Moskau: Ukrainische Drohnen haben getroffen

Mangelhafte Berichterstattung erweckt falschen Eindruck

In den frühen Morgenstunden unserer Ortszeit ist Moskau mit mindestens zwei Drohnen angegriffen worden.
Dieser Beitrag wurde auch auf der Facebook Fanpage veröffentlicht.

Die Medienmeldungen dazu gehen drüber und drunter. Weil jeder erst einmal etwas raushaut, ohne es tiefer zu prüfen.
Die unterschiedlichen Meldungen dazu sind zu weiten Teilen völlig oberflächlich, die Überschriften erwecken teilweise einen falschen Eindruck, teilweise sind sie schlicht falsch.

Aufgrund des Getreide-Deals wird die Hafenstadt Odessa seit einer Woche massiv angegriffen, zumeist durch Raketenbeschuss von See aus. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat dafür gestern öffentlich Vergeltung angekündigt.

Nun ist ein Angriff auf Moskau selber erfolgt. Aufgrund dieses Kontextes ist davon auszugehen, dass dies eine Vergeltung darstellt. Doch weitere Informationen legen nahe, dass es sich um eine lang vorbereitete Strategie handeln kann. Und die könnte ein Gamechanger sein.

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte, die Drohnen seien abgewehrt worden. Das wiederum haben viele Medien übernommen und titeln entsprechend.
Tatsächlich sagte der Bürgermeister von Moskau Sergej Sobjanin jedoch, dass mindestens zwei Gebäude beschädigt wurden.

US-amerikanische Medien haben längst Bilder veröffentlicht, die inzwischen Teilweise von deutschen Medien übernommen und eingepflegt wurden. Diese zeigen eine massive Beschädigung eines Hochhauses. Und Beschädigungen weiterer Häuser, vor allem auf der Straße „Komsomolskiy Prospekt“. Diese können aber durchaus von herabfallenden Trümmern stammen.
Ebenso ist ein Video eines weiteren brennenden Hochhauses im Umlauf, das ich jedoch nicht eindeutig verifizieren kann.

Der Hochhaus-Komplex ist mit dem Logo von Leroy Merlin versehen, einem in Frankreich ansässigen Betreiber von Baumärkten. Mindestens die oberen zwei Etagen sind vollständig zerstört. Auf Twitter und Telegram veröffentlichte Videos zeigen Brände und herabfallende Trümmerteile.
Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass eine solche Wirkung durch eine abstürzende Drohne verursacht wurde. Es muss zumindest eine Detonation stattgefunden haben. Die Wirkung ist größer, als beispielsweise bei den von Russland verwendeten iranischen Shahed Drohnen.

Es wurden auch Videos der Drohnen im Flug auf Social Media veröffentlicht. Die dort zu sehenden Drohnen sind bisher zumindest öffentlich unbekannt. Sie verfügen über kleine Flügel an der Spitze und breitere Flügel im hinteren Drittel. Für einen Laien sehen sie aus wie ein Sportflieger, der rückwärts fliegt.

Screenshot einer der Drohnen. Flugrichtung nach rechts.

Daher sind viele OSINT-Quellen und Analysten derzeit fieberhaft mit der Recherche beschäftigt. Mit einer spannenden Vermutung.
Bereits im Mai wurden über Telegram Spenden zur Entwicklung bzw. Bau neuer Drohne gesammelt. Die wenigen Fotos, die dazu veröffentlicht wurden, zeigen eine solche Drohne, die „Biber“ („Beaver“) genannt wurde. Sie weist exakt die Merkmale auf, wie die beiden Drohnen, die nun Moskau angegriffen haben.

Telegram Posting zu den Spenden
für die neue Drohne.

Deshalb ist die Berichterstattung der Medien mangelhaft, die militärische Kompetenz wie üblich minderwertig. Aus dem einfachen Grund, dass die Meldung des russischen Verteidigungsministeriums übernommen wurde. Viele Meldungen sprechen auch jetzt noch, stunden nach den Angriffen, davon, dass ein „mutmaßlich ukrainischer Drohnenangriff“ abgewehrt wurde. Obwohl die Ukraine sich längst dazu bekannt hat. Mehr noch: sie hat eingeräumt, dass es sich um eine Spezialoperation des militärischen Nachrichtendienstes HUR gehandelt hat.

Die Meldung, es seien Drohnen abgeschossen worden, vermittelt den Eindruck, dass Moskau gut geschützt und gleichsam unangreifbar ist.
Die bisherigen Fakten zeigen jedoch – von ausländischen Medien bestätigt – dass die Ukraine sehr wohl wirkungsvolle Angriffe auf Moskau durchführen kann. Und die Wirkung weit stärker war, als gemeldet.

Sollte es sich dabei tatsächlich um neue und durch die Ukraine selber entwickelte Langstrecken-Drohnen handeln, könnte das militärisch so einiges bewirken.
Moskau selber würde dadurch unsicherer werden. Denn wenn von zwei Drohnen eine durchkommt, wäre das ein verheerendes Ergebnis für die Flugabwehr.
Das getroffene Hochhaus steht nicht am Rande der 11-Millionen-Metropole. Sondern im Kern, nur wenige tausend Meter vom Kreml entfernt.

Diese Hintergründe werden jedoch in keinem einzigen deutschsprachigen Medium erklärt.
Stattdessen werden die heutigen Beiträge höchstens nachträglich ergänzt, was die wenigsten dann noch lesen dürften.

Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass durch mangelnde Kompetenz, mangelnde Sorgfalt und den Mechanismen des hektischen Online-Journalismus in der breiten Bevölkerung ein falscher Eindruck erweckt wird.

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