Von der Unmöglichkeit Sprache zu steuern

Gedanken über Sprachregelungen, Neger, Arme und Indianer

Derzeit tobt eine Diskussion um das Wort „Indianer“ auf Social Media. Ist „Indianer“ nun rassistisch oder nicht? Bedient es Stereotype, oder nicht? Darf man es sagen, oder nicht?
Ein wissenschaftlicher Standpunkt dazu ist: Das Unterbinden eines Wortes ändert nichts an der Herabsetzung. Das Thema ist viel komplexer.

Seit Langem bin ich Mitglied in einem gemeinnützigen Verein, der kostenfreie Beratung von Profis anbietet. Schuldnerberatung, Paarberatung, Sozialberatung, usw.
Ich habe für den Verein gearbeitet und habe auch ehrenamtlich geholfen. Jeden Text musste ich korrekturlesen lassen. Endlose Diskussionen, egal ob Veröffentlichung, Plakat oder Flyer. Weil es ein striktes Wording gibt. Dem ich nie mächtig wurde.

Man sagt nicht „arm“. Das Wort ist tabu. (Ein Begriff aus Polynesien.) Weil arme Menschen in Deutschland stigmatisiert sind. Aber man musste ja zwangsläufig auch mal über Arme sprechen, wenn man ihnen helfen will. Also wurde die Umschreibung „sozial schwach“ verwendet. Irgendwann kam jemand darauf, dass das ja auch nicht so ganz ok sein kann. Denn nur weil jemand arm ist, ist er ja nicht gleich „sozial schwach“. Denn das impliziert ja, er sei sozial unbedarft. Auf gut Deutsch ein Asi. („Assi“ ist übrigens der Assistent.)

Inzwischen wird es umschrieben. Geht es um finanzielle Dinge wie Schulden, wird es mit „finanziell schwach“ umschrieben. Geht es um Dinge wie Bildung oder Kompetenzen, wird es mit „sozial benachteiligt“ umschrieben. Der Armutsbericht heißt immer noch Armutsbericht.

Die Schwierigkeit ist, dass immer noch das Gleiche gemeint ist. Und jeder weiß das. Zwischen den Ohren derjenigen, die „arm“ mit „Sozialschmarotzer“ oder „Versager“ gleichsetzen, ändert es absolut nichts. Dann setzen sie halt „prekäre Lebensverhältnisse“ mit „Versager“ gleich.

Euphemismen

In der Wissenschaft gibt es dafür die Hypothese der Euphemismus-Tretmühle. (euphemism treadmill)

Ein Euphemismus (Hüllwort) ist eine beschönigende Umschreibung. (εὐφημία euphēmía: Worte von guter Vorbedeutung)

Will ich jemandem sagen, dass er doof ist, meint das ja eigentlich unintelligent. Also sage ich ihm, dass er mir retardiert vorkommt. Das hört sich das viel netter an. Meint aber das Gleiche. Außerdem ist es keinen Tatsachenbehauptung und damit juristisch unbedenklich.

Und will ich einem Arbeitskollegen mitteilen, dass ein Vorschlag scheiße ist, kann ich ihm sagen, dass sein Vorschlag aus seiner Perspektive vermutlich naheliegend ist. Aber man das Problem auch anders hinterfragen sollte. Schon habe ich ihm innerhalb von wenigen Sekunden übermittelt, dass nicht nur sein Vorschlag scheiße ist, sondern dass er ein Idiot ist überhaupt auf einen solchen Vorschlag zu kommen. Und vermutlich gelben Schnee leckt.
(Einige Kommentatoren der Facebook Fanpage rechnen mir offenbar ein Talent für so etwas zu. *zwinkersmiley)

Die Tretmühle

Sehr vereinfacht besagt die Euphemismus-Tretmühle, dass wenn man einen abwertenden Begriff durch einen neuen, scheinbar weniger abwertenden Begriff ersetzt, es nichts bringt. Weil dieser neue Begriff sehr schnell übernommen wird und immer den gleichen Bedeutungsinhalt übernimmt. Und diejenigen, die ihn böswillig benutzen wollen, dann halt den neuen Begriff böswillig benutzen.

„Ausländer“ wurde längst durch „Immigranten“ abgelöst. Und „Migration in unsere Sozialsysteme“ wurde draufgesetzt. Die schreien nicht mehr „Ausländer raus“, die schreien „gegen die Islamisierung“ oder „Stopp die Wohlstandsmigration“. Und selbst viele, die da mitlaufen, haben es nicht gemerkt.

Das führt dazu, dass manche in eine Tretmühle geraten. Weil sie versuchen wieder und wieder neue Umschreibungen zu finden. Weil die neuen Umschreibungen auch wieder stigmatisiert sind, sobald sie von der Allgemeinheit übernommen wurden.

Beispiel: Der „Neger“

Der „Neger“ ist in der Sache nichts Böses. Denn es leitet sich aus dem lateinischen „niger“ für „schwarz“ ab.

Aber die Wortherkunft (Etymologie) zu betrachten reicht ja nicht. Denn „Neger“ wurde im Deutschen über lange Zeit bewusst abwertend verwendet. Obwohl es hier keine „Negersklaven“ gab, wurde „Neger“ mit „minderwertig“ gleichgesetzt. Den „Negern“ wurde nachgesagt, sie seien dumm, faul und könnten keine Zivilisation begründen. (Was historisch absurd ist.)
Diese Diskriminierung ist nicht nur verbrieft und geht weit über die Nazis hinaus. Sie ist tradiert. Und genau deshalb wird „Neger“ heutzutage – zu Recht – auch von einem deutschen Gericht als Beleidigung eingestuft.

Also wurde „Neger“ durch „Schwarze“ ersetzt. Was natürlich irgendwie auch quatsch ist, weil Schwarze so schwarz sind wie Weiße weiß sind. Was aber deshalb besser ist, weil es im Deutschen keine herabsetzende Konnotation hat, keinen mitschwingenden Bedeutungsinhalt. Denn es geht ja nicht um Farbenlehre.

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PrologAufgrund einer offenen Umfrage auf der Facebook Fanpage habe ich mich dazu entschlossen, diesen Artikel ohne Bezahlschranke bereitzustellen. Er ist auch auf der Steady Seite für Abonnenten erschienen. Walter Isaacson ist Geschichtsprofessor für Geschichte, ehemaliger […]