Wagenknecht & Co: Und es waren doch keine 50.000

Von der Kunst Menschen zu zählen

Foto: Sevim Dağdelen, Twitter

Es kam wie erwartet: Die Veranstalter sprechen von 50.000 Teilnehmern, die Polizei von 13.000. Und wie erwartet schreien einige los, die Mainstreammedien würden eh lügen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach.

Als gelernter Luftbildauswerter habe ich auf meiner Facebook Fanpage meines eigentlichen Jobs schon vor Jahren eine ähnliche Erklärung veröffentlicht. Als es um die erste große Querdenker Demonstration in Berlin ging.
Gestern fand nun an gleicher Stelle die „Friedenskundgebung“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht statt. Will man etwas wichtig erscheinen lassen, muss man ans Brandenburger Tor.

Wagenknecht auf Twitter

Sowohl zu Beginn als auch am Ende der Kundgebung sagte Wagenknecht, 50.000 Menschen seien gekommen. Das hätte der Ordnungsdienst gesagt. Und sie betonte sicher zu sein, dass dies stimme. Da sie Veranstaltungen mit 5.000 und 10.000 Menschen gesehen habe.
Vielleicht hatte sie zu dem Zeitpunkt schon den Hinweis, dass die Polizei von weit weniger ausgeht und wollte gleich mal die Anwesenden primen.

Kurze Zeit später veröffentlichten viele Medien dann die Zahl der Polizei: 13.000 Teilnehmer.
Was sehr wenig ist. Weit weniger als ich persönlich erwartet hätte. Selbst 50.000 wären weniger gewesen. Aber dreizehn Mille, Heidewitzka, da ist aber was medial aus dem Ruder gelaufen.
Heute fragte noch eine Nutzerin auf der Facebook Fanpage, warum nirgendwo klipp und klar gesagt wird, dass es nur so wenige waren. Betonung auf nur.

Da haben sich ganz viele verschätzt

Das ist leicht zu beantworten.
Über die vielen Veranstaltungen in ganz Deutschland am Jahrestag des Einmarsches Russlands in die Ukraine am Tag zuvor hatten die meisten Medien eher beiläufig oder zusammenfassend berichtet. Nachdem das Wagenknecht-Schwarzer-Manifest über 600.000 Mal unterschrieben wurde, war man wohl davon ausgegangen, dass zu der Veranstaltung viel mehr kommen würden.
Würde eine Zeitung nun aber schreiben, es waren nur 13.000 da, würde sie die eigene Fehleinschätzung einräumen.

Denn es wurde ja wirklich rauf und runter berichtet. Das Magazin EMMA, dessen Herausgeberin Alice Schwarzer ist, brachte ebenso ein Live-Stream wie der öffentlich-rechtliche Sender Phoenix.
Sowohl Rechtspopulisten waren nach Berlin getingelt als auch alle, die von solchen Veranstaltungen berichten, dass Rechtspopulisten nach Berlin getingelt sind.

Zeitweise hatte man nicht nur das Gefühl, dass zumindest Frau Schwarzer etwas überfordert war. Weil sie sich offenbar eher in einem Stuhlkreis eines Studentenforums der 1970er zu wähnen schien. („Jetzt seid mal still, ihr kleinen Schreihälse.“) Man hatte auch das Gefühl, es waren mehr Menschen dort, die darüber berichten und organisierten, als Menschen tatsächlich demonstrieren.

In Zahlen: Dreizehntausend

Glaubt man der Einschätzung der Polizei, und dazu komme ich noch, sollte man sich doch einmal die Relationen vor Augen führen.

Die Facebook Fanpage dieses Blogs hat mehr Follower als bei der Demo anwesend waren. Richtig gelesen, mein kleiner, amateuriger, pisseliger Blog. Ohne dauerhafte wochenlange Medienpräsenz oder beworbenes Manifest. Bei dem ja noch nicht einmal klar ist, wer da so alles unterschrieben hat. Das wird auf der Plattform nämlich nicht geprüft. Gehen wir großzügig davon aus, dass nur wenige doppelt oder aus St. Petersburg unterschrieben haben.

