im Grunde die Reserve ist. Die auch in Katastrophenfällen eingesetzt wird, wie man aus einigen Filmen kennt. Im Rang eines Airman, was dem niedrigsten Dienstgrad entspricht.
Er wurde als Fachmann für die Telekommunikation ausgebildet, also jemand der sich um Mail-Server, Telefone oder ähnliches kümmert. Er gehört dem 102nd Intelligence Wing an, tatsächlich dem Nachrichtenbereich.

Airman Jack Teixeira wird von einer Spezialeinheit vor seinem Elternhaus bei Boston festgenommen.

Bisher stellt es sich so dar, dass der Reservist aus bisher ungeklärten Gründen Zugang zu solchen Unterlagen hatte. Die durchaus zumindest im Bereich seiner Tätigkeit gelegen haben könnten. Ob er die Berechtigung hatte, weiß man nicht. Der zuständige Kommandeur verwies die Times an das Justizministerium.
Aus irgendeinem Grund hat er diese Unterlagen anscheinend mitgenommen, Fotos davon gemacht und vermutlich zum Angeben in einem Chat auf einem Spiele Server herumgezeigt. Das ist dann über 4Chant an russische Telegramer gelangt, die das ganze viral gemacht haben.
Das wiederum hat eine pro-russische Instanz dann genommen, nachträglich verändert und wiederum in Umlauf gebracht.

So zumindest sieht es bis jetzt, kurz vor vier MEZ, gerade aus. Was wenn ich aufwache wieder völlig anders sein kann. Aber es wäre auf vielen Ebenen plausibel. Qualität und Zustand der Unterlagen und Fotos, Historie der geleakten Daten, etc. Wäre es ein russischer Spion gewesen, hätte er die Fotos nicht veröffentlicht.

Ein Schmankerl: Die New York Times konnte nachweisen, dass der Untergrund, auf dem die geleakten Dokumente fotografiert wurden, der Arbeitsplatte in der Küche von Airman Teixeiras Elternhaus entspricht. Wovon er wiederum selber Fotos auf einem Gaming Profil veröffentlicht hat. Auf denen er dahinter in Uniform zu sehen ist.

Airman Jack Teixeiras Selfie, dass seine Mutter auf Social Media gepostet hatte.

Sollte das tatsächlich der Fall sein, wird es noch richtig lustig. Dann freue ich mich darauf, was da noch kommt. Der Skandal wäre weit größer als die geleakten Daten selber. Denn die sind militärisch eher lauwarm, damit lockt man keinen James Bond hinterm Martini vor. Egal was die Medien da Schlagzeilenträchtiges draus konstruieren.
Aber ein blitzgescheiter Ersatzsoldat, der an geheime Unterlagen kommt und sie auf Muttis Küchenplatte fotografiert um in einem Gaming Chat anzugeben… Das wäre mal ein Brett. Die nonchalanten US-Nachrichtendienste wären lächerlich gemacht. Die sonst eher dafür bekannt sind, in Hawaii-Hemden mit verspiegelten Sonnenbrillen in Pakistan zu fragen, ob jemand Englisch spricht.

Kurz nach der Meldung begannen nun in den USA vor allem Kräfte von Rechtsaußen das wiederum zu instrumentalisieren. Der Verdächtige, der anscheinend auch Waffenfanatiker ist, wird als „Patriot, der gegen den Krieg ist“ dargestellt, der nun von den bösen Demokraten als Schuldiger dargestellt wird.

Echt oder nicht?

Es ist in einem solchen Fall immer auch zu erwarten, dass die verschiedenen Staaten teilweise unterschiedlich reagieren. Das ist bewusst so, und wenn es nur dazu dient vorsorglich Verwirrung zu stiften.

In anderen Dokumenten, die laut Bellingcat aber ebenfalls nur fotografiert waren und aus der gleichen Quelle stammen, sind auch andere Staaten genannt. Südkorea nannte einen Großteil konstruiert, was die Lieferungen südkoreanischer Waffen über die USA an die Ukraine betreffe.
Stammen sie jedoch aus der gleichen Quelle, wäre das völlig unplausibel. Entweder sie sind alle richtig oder alle falsch. Und das, was ich bis jetzt gesehen habe, halte ich für echt und es kommt mir völlig bekannt vor. Die Lageübersicht mit strategischer Karte könnte aus Ausbildungsunterlagen von uns kopiert sein, auch wenn das über 25 Jahre her ist.

