Putin droht mit Gegenschlag

Die Fabel von der blitzschnellen Antwort

Am späten Nachmittag wurde ich gestern um eine Stellungnahme zu einer angeblichen Äußerung Putins gebeten. Der Leser schickte per PN einen Screenshot des Live Tickers von ntv an die Facebook Fanpage. Nach kurzer Recherche bestätigte sich meine erste Vermutung.

Putin soll in St. Petersburg gesagt haben, dass Russland Einmischungen in den Ukrainekrieg mit einem Gegenschlag beantworten werde.

„Wer sich von außen einmischen wolle und eine für Russland unannehmbare strategische Bedrohung schaffe, müsse wissen, dass die Antwort »blitzschnell, rasch« sein werde, sagte Putin am Mittwoch in St. Petersburg.“

Dieser Einleitungssatz steht in den Meldungen zu lesen. Stern, Merkur, ntv, Tagesspiegel… selbst die Tagesschau griff diese Formulierung abgewandelt auf.

Diese Einleitung ist so häufig wortgleich wiedergegeben, dass es nicht viel braucht um zu merken, dass es sich um eine Agenturmeldung handelt. Zudem wird immer nur angegeben, dass Putin dies gestern in St. Petersburg gesagt habe. Es wird aber nicht erklärt, zu welchem Anlass.
Nach der Häufigkeit und den Verweisen ist davon auszugehen, dass es sich um eine Meldung der Deutschen Presseagentur dpa handelt.

Nachrichtenlage deutsch: dünn

Versucht man nun andere Quellen mit den üblichen Mitteln zu finden, ist das kaum möglich. Nutzt man in seiner bevorzugten Suchmaschine die Standardsprache Deutsch und rezipiert auch meist deutsche Seiten, werden einem ausländische Quellen gar nicht angezeigt.
Erst wenn man gezielt danach sucht, findet man eine Meldung, die durch die Nachrichtenagentur Agence France-Presse AFP verbreitet wurde. Und dort ist nicht mehr von einer „Einmischung“, sondern von einem „Eingreifen“ die Rede.

Ein einziges Wort, ein so großer Unterschied. Wörtlich steht dort sogar geschrieben „Russlands Präsident Wladimir Putin hat anderen Ländern mit einer »blitzschnellen Reaktion« gedroht, sollten sie in der Ukraine militärisch eingreifen.“ Lost in translation.

Um einen besseren Eindruck zu haben, habe ich in englischsprachigen Quellen gesucht. Und die Rede im Original (Video, Screenshot Titelbild) gefunden. Leider würden meine Russischkenntnisse kaum für einen Restaurantbesuch ausreichen. Daher habe ich mir mehrere englische Übersetzungen der Rede angesehen. Einige nachträgliche Übersetzungen, die wiederum auch auf französischen Kanälen verteilt wurden, und eine Simultanübersetzung.

Ich gebe das Zitat so wieder, wie ich es aus mehreren Quellen zusammengefasst habe:

„Wenn jemand plant in die stattfindenden Ereignisse von außen einzugreifen, und strategische Bedrohungen für Russland schafft, die für uns inakzeptabel sind, sollte er wissen, dass unsere Gegenschläge unmittelbar und sehr schnell sein werden. Wir haben alle Werkzeuge dafür. Dinge, die mit denen niemand anderes derzeit prahlen kann. Wir werden nicht prahlen. Wir werden sie nutzen, wenn es nötig ist. Und ich möchte, dass das jeder weiß.“

Bis auf eine Ausnahme benutzten alle Übersetzungen die Vokabel „interfere“. Die viel mehr ein „Eingreifen, Stören oder Behindern“ bedeutet. Im Gegensatz zum schwächeren „Intervention“, dass auch „Einmischen“ und sogar „Vermitteln“ bedeutet.

Von Wortklaubereien abgesehen vermittelt die vollständige Übersetzung der Passage noch einen ganz anderen Eindruck. Der meiner Meinung nach viel wichtiger ist.
Putin hat diese Rede vor Spitzenfunktionären in St. Petersburg gehalten. Wir beziehen solche Drohungen gerne auf uns, glauben dass wir damit angesprochen sind. Die erste und wichtigste Adresse ist aber fast immer die innenpolitische.

