Von der Unmöglichkeit Sprache zu steuern

Gedanken über Sprachregelungen, Neger, Arme und Indianer

Trotzdem kamen Gedanken auf, dass „Schwarze“ ja auch irgendwie herabwürdigend wäre. Auch wenn kein deutsches Gericht das so sehen würde. Und es nirgendwo so wirklich als diskriminierend definiert ist.
Menschen, die sich mit dem Thema aus irgendwelchen Gründen befassen, verwenden inzwischen den Begriff „PoC“ („People of Color“). Aber nicht nur, dass das ja eine Umschreibung wie „sozial Benachteiligte“ ist; nicht nur, dass es kein deutscher Begriff ist… es sagt das Gleiche aus.
Einem Menschen, der Menschen mit schwarzafrikanischer Abstammung als minderwertig sieht, ist es völlig egal, ob er „Schwarze“ oder „PoC“ sagt. Er wird es immer abwertend meinen.

Im Übrigen meint „PoC“ gemäß der amerikanischen Logik eben nicht nur Schwarze, sondern auch Hispanics, Asiaten und Indianer.

Howgh, ich habe gesprochen!

Aktuell findet eine Diskussion statt, ob man das Wort „Indianer“ sagen darf. Ausgelöst durch eine Diskussion um den Kinderfilm „Der junge Häuptling Winnetou“. Der laut Kritik Stereotype reproduziert und eine kulturelle Aneignung darstellt. (Als wenn irgendein Kinderfilm keine Stereotype reproduzieren würde.)

In einer Diskussion auf der Facebook Fanpage des Nachrichtenformats „ZDF heute“ antwortete einer der Social Media Redakteure, man solle bitte nicht „das I-Wort“ verwenden. Damit war der Damm endgültig gebrochen, das „I-Wort“ und das Thema trendete mehrere Tage auf Twitter.
Was Rechtspopulisten natürlich dankend aufnehmen.

Das Problem dabei ist, dass nicht einmal alle Indianer das englische Wort „Indian“ als herabwürdigend empfinden. Geschweige denn das deutsche Wort „Indianer“.

Denn auch da ist der Bedeutungsinhalt und die Konnotation entscheidend. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ein US-Amerikaner „Indian“ sagt, oder ein Deutscher „Indianer“. Denn weder das Wort, noch Angehöriger einer indigenen, nordamerikanischen Ethnie zu sein, sind in Deutschland negativ konnotiert.
Auch wenn US-amerikanische Schwarze sich untereinander „Nigger“ nennen, würde ich davon abraten, das als Weißer in Compton zu übernehmen.

Die unbestreitbaren Gräuel, die diesen Ethnien durch die Siedler und dem entstehenden Staatenbündnis USA angetan wurden, sind alleine nicht ausreichend, dem Wort im Deutschen eine negative Konnotation zu geben. Auch nicht, dass die Bezeichnung ja eine Fremdbezeichnung von Menschen ist, die man als Feind betrachten könnte. („Indianer“, weil Kolumbus dachte, er sein in Inden.) Das sind die „Germanen“ auch. Auch sie wurden durch die Römer massakriert, versklavt und deportiert, trotzdem ist der Begriff höchstens durch die Nazis negativ konnotiert. Und Hitler, der nicht einen Jota germanische Abstammung in sich trug. Aber nicht wegen der Römer. Und auch nur im Englischen, denn die Deutschen haben in anderen Sprachen viele Namen.

Die Wissenschaft von Idioten

Das United States Census Bureau ist für Volkszählungen zuständig.
Laut Wikipedia wurde aus deren Bezeichnung „Oriental“ zunächst „Asian“, inzwischen ist man bei „Asian-American and Pacific Islander“. Aus dem durchaus negativ belegten Begriff „Colored“ wurde „Negro“, dann „Black“ und nun ist man bei „African-American“.
Was streng genommen die Parole „Black live matters“ zu einer Herabwürdigung macht.
Die Behörde hat im Abstand von jeweils zehn Jahren niemals den gleichen Begriff verwendet. Außer für „Weiße“.

Sharon Henderson Taylor hat bereits 1974 eine Studie veröffentlicht, in der sie betrachtet hat, wie viele Umschreibungen es für „dumm“ gibt. Sie kam auf über 400 Begriffe. (Ja, ich hab mir das echt reingezogen. „Kohlrübe“ und „Schwede“ bedeuten im Englischen aus irgendeinem Grund das Gleiche.)
Doch das waren nicht nur Beschimpfungen. Sondern auch viele Versuche, eine wenig diskriminierende Umschreibung zu finden.

Amüsant empfand ich den Versuch der Schulbehörde von Detroit, die Dummen in speziellen „Förderklassen“ (Euphemismus) unterzubringen. Und diese dann mit „Special A“ und „Special B“ zu bezeichnen. Damit das weniger herabsetzend ist. Ich kann mir vorstellen, was auf dem Schulhof los war.