Doch das kann ich heute Nacht nicht abschließend beurteilen, weil ich viele Unterlagen offenbar noch nicht gesehen habe!

Ein zweites Leck?

Seit gestern wurden nun Berichte in Deutschland veröffentlicht, die von geleakten Daten sprechen, welche tatsächlich nachrichtendienstliche Analysen beinhalten. Unter anderem berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland RND.
Diese Berichte sind aber so verfasst, dass man nicht daraus ersehen kann, ob es sich um Daten des Teixeira-Leaks handelt. Was natürlich absichtlich so gemacht ist, damit die Medien ihre Exklusivität nicht verlieren.

Diese Informationen würden jedoch nicht zu den mir vorliegenden Fotos passen. Da sie Auskunft über interne Vorgänge im Kreml geben sollen. Und das ist nachrichtendienstlich mal eine ganz andere Liga.
So soll der Chef des Generalstabes Gerassimow geplant haben, den Krieg in der Ukraine zu sabotieren. Dafür soll er sich den 05. März ausgesucht haben, weil Putin an dem Tag eine weitere Chemo-Therapie beginne. Zitat RND!

Andererseits sind auch unscharf gemachte Fotos solcher Dokumente in Umlauf, ebenfalls auf der Arbeitsplatte im Hause Teixeira.
Sollten sie tatsächlich solche Informationen enthalten, könnte die Weitergabe in den USA dennoch strafbar sein. Weshalb man nur schwer an sie herankommt.

Eine andere Liga

Das hätte gleich aus mehreren Gründen höchste Brisanz.
Zum ersten würde es die Gerüchte der Krebserkrankung Putins in nur einem Nebensatz bestätigen. Zum zweiten würde es interne Kämpfe in der Führungsriege des Kremls aufzeigen. Die man bisher zwar erahnte, vor allem zwischen Kreml und dem Chef der Wagner Söldner Prigoschin, aber nicht nachvollziehen konnte. Und zum dritten wäre das nachrichtendienstlich heikel, weil die Gegenseite daraus ablesen könnte, wie die NATO oder USA an diese Informationen kommen.

Das würde nicht mehr zu den anderen geleakten Dokumente passen. Weil solche Analysen, solche „Spionageberichte“, nur diejenigen zu sehen bekommen, die unmittelbar damit beschäftigt sind.
Beispielsweise hat eine der Einheiten, in der ich gedient habe, Dinge zu Srebrenica analysiert. Das ging dann auch andere nichts an, selbst wenn sie eine Freigabe für Top Secret hatten. Deshalb war vor der Dienstelle ein Gitter, wo jeder klingeln musste, abgeholt und begleitet wurde. Und wir hätten wiederum die Analysen anderer nicht zu Gesicht bekommen.
Das Prinzip „need to know“: jeder weiß nur, was er wissen muss.

Bei solchen Dingen ist schwer vorstellbar, dass ein wichtigtuerisches Reserve-Frettchen sie klaut. Ob Print oder digital, der dürfte nicht einmal in die Nähe.

Andererseits stellt das RND es so dar, als wenn diese Daten mit dem ersten Stapel zusammen veröffentlicht worden wären. Da kann ich jetzt, in den frühen Morgenstunden, nichts zu sagen. Denn ich habe ja erst heute (gestern), dadurch aufmerksam geworden, angefangen mich damit zu befassen.
Vielleicht sind da tatsächlich Unterlagen dabei, die von den Medien bisher nicht gesichtet wurden. Oder nicht als das erkannt, was dahintersteckt. Was ich mir angesichts der bisherigen Berichterstattung inzwischen durchaus vorstellen kann.

Insgesamt gehe ich davon aus, dass 98% der berichtenden Medien die Dokumente selber nicht vollständig, oder sogar gar nicht, eingesehen haben. Geschweige denn „ausgewertet“.
Was sehr viel mehr über die Zuverlässigkeit und Transparenz der Medien aussagt, als ich es in vielen Monaten Erklärungen könnte.

Sollten signifikante Neuigkeiten auftauchen, werde ich mich natürlich damit befassen. Und ich schaue mir das, was ich bisher habe, nochmal genau an. Vielleicht versuche ich auch mal, den restlichen Kram zu bekommen.

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