Putin droht mit einer „sehr schnellen“ Antwort. Mit der „andere nicht prahlen könnten sie zu haben“.
Damit können nur die Hyperschall-Raketen gemeint sein.

Hyperschall: ein kurze Übersicht…

Im Groben handelt es sich dabei um drei Waffensysteme.
Das erste ist die schiffsgestützte SS-N-33 Zirkon. Diese soll nach Einschätzungen der Geheimdienste aber erst 2023 einsatzbereit sein. Diese Rakete wird von Schiffen aus abgefeuert und soll eine Reichweite bis zu 500 Kilometern haben. Die Geheimdienste wüssten also sehr genau, ob nach der Versenkung der Moskwa überhaupt Schiffe im Schwarzen Meer solche Raketen abfeuern könnten.

Das zweite ist die Ch-47M2 Kinschal (NATO-Code AS-24 Killjoy). Sie wird von Flugzeugen aus abgefeuert und ist ebenfalls nicht interkontinental. Sie könnte beispielsweise Deutschland wohl gar nicht erreichen, das Flugzeug müsste dafür vermutlich über NATO-Gebiet fliegen. Und sie wurde bereits in der Ukraine eingesetzt. Sie konnte dabei laut US-Offiziellen in Echtzeit verfolgt werden. Den taktischen Wert bewerten die USA als „sinnlos“, es war eine überflüssige Machtdemonstration. Wie viele Russland davon überhaupt besitzt ist ungewiss. Sie sind sehr teuer.

Das dritte System ist die Interkontinentalrakete RS-28 „Sarmat“, NATO-Name SS-X-30 Satan 2. Und das ist genau das Waffensystem, das vor einer Woche getestet wurde. Nachtigall, ick hör dir trapsen.
Die Entwicklung hinkt gnadenlos hinterher. Dieser Test war bereits für 2017 geplant. Er war auch gemäß Abkommen bei den USA angemeldet. Und es war der erste Test des ganzen Waffensystems.
Es ist also nicht nur quasi ausgeschlossen, dass dieses System bereits in der Truppe verfügbar ist. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass es überhaupt einsatzbereit ist.

Am Ende des Tages

Russland versucht schon länger den Eindruck zu vermitteln, es sei im Besitz von Hyperschall-Raketen. Dabei ist die Propaganda nach innen wichtiger als nach außen.
Schon die Nazis propagierten die Rakete V2, die „Vergeltungswaffe“, als vermeintliche Wunderwaffe. Der tatsächliche Nutzen war gering. Es sollte der Eindruck bei der Bevölkerung vermittelt werden, der „Endsieg“ sei dadurch zu erreichen.

So bewerte ich die Rede Putins. Er vermittelt den Eindruck, man habe eine Wunderwaffe, gegen die der Westen sich nicht wehren könne. Zufälligerweise eine Woche, nachdem der erste Test eines solchen Systems von der Propaganda ausgeschlachtet wurde.

Der Nutzen solcher Waffen wird eher zurückhaltend beurteilt. Der Kosten-Nutzen-Abwägung eher negativ. Ob solche Raketen oder Flugzeuge tatsächlich nicht abzuwehren sind, sei dahingestellt. Da werden sich die Länder mit Aussagen zurückhalten. Klar ist, dass sehr viele Länder daran arbeiten und forschen. Auch Deutschland. Die USA wollen im nächsten Jahr das erste System einsatzbereit haben. Es ist also keineswegs so, dass Russland im alleinigen Besitz einer Wunderwaffe ist.

Die Deutsche Presseagentur liefert eine eher mäßige Übersetzung. Und erklärt den Kontext nicht. Die Meldung wird aber in der Medienlandschaft der Agenturpresse überall aufgegriffen. Das alleine reicht ja schon, das Leser es für besonders wichtig, akut oder dramatisch halten.
Dass es in der Rede hauptsächlich um Politik und die Sanktionen ging, wird höchstens beiläufig erwähnt.

Bei dem durchschnittlichen Leser kommt so der Eindruck auf, Russland hätte NATO-Staaten wegen Waffenlieferungen konkret gedroht. Beim genaueren Hinsehen erweist sich das aber erneut als heiße Luft.

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