Beim Kölner Rosenmontagsumzug stehen durchschnittlich 1,5 Millionen Menschen an der Straße. Im Zug selber gehen 12.000 Menschen mit.
Auf der Kundgebung waren also 7,7% mehr Menschen, als beim Karnevalsumzug mitlaufen. Und nicht einmal halb so viele haben das Manifest unterschrieben, wie sich zu Karneval alleine in Köln gepflegt die Peitsche durchs Gesicht ziehen.

13.000 ist so viel, wie der VFL Osnabrück im Durchschnitt in der 3. Liga bei Heimspielen versammelt. Der Deutsche Wanderverband informierte stolz, dass am Tag des Wanderns 2019 13.000 Wanderer gewandert sind. Im gleichen Jahr wurden 13.000 Menschen im Straßenverkehr schwer verletzt, allerdings nur in Nordrhein-Westfalen. In Frankfurt leben 13.000 Menschen mit Demenz.
Und wir alle erinnern uns, als Aktivisten der Kampagne „Change Your Shoes“ 2019 13.606 Unterschriften an Birkenstock übergeben haben.

„Sie haben Angst vor uns. Sie haben Angst vor einer neuen Friedensbewegung. Sie haben Angst, dass sie ihre Politik nicht mehr ohne Weiteres so fortsetzen können.“

Sahra Wagenknecht, Kundgebung, 25.02.2023

Ich denke eher nicht.

Menschen sind nur bedingt stapelbar

Offenbar stellen sich viele vor, dass Menschen in einer Menge einzeln gezählt werden.
Das werden sie nicht. Sie werden geschätzt.

Dafür schätzt man aber gar nicht die Menschen selber. Sondern die Fläche auf der sie stehen.
Ein Gazellen-gleiches Wesen wie ich nimmt schon gerne einen Quadratmeter in Beschlag. Zudem haben wir ja einen kulturell bedingten Mindestabstand. Man geht also in einer Menschenmenge ohne viel Gedränge von einer Person pro Quadratmeter aus.

Bei zwei Menschen pro Quadratmeter wird es schon eng. Und für Adrian Monk apokalyptisch.
Bei vier Menschen pro Quadratmeter kommt man so langsam an das Gefühl der Loveparade 2010 in Duisburg. Oder in der ersten Reihe des Wacken Open Air.
Es kann jeder zu Hause mit seinen Liebsten ausprobieren.

Nun darf man davon ausgehen, dass die Polizei Übung im Schätzen hat. Vor allem in Berlin, weil da ja eigentlich an jedem Tag gegen oder für irgendwas demonstriert wird. Birkenstock oder so.
Es ist auch absurd zu glauben, die Polizei würde irgendetwas klein rechnen. Weil Polizisten vor allem eines sind: Deutsche Beamte. Und die Polizei bekommt Ihren Jahresetat und ihre Genehmigung für Überstunden ja nach dem Aufwand. Es wäre naheliegend, dass die Polizei eher großzügig schätzt.

Es gibt auch Studentengruppen verschiedener Disziplinen, die sich damit befassen. Manchmal sieht man auf einem Platz einer Demonstration am Boden Quadrate gesprüht. Die sind genau dafür da, damit die Studenten lernen, das abzuschätzen.

Dann muss man nur noch in Stichproben die Menschen auf einem Quadratmeter schätzen. Ein paar vorne, wo es enger ist, und ein paar hinten, wo die Gelangweilten mit dem Dosenbier stehen.
Hat man dann die Grundfläche, kann man es sehr einfach ausrechnen.

Fotos auf der nächsten Seite:

Aktuelles

Krieg

Wie Elon Musk in den Krieg eingriff

PrologAufgrund einer offenen Umfrage auf der Facebook Fanpage habe ich mich dazu entschlossen, diesen Artikel ohne Bezahlschranke bereitzustellen. Er ist auch auf der Steady Seite für Abonnenten erschienen. Walter Isaacson ist Geschichtsprofessor für Geschichte, ehemaliger […]