Die Gefahr der Sprachregelung

Sicher, viele Studien zeigen, dass eine Regulierung der Sprache auch den Umgang miteinander beeinflussen kann.
Doch das sollte man nüchtern betrachten. Dabei ging es immer um geschlossene Teilgesellschaften. Um Biotope, in denen jedem der Sinn dessen bewusst war und alle bemüht waren, dem nachzukommen. Beispielsweise in Unternehmen oder an Universitäten. Nicht für eine ganze Sprachgemeinschaft. Und es gibt ausreichend Beispiele, die nicht euphorisch stimmen, dass so etwas klappen könnte. „Migranten“ ist das neue „Ausländer“, „Islamisierung“ ist das neue „Die nehmen uns die Jobs weg“.

Ich halte diese Versuche für gefährlich. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Und der Zweck heiligt nicht alle Mittel.

Zum ersten braucht der Mensch Orientierung. Ob gut oder schlecht. Greift man diese Orientierung an, wird er sich dagegen wehren. Und Sprache an sich ist eine Orientierung. Und Ausdruck einer Identifikation, eines Weltbildes. Eines falschen, aber auch eines richtigen.
Das spielt natürlich Konservativen in die Karten. Das Thema „Zigeunerschnitzel“ wird von einigen bis heute künstlich hochgehalten, obwohl „Zigeuner“ eindeutig eine Beleidigung ist.

Die zweite Gefahr sehe ich in einer Übersteuerung. Vor allem durch das Netz 2.0 haben viele Minderheiten eine Stimme gewonnen. Und sie fordern Aufmerksamkeit, Anerkennung und Identität.
Doch da jeder irgendwie zu einer Minderheit gehört, gilt es auch immer mehr Rücksicht zu nehmen. Wir stürzen unserer Wohlstandsgesellschaft in eine öffentliche Debatte, die in weiten Teilen dieser Welt gar nicht stattfindet. Und das kann in beiden Richtungen zu einem Kulturschock führen.
Ich warte bis heute auf den ersten Christopher Street Day in Teheran oder Nordkorea. Freedom and Pride.

Es bleibt alles anders

Ich befürchte, es gibt keine andere Möglichkeit, als von Fall zu Fall zu entscheiden.
Ob ein Wort, das nicht juristisch als Beleidigung definiert ist, tatsächlich herabwürdigend benutzt wird. Und dafür ist auch entscheidend, wer der Sender ist und in welchem Kontext es benutzt wird.

Beispielsweise aus welchem soziokulturellen Kontext derjenige stammt, der es ausspricht. Wer adressiert wird. Ob eine bestimmte Person oder eine Personengruppe benannt wird.

Natürlich kann man nun viel Lebenszeit damit vergeuden, darüber zu diskutieren, ob „Indianer“ herabwürdigend ist. Aber dann muss man auch anerkennen, dass die Deutschen ausnahmsweise mal nichts mit der Scheiße zu tun hatten, die dort passiert ist. Deutschland hatte seine Hochzeit im Scheißebauen und hält da auch durchaus bemerkenswerte Rekorde. Aber entgegen der deutschen Wahrnehmung sind wir in den letzten bummelig 2000 Jahren gar kein unangefochtener Spitzenreiter. Und hatte eben nicht mit allem was zu tun. Auch beim transatlantischen Sklavenhandel sind wir ziemlich raus.

Und das ist kein rechtspopulistischer Whataboutism. Über den Holocaust wird noch in 300 Jahren zu sprechen sein. Zu Recht, wir haben das Morden typisch deutsch industrialisiert. Es ist nur bedauerlich, dass wir wenig über Holodomor und Aghet sprechen. Und über Stalins Gulags.
Ich möchte der geschundenen deutschen Seele nicht weh tun. Ich möchte ihr in den Arsch treten zu wenig zu tun.

Als „Aborigine“ wurden ursprünglich die Bewohner der italienischen Region des Latiums um Rom bezeichnet. Es stammt vom lateinischen „ab origine“, was „von Beginn an“ bedeutet. Die indigenen Völker Australien so zu bezeichnen war keine Idee der Deutschen. Tatsächlich haben sie selber gar kein Wort dafür. Es sind Ethnien der Anagu oder Koori, von denen die meisten Europäer noch nie gehört haben.
Kann ein deutscher Sprecher den Begriff wirklich böse meinen?

Wir befinden uns im Informationszeitalter. Damit müssen wir lernen umzugehen. Sprachregelungen sind ganz offensichtlich nicht zielführend. Wir werden uns bemühen müssen, andere Lösungen zu finden.

Und viel wichtiger wäre es, den immer noch tief verwurzelten Glauben an menschliche „Rassen“ auszumerzen. Denn da hat das Problem seinen Ursprung. Nicht in einem austauschbaren Begriff.

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