Aktuell: Stand der ukrainischen Gegenoffensive

Knackig, kurz, für Dummies.

Da ich immer wieder gebeten werde solche Kurzmeldungen und Erklärungen der Facebook Fanpage barrierenfrei auf der Homepage einzustellen. Hier also als Beitrag anstatt mehrerer Postings.

In den Medien wird immer häufiger über die ukrainische Gegenoffensive berichtet. Die aber für Laien irgendwie nicht passiert. Dabei läuft sie längst.

Bei einer solchen „Gegenoffensive“ erwarten viele sicherlich eine einzige Schlacht, bei der wie in historischen Filmen große Heere aufeinanderprallen. Aber so läuft das nicht mehr. „Gegenoffensive“ ist nur ein Begriff für die Schlagzeilen.
Es handelt sich um strategische Pläne, deren Umsetzung auch Monate dauern kann.

Diese Gegenoffensive wird mindestens bis zur ukrainischen „Matsch-Saison“ dauern. Vermutlich wird man dann einen Strich drunter machen und abrechnen. Und danach wird entscheiden, was man weiter macht.
Vermutlich werden dann über den Winter die politischen Forderungen nach Waffen wieder lauter. Von einem Ende des Krieges in diesem Jahr gehe ich nach wie vor nicht aus.

Phase 1: Shaping

Die erste Phase, das so genannte „Shaping“ ( „in Form bringen“), hatte ich bereits erklärt.
Dabei versucht man, die Logistik und Nachschubwege des Gegners zu attackieren und ihn dazu zu zwingen, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Das ist eine sehr typisch westliche Strategie, die NATO liebt Shaping. Man kann alleine daraus also ablesen, wie sehr die Ukraine gerade durch die NATO lernt.

Ist beispielsweise die Abwehr an einer bestimmten Stelle besonders stark, greift man gar nicht erst diese „Front“ an. Sondern man versucht im Hinterraum Nachschub und Logistik zu stören oder gar zu unterbinden.
Das ist derzeit vor allem nördlich der Krim der Fall, wo die russischen Truppen teilweise mehrere Abwehreinrichtungen hintereinander haben, hinter die sie sich zurückziehen könnten.

Dieses Shaping hat in den vergangenen Wochen stattgefunden. Und offenbar recht erfolgreich.
Unter anderem wurden immer wieder Nachschubwege auf der Krim angegriffen. Die vielen hochgegangenen Öllager und Raffinerien und die Angriffe auf Eisenbahnverbindungen werden dem geneigten Leser auch ohne tiefere Kenntnis in den Medien aufgefallen sein.
Immer wieder wurden russische Truppen verlegt, von Ost nach Süd und von Süd nach Ost.

Phase 2: Testangriffe

Jetzt hat die zweite Phase begonnen. Man schickt Truppen rein, um ernsthaftere Angriffe durchzuführen. Das dient nur dazu herauszufinden, wo die Abwehr schwach ist. Und um Druck aufzubauen, erneut Truppen zu verlegen.
Sehr vereinfacht gesagt spielt die Ukraine mit Russland gerade Katz und Maus.

Man sollte das aber bitte nicht unterschätzen. Das sind völlig ernstzunehmende Gefechte, mit vielen Toten und Verwundeten. Aber es ist eben immer noch nicht der eine große Angriff. Es sind die höchsten Verluste der Ukraine in diesem Krieg ab jetzt zu erwarten.

Dabei ist die Ukraine bisher aber offenbar erfolgreicher, als zuvor erwartet.
Es werden immer mehr zurückeroberte Siedlungen gemeldet. Und was in den letzten Tagen gemeldet wurde, wird nach und nach auch tatsächlich immer öfter unabhängig bestätigt.

Gekämpft wird auf der gesamten „Frontlinie“, die über 1000 Kilometer lang ist.
Es gibt jedoch drei Schwerpunkte, zwei davon hatte ich prognostiziert. Ich hätte es gerne grafisch verdeutlicht, mir fehlen Zeit und Karten.

