Russlands angebliche Angst vor der NATO in der Ukraine

Von Raketen, U-Booten und Scheinargumenten

Immer wieder wird als Argument für den Einmarsch in die Ukraine die Sicherheit Russlands genannt. Häufig in einem Atemzug mit der NATO-Osterweiterung. Das ist ein Scheinargument.

Der sympathische schweizer Populist Dr. Daniele Ganser erklärte in einem seiner Vorträge, dass Russland sich selbstverständlich dadurch bedroht fühle, wenn die Ukraine der NATO beitreten würde. Denn eine Rakete sei ja schneller aus der Ukraine in Moskau, als beispielsweise aus Deutschland.
Dass Russland sich bedroht fühlt: sicher. Aber das mit der Rakete?

Dabei erwähnt er freilich nicht, dass die Ukraine als Raketenstützpunkt nicht einmal zur Disposition stand.
Ja, es gab Gespräche über einen NATO-Beitritt. Aber das war vor 2014, das war mit einer anderen Ukraine.

Das Argument wird in Russland selber kaum noch verwendet. Dort hat man längst noch einen draufgelegt und behauptet nun, die NATO, der Westen oder die USA wollten Russland vernichten.
NATO-Osterweiterung? Schnee von gestern. Damit lockt man keinen Jevgeni mehr vom sibirischen Plumpsklo.

Damit legitimiert Ganser ein gerne aufgewärmtes Propaganda-Argument. In dem das Bild des friedlichen Russlands gemalt wird, das sich ja nur gegen die böse NATO zur Wehr setzt.

Es erscheint ja logisch. Es erscheint wie „gesunder Menschenverstand“. Und der erscheint vor allem naheliegend, wenn man bestimmte Informationen nicht hat.
Also versuchen wir erneut etwas ungesunden Menschenverstand und schauen uns einmal die Relationen an.

Die wundersame Welt der Ballistik

Niemand scheint mal nachzufragen, wie viel schneller eine Rakete in Moskau wäre, wenn sie von der Ukraine aus gestartet würde.

Dazu habe ich als Beispiel die Trident II Raketen genommen. Der neue, heiße Scheiß. Warum, dazu kommen wir noch.
Die Trident II (UGM-133) ist eine ballistische Rakete. Das bedeutet, sie fliegt nicht wie Pistolenkugel halbwegs waagerecht. Sondern wie ein Artillerie-Geschoss in einer Parabel.

Das tut sie, weil weiter oben die Luft dünner ist. Deshalb gibt es weniger Widerstand. Und deshalb hat sie eine größere Reichweite.
Die Trident II kommt so auf mindestens 11.300 km. Und dazu sei angemerkt, dass bei militärischen Sachen eher immer zu niedrig gestapelt wird, als zu hoch. Zumindest im Westen. Um Käufer nicht zu vergrätzen und um einen möglichen Feind im Ungewissen zu lassen.
11.300 km bedeuten, es könnte eine Trident in Brasilien abgefeuert werden, und in Moskau einschlagen. Deshalb heißt das Ding ja „interkontinental“.

Dabei erreicht sie mit einer Geschwindigkeit von 21.000 km/h. Was wiederum heißt, sie fliegt 350 km pro Minute.

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, das grafisch zu verdeutlichen. Nicht die Reichweite. Sondern die Entfernung, die innerhalb von fünf Minuten zurückgelegt werden kann.

Russland hat bereits Grenzen zur NATO

In der Grafik ist schön zu sehen, wie viele Mitgliedsstaaten der NATO bereits im Bereich dieses 5Min-Radius liegen. Unter anderem die baltischen Staaten, Polen und die Türkei.

Und das macht auch mal die Relationen deutlich, welches Problem der mögliche Beitritt von Schweden und Finnland zur NATO für Russland eigentlich darstellen.
Es wird ja gerne vergessen, dass die Welt rund ist. Und dass der Weg von Kanada und den USA über Alaska nach Russland wirklich nur gespuckt ist. Wo auch viele Atomwaffen Russlands stationiert sind. Mal von Japan abgesehen, die ein enger Verbündeter sind. Die russischen Ballungszentren, die Wirtschaft und das Geld sind im europäischen Teil. Geschenkt.
Alleine der Beitritt Finnlands würde die direkte Grenze Russlands zur NATO mehr als verdoppeln. Davon sagt die russische Propaganda lieber nichts.

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