Und der nächste deutsche, russische Spion

Professionelle Amateure, Größenwahn und Medienrummel

Erneut wurde ein vermeintlicher deutscher Spion für Russland festgenommen. Und erwartungsgemäß bekomme ich nun die Fragen. Da es dazu noch keine genauen Informationen gibt, und vermutlich auch lange nicht geben wird, kann ich es höchstens einordnen.

Thomas H. war Offizier im Beschaffungsamt. Offiziell hat das bürokratische Ungetüm auch einen bürokratisch angemessenen Namen: Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw).
Ich habe zehn Jahre gedient und kann mir nicht einmal die Abkürzung merken. Geschweige denn den Namen.
In den 90ern wurde es einfach nur Amt für Wehrtechnik oder Beschaffungsamt genannt. Oder, aufgrund seines bürokratisch-monströsen Rufes, „Koblenz“. Ich werde dabei bleiben. Es ist ein Kropf.

Dieses Amt bescherte uns so Evergreens wie Gewehre, die nach Dauerfeuer verziehen oder Schützenpanzer, die bei der ersten Übung kaputt gehen.
Bitte verstehen Sie mich richtig falsch: Das mit den Gewehren ist aufgebauschter Unfug, da sie im Einsatz nie so eingesetzt würden. Und das mit den neuen Panzern… na ja, die Bundeswehr ist Meister im Nachbessern.

Was an Koblenz das wirkliche Problem ist, neben der Bürokratie von knapp 7000 Mitarbeitern (die allermeisten Zivilisten), sind die Verträge. Sehr vereinfacht gesagt beschafft das Beschaffungsamt Zeug, und wenn es untauglich ist, sind häufig Verträge geschlossen worden, in denen die Hersteller keine Gewährleistung tragen. Oder das Material wurde unzureichend geprüft.

Wenn die Truppe für Somalia, dem ersten deutschen Kampfeinsatz im Ausland nach dem Zweiten Weltkrieg, neue Stiefel bekommen, bei denen sich im heißen Wüstensand die Sohle löst, weil sie nie entsprechend geprüft wurden, dann ist Schluss mit lustig.
Legendär ist die Geschichte, wie das deutsche Kontingent ganze Paletten voll Dosen-Ananas per Helikopter bei den Italienern gegen Bier getauscht hat. Mehr muss man zum Beschaffungsamt nicht sagen.

Nun wurde Thomas H. festgenommen. Aber dazu kann ich wenig Sinnvolles sagen. Eben weil es um Spionage geht. Und deshalb werden die Informationen dazu sicher eher spärlich ausfallen.
Aber ich gehe davon aus, dass die Fragenden eher eine persönliche Einschätzung und Einordnung von mir haben wollen.
Unter dieser Prämisse kann ich ja mal ungehemmt vom Leder ziehen.

Der Spion, der aus dem Amt kam

Ich habe bereits in mehreren Artikeln versucht, das Bild des Spions aus Hollywood Filmen und aus dem heißen und kalten Krieg an den Realitäten zu messen.
Deshalb mal eines grundsätzlich vorweg:

Thomas H. ist kein Meisterspion, der vor Jahrzehnten von den Russen in die Bundeswehr eingeschleust wurde.
Es ist – oder war – ein Offizier beim Beschaffungsamt. Egal, was aus einem Gerichtsverfahren wird, den Job ist er los. Denn es wurde ein Haftbefehl ausgestellt. Und die Anhaltspunkte, um einen solchen Haftbefehl auszustellen, reichen in aller Regel aus, um jemanden mindestens von seinem Posten, eher aus dem Dienstverhältnis zu entfernen. Rente gibt’s dann auch nicht mehr. Tel Aviv, wie der Italiener sagt.

Zum ersten hatte Thomas H. bei Koblenz ein Haus in der Nähe der Dienststelle. Das bedeutet, dass er davon ausgehen konnte (oder musste), langfristig in Koblenz die Aussicht genießen zu können.
Soldaten, die damit rechnen müssen häufiger versetzt zu werden, kaufen kein Haus in der Nähe ihres Kommandos. Das macht man erst ab einem bestimmten Dienstgrad in einer bestimmten Verwendung, tendenziell eher bei absehbarer Karriereleiter.

Und im Beschaffungswasserkopf werden üblicherweise Soldaten eingesetzt, die aus dem Stabsdienst kommen.
Bei der Marine ist das immer recht leicht, denn dort sind die „Berufe“ der Soldaten in Verwendungsreihen unterteilt. Und die Geschäftszimmerfrettchen haben eine 60er Verwendungsreihe. Logistik, Materialbewirtschaftung, allgemeiner Marinedienst. Ähnliches gilt auch für Heer und Luftwaffe, nur die haben solche Zahlen nicht.
Bevor jemand fragt, ich war 57er: Luftbilddienst im Marinefliegerdienst. Klingt auch nicht viel sexier, aber damit landet man zumindest nicht in Koblenz.

Die Fachoffiziere

Zudem ist es so, dass viele dieser Offiziere so genannte Fachoffiziere sind.
Man kann als Unteroffizier anfangen, muss dann eventuell sein Abi nachmachen und wird dann „Fachoffizier“. Und damit meist Berufssoldat.
Das bedeutet aber auch, dass man die Verwendungsreihe nicht mehr wechseln kann. Und man kann höchstens Stabshauptmann werden. Genau für die wurde dieser Dienstgrad nämlich eingeführt. Das haben auch zwei Kameraden von mir gemacht. Das kann der schwerste Weg in der Bundeswehr sein. Eben weil man innerhalb von zwei Jahren das Abi nachholen muss. Schafft man irgendeine Hürde nicht, ist man raus.
Ein ehemaliger Ausbilder von mir ist von meiner Einheit aus zu den Minentauchern/Kampfschwimmern gegangen und ist dort Fachoffizier geworden. Das ist sicher das Krasseste, was es gibt. Ein Pilot von uns war gelernter Bäcker mit Hauptschule und ist Fachoffizier auf dem Tornado geworden. Hacken zusammen und Hut ab, höchsten Respekt.

Diesen Weg beschreiten meist diese Stabsbediensteten. Weil die oft eh schon Abi haben und weil die spätere Ausbildung vergleichsweise leicht ist. Das sagt erstmal nichts, ich hatte zweitweise den besten Chef der Welt, der diesen Weg gegangen ist. Und ich hatte einmal kurz einen absoluten Vollarsch als Chef, der diesen Weg gegangen ist. Mit dem ich mich auch amtlich angelegt habe.

Diese Faktoren machen einmal deutlich, wie ich die Lage bisher einschätze.
Natürlich kann ich daneben liegen. Aber ich gehe davon aus, bei Thomas H. handelt es sich um einen zukünftigen Ex-Fachoffizier im Stabsdienst, vermutlich höchstens bis zum Dienstgrad Hauptmann. Der in Koblenz eine Dienststelle hatte, in der er bis zur Pensionierung im warmgefurzten Sessel in den Sonnenaufgang über dem Deutschen Eck schauen konnte.
Und wenn man lieber Pilot, Kampfschwimmer oder Spion wäre, kann das natürlich ziemlich frustrierend sein.

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