Schluss mit lustig!

Industrialisierte Witzemacher

Vielleicht bin ich dahintergekommen, warum die meisten Kabarettisten nur noch oberflächlichen Mist produzieren. Oder Comedians, oder Satiriker, oder Harlekine, oder nennt sie wie Ihr wollt.

Um unter den vielen Comedians präsent zu sein, muss der durchschnittliche Humorarbeiter Content produzieren. Wie eine Zeitung.
Diejenigen, die das finanzieren, unterliegen genau den gleichen werbefinanzierten Mechanismen. Nämlich die Fernsehsender, die diese Handsprechpuppen kaufen, ihr Lied singen lassen und dann wieder ausspucken, wenn sie keine Klicks und Quoten mehr bringen.

Und wie macht man das möglichst schnell, effektiv und nachhaltig?
Richtig, man gibt ihnen eine eigene Sendung.

Das ist natürlich subjektiv. Aber wenn ich so drüber nachdenke, ist mir aus den letzten 20 Jahren kein irgendwie genannter Witzeerzähler bekannt, der nach einem ersten Hoch einer eigenen Sendung noch irgendwie Erfolg hatte.
Ich nenne das die Mariobarthisierung.

Eine lustige Ausnahme ist Harald Schmidt, der sich inzwischen soweit im Feuilleton eingerichtet hat, dass er vor allem Medien-Meta-Humor macht, den Nicht-Medien-Leute kaum noch verstehen. Man merkt ihm an, dass er da sichtlich Spaß dran hat. Er verarscht sich ja auch gerne selber. („Mit so Witzen mache ich sonst Möbelhäuser auf.“)
Andere Ebene, andere Liga. Millionäre machen worauf sie Bock haben.

Es gibt natürlich einen Gewöhnungseffekt. Wenn Tutty Tran das erste Mal mit Berliner Schnauze Vietnamesen verarscht, ist das sehr witzig. Beim dritten Mal hat sich das aber irgendwie totgelaufen. Auch wenn er einen Exotenbonus hat. Nicht weil er vietnamesischstämmig ist, sondern weil er aus Berlin kommt. Das muss auf einen Versicherungsfachangestellten aus der Voreifel exotischer wirken als der letzte Antalya-Urlaub mit Vollpension.
Und wenn man den Humor von Felix Lobrecht erst einmal verstanden hat, ist der Zauber verflogen wie nach einem One-Night-Stand beim Kegelclubausflug.
Das ist aber normal.

Die Vortänzer des politischen Kabaretts sind üblicherweise langlebiger. Denn sie haben ja noch eine zweite Ebene zu bieten. Den inhaltlichen Diskurs.
Man kann es sich heute kaum noch vorstellen: Der Scheibenwischer des legendären Dieter Hildebrandt kam alle zwei Monate. Und er hatte pro Sendung ein Thema. Da gab es dann auch schon mal Grimme-Preise. Und der BR klinkte sich wegen angeblicher Bayernfeindlichkeit aus. (Er hat sofort die Namensrechte zurückgezogen, die er nach seinem Ausscheiden noch hatte, nachdem angekündigt wurde dort auch Comedians auftreten zu lassen.)
Nicht Witze über Wokeness machen, selber den Arsch haben auf Wokeness zu scheißen. Das wäre doch mal was. Menschen die für viel Geld im Fernsehen erklären, dass man ja nichts mehr sagen darf… genau nicht mein Humor.

So ein Dieter Nuhr muss sich inzwischen wöchentlich etwas aus den Fingern saugen. Was liegt da näher, als populistische Stimmungsgemengelagen aufzugreifen und auch mal manipulativ Fakten zu verdrehen?
Es hat sich bei vielen gedreht. Anstatt gegen den wirklichen Mainstream zu witzeln, werden Witze auf Kosten von denen gemacht, die dieser biederen, fernsehguckenden Zielgruppe in ihren Wohnzimmern in Bottroper Barock und Ikea-Serviervorschlägen mit Zimmerpflanze widersprechen.
Es ist ein wenig wie bei den Freidensforderern. Die so lange Frieden von den USA gefordert haben, dass sie verwirrt sind, wenn plötzlich jemand anders der Adressat sein sollte.

