Die endgültig wahre Wahrheit über Spione

Russische Aufklärung und Nähkästchen

Ein Hauch James Bond

Ok, Heldengeschichten gab es auch.

Der Zugführer meiner Einheit erschien morgens nicht zum Dienst. Vor meiner Zeit.
Ab Mittags wurde agiert. Die Feldjäger und der Abschirmdienst traten in Aktion. Als man das Haus aufbrach, waren sogar die Möbel verschwunden.

Der Mann war von einer Venus-Spionin umgedreht worden, in die er sich verliebt hatte. Und tatsächlich mit Kind und Kegel und Möbelwagen in die DDR übergelaufen ist. Und ja, nach der Öffnung hat man ihn bekommen und er wurde hart verurteilt.

Der Zugführer, unter dem ich dann gearbeitet habe, war ein kleiner, eher ungelenker Fachoffizier mit einem unglaublichen Wissen und Hang zum Wohlstandsbauch. Eher das Modell Guillaume.
Der wurde als Tourist nach Russland geschickt, wo er auch an einer Hafenrundfahrt teilnahm. Und dort konnte er eher zufällig mit einer Handkamera Fotos von einem neuen Minensucher der Russen machen. Der dann ausgewertet werden konnte. Von dem die NATO vorher eigentlich nur wusste, dass es ihn gab.
Wie er den Film aus Russland bekommen hat möchte ich bis heute nicht wissen.

Mit meinem besten Kumpel und Fachausbilder aus der Zeit habe ich bis heute losen und lieben Kontakt. Als er sagte, dass er in zivil in Berlin mit Auswertung und Analyse zu tun hatte, wusste ich Bescheid. Da fragt man auch nicht mehr. Wozu auch?
Erst nach seiner frühzeitigen Pensionierung sagte er dann, was ich eigentlich eh schon wusste: BND.

Ein anderer Fachausbilder von mir hat den schwersten Weg überhaupt durchschritten. Er ist zu den Tauchern gegangen und da auch noch Fachoffizier geworden. Hallenvorausbildung und Fachabi in vier Semestern, mehr geht kaum. Da wir uns bereits während meiner Dienstzeit aus den Augen verloren haben, kann ich mich nur an einen sehr netten, ruhigen und entspannten Kameraden erinnern. Was den meisten in diesen Bereichen zu eigen ist.

Alles Spione. Die politische Tendenz war übrigens eher links als rechts.
Und ich habe nie einen kennengelernt, der gerne auf dieser Welle geritten wäre.
In einem Vorgespräch zu einem Interview mit Prof. Dr. Rieck erzählte mir dieser beeindruckt, dass der zuvor interviewte Fachmann zu den Sprengungen von Nord Stream nicht erzählt habe, welche Erfahrung er selber damit habe. Ich konnte nur lachen und sagen „Jupp, kommt mir bekannt vor“. Kleine Brötchen sind der Kern des Geschäfts.
Wer öffentlich poltert, was er Tolles gewesen ist, war üblicherweise nicht toll.

Penible Datensammler

Vielleicht werde ich irgendwann einmal weiter ins Nähkästchen greifen. Ich möchte nicht langweilen.
Es tut mir auch leid, wenn ich romantische Vorstellungen oder Berufswünsche zerstöre. Aber so ist es nun einmal.

Menschen, die mal mit Nachrichten
zu tun hatten und öffentlich erzählen, sie
seien Spione gewesen.

Die lange Vorrede hatte nur einen Zweck: Das Mindsetting beim Leser (Ihnen) zu öffnen.

Nennen Sie sie, wie sie wollen. Spione, Agenten, Nachrichtenleute… Mit der Vorstellung des bürokratischen, peniblen Datensammlers sind Sie näher an der Wirklichkeit, als mit irgendeiner Abwandlung von James Bond.

Ja, viele können schießen und sprengen und in der Theorie weiß selbst ich, wie man lautlos tötet. Aber wie Sullivans Axiom so schön heißt: Form follows function. Das brauche ich überraschend selten, auch wenn ich an der Supermarktkasse manchmal melancholisch werde.

Und erst damit kommen wir zurück auf das russische Flugmanöver.

Der Kalte Krieg wurde nie beendet

Wenn ein Aufklärungsflugzeug der Russen dem NATO-Raum auch nur nahekommt, können die dadurch ganz viele Metadaten sammeln.

Welche Flieger reagieren? Wie lange brauchen die? Welche Abwehrsysteme tracken uns? Welche Einheiten sind da? Wer wird alarmiert? Wie läuft das Alarm-Protokoll?
Die eigentliche Aufklärung, also beispielsweise wo irgendwelche Radars stehen, ist dadurch schon fast uninteressant. Feste Installationen wie Flugplätze kennt man eh.

Vielleicht war das auch die Überlegung der Amerikaner, den ersten chinesische Ballon einfach mal fliegen zu lassen. Daten konnte er laut Kirby, Sprecher des Sicherheitsrates, eh nicht sammeln. Also warum nicht erst an der Ostküste runterholen, wo es auch keine Metadaten mehr gibt?

Und: Wie ernst meinen die es?
Dadurch, dass die Niederländer mit den modernsten Fliegern schon dran waren, bevor die Russen überhaupt in den Luftraum konnten, hat sicher sehr deutlich gezeigt: „Jupp, die meinen das scheiß ernst.“

Ich bin so sicher wie ich nur sein kann, dass die Auswerter, Entschuldigung… „Spione“, auf beiden Seiten gerade damit beschäftigt sind, die Daten auszuwerten. Bürokraten in Cordhosen.

Die Russen werden lernen, welche Einheit von wo in welcher Zeit agiert. Und die NATO wird lernen, wann die Mutti der Piloten Geburtstag hat.

Ein deutscher Soldat geht nicht einmal Kacken ohne Plan.
Oder wie man bei der NATO sagt: 7P.
Piss poor planning produces piss poor performance.

Könnten Sie mit meinen Augen sehen, wüssten Sie:
Der Kalte Krieg war nie kalt. Und wurde nie beendet.
Tut mir leid.
Business as Usual.

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