Aus ukrainischer Sicht würde es Sinn machen, den russischen Korridor im Süden zu durchbrechen. Und das macht man natürlich am besten da, wo der Korridor am schmalsten ist.
Das ist einmal, wenn man eine gedachte Linie von Saporischschja nach Melitopol zieht. Südlich von Melitopol ist der Molotschna-Liman, eine Art sumpfiger Meeresbucht. Die wäre für Truppen kaum zu überwinden. Kommt die Ukraine bis da, ist der russische Nachschubweg zwischen Krim und dem Donbass abgeschnitten. Sie könnten auch nicht mehr einfach Truppen verlegen.
Das wäre vielleicht die einfachste „Route“, denn nördlich von Melitopol werden nach wie vor ständig Partisanenkämpfe gemeldet. In diesem Bereich sind die russischen Abwehrmaßnahmen aber sehr stark.

Ähnliches gilt für Mariupol. Dort ist der russische Korridor schmal. Hier sind die Abwehrmaßnahmen schwächer. Aber der Weg ist etwas länger und es wäre für die Russen leichter Mariupol zu verteidigen.

Derzeitige Gefechte

Und genau vor diesen Korridoren finden derzeit die meisten Gefechte statt.
Als drittes gibt es auch starke Gefechte in Donezk, vor allem nördlich und südlich von Bachmut. Genau da haben die Ukrainer viel Raum erobert, womit scheinbar nicht einmal die Ukrainer gerechnet hatten.

Allerdings gehe ich davon aus, dass dies nur dazu dient, Russland dazu zu zwingen, dort mehr Truppen einzusetzen. Vor allem, weil Bachmut selber für Russland ein Prestige-Ding ist.
Wie sich das jetzt, aufgrund der Erfolge, dort weiter entwickelt, bleibt abzuwarten. Ich würde dort aber nicht zu viel erwarten.

Experten gehen inzwischen davon aus, dass Russland fast alle Reserven inzwischen mobilisiert hat. Gemeint sind natürlich die Reserven innerhalb des Militärs, nicht neue Rekruten aus Russland. Ich habe Zahlen zwischen 70% und 90% gelesen.

Die Ukraine hat ihre „Hauptstreitkräfte“ aber noch gar nicht eingesetzt. Weder die deutschen Leopard noch die US-amerikanischen Bradley wurden bisher in relevanter Anzahl gesichtet. Ich gehe jedoch davon aus, dass die in größeren Kontingenten gemeinsam eingesetzt werden, weil sich ihr Potenzial dadurch vervielfältigt.
Die Ukraine muss inzwischen über etwa 100 Leopard verfügen. Das ist schon ein Donnergrollen, da wird der Horizont dunkler. Das wird auffallen.

Allerdings wurden auch schon Leopard durch russische Artillerie zerstört. (Titelbild, 08.06.) Wie nicht anders zu erwarten im Stehen. Russland scheint es einiges wert zu sein, diese auszuschalten. Das kann so nur durch Präzisionsmunition passiert sein.

Unterm Strich bleibt also: Es ist erst die zweite Phase des Geplänkels und das dicke Ende kommt noch. Nicht in einer einzelnen Schlacht, sondern strategisch.
Und das wissen auch die Russen. Weshalb die russische Propaganda bereits bei dem ersten Geplänkel gemeldet hatte, die Gegenoffensive sei zurückgeschlagen worden. Um die eigenen Leute zu beruhigen.
Es wurden zwar einige alte Panzer ausgeschaltet und viele Soldaten auf einen Schlag verwundet. Aber es war strategisch gesehen eben doch nur ein Sondierungsgespräch.

Ich gehe davon aus, dass genau deshalb das russische Verteidigungsministerium nun versucht, die vielen Söldnergruppen (es sollen inzwischen zwischen 40 und 70 sein) per Vertrag unter sein Regiment zu zwingen. Was der Tschetschenen-Führer Kadyrov toll findet, der Wagner-Chef Prigoschin aber so gar nicht.
Da liegt ein Konfliktpotential, von dem wir in den kommenden Tagen sicher noch einiges hören werden.

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