In der guten alten Zeit haben die Leute monatelang an einem Programm gearbeitet, sind getourt, haben dafür in Sendungen Werbung gemacht und dabei ihre Witze-Resterampe von der vorherigen Tour rausgehauen.

Und selbst wenn sie sich keine eigene Sendung haben aufschwätzen lassen und plötzlich anderweitig vom Comedian zum Moderator und Gesellschaftsphilosophen mutieren, sind sie häufig auf Social Media präsent. Die Algorithmen spielen eine große Rolle, wenn man erst einmal sechsstellige Follower-Zahlen hat. Das ist Marktwert. Man muss täglich etwas raushauen, sonst wir man abgestraft: Die Postings werden weniger auf den Timelines der Fans ausgespielt.

Was ich bauernschlau mit den täglichen Achtuhr-Postings umgehe. Martin Sonneborn postet Bilder vom Essen im Backstage-Bereich. Auch nicht schlecht. Aber wenn man von einem echten Satiriker Zusehens auf persönliche Beleidigungen unter der Gürtellinie und Namensverballhornungen auf dem Niveau eines Montagsspazierganges abdriftet, kann das die grandiose Idee sich ins Europaparlament wählen zu lassen auch nicht mehr ausbügeln.

Und zu Serdar Somuncu mag ich gar nichts mehr sagen. Der den meisten ja nur noch mit seinem Fäkalhumor (den ich mochte) auf den Testikel gegangen ist, weshalb er sich zwangsläufig hinter eine Bezahlschranke zurückziehen musste, wo es auch nicht mehr so gut für ihn zu laufen scheint. Dem konnte man zwar den Moderator zutrauen, aber Facebook wohl nicht.
„Man darf ja nicht sagen was man will“ – Ja, richtig ihr Clowns, weil Ihr Euch selber von milliardenschweren Konzernen abhängig macht.

Und dann kommt auch noch so eine Pandemie. Da mussten sich viele etwas Neues überlegen.
„Ohne Kunst und Kultur wird es still.“ Ach Fresse, Ihr Hafensänger. Wärt ihr mal auf die Intensivstationen gegangen, hättet ihr hören können, wie laut es da ist.
Die Kultur im differenztheoretischen Sinne ist immer ganz oben auf der Bedürfnispyramide. Steht gleich neben Luxus und Apfelausstechern. Sie ist das Erste was fällt, wenn eine Gesellschaft unter Stress gerät. In Bachmut gibt es überraschend wenig Konzerte. Erst kommt das Kacken, dann die Moral. Augen auf bei der Berufswahl.

Für mich ganz persönlich war es vorbei, als mehr und mehr dieser professionellen Laiendarsteller anfingen Erklärungen zum Krieg abzugeben.
Wenn Studenten der Theaterwissenschaften oder Germanisten Prognosen raushauen, dann ist schlicht Schluss mit Lustig.
Vielen war die Ernsthaftigkeit dessen, was sie da von sich gegeben haben, sicher gar nicht bewusst. Es ist ein Unterschied, ob man Witze über das Gesundheitssystem macht und dadurch im besten Falle versucht Missstände aufzuzeigen, oder ob man versucht Chirurgen ihren Job zu erklären.

Für mich kann der öffentlich-rechtliche Rundfunkt gerne um mehr als die Hälfte gesundgeschrumpft werden. Aber aus völlig anderen Gründen als die der ewig plärrenden Rechtspopulisten. Sondern aus psychologischen. Da wurde ich ja auch von einigen schön missverstanden.
Aber das erzähle ich vielleicht ein andermal.

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