Kann die Ukraine gewinnen?

Eine Prognose mit Erklärung

Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich in den letzten Wochen gefragt wurde, ob die Ukraine überhaupt eine Chance hat. Ob sie den Krieg überhaupt gewinnen kann.

Um es kurz zu halten: Ja.
Ganz einfach, weil Russland den Krieg mit konventionellen Waffen nicht gewinnen kann. Und weil die Ukraine „nur“ verteidigen muss.

Zunächst muss man sicher mit gewissen Vorstellungen aufräumen. Denn im deutschsprachigen Raum sind wir sehr geprägt von dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs.

Was bedeutet es überhaupt, einen Krieg zu „gewinnen“?
Dass es so läuft wie im Zweiten Weltkrieg in Deutschland, ist eher ungewöhnlich. Also mit der Besetzung des jeweiligen Staates.
Das haben in dem Fall ja auch nur die vereinten Alliierten hinbekommen. Und ohne Mithilfe der Deutschen selber, hätten sie auch das wohl nicht geschafft.

Die Vorstellung des eroberten Landes geht eher auf das Mittelalter zurück. Oder auf den Dreißigjährigen Krieg in der frühen Neuzeit. Doch da wurden Territorien eben nicht besetzt. Sie bekamen lediglich neue Herrscher.

Als Köln Anfang des 19. Jahrhunderts von den napoleonischen Franzosen besetzt war, sind die Kölner hingegangen und haben nachts die Straßenschilder und Hausnummern vertauscht. Die Post kam nicht mehr an. Auch keine Verwaltungspost oder Militärbefehle. Rheinisch-lakonische Guerilla. Der französische Statthalter schrieb verzweifelt nach Paris, die Rheinländer seien einfach nicht zu regieren.

Die Liste ist lang. Die Amerikaner mussten sich erst in Korea begnügen. Es war ein Stellvertreterkrieg wie in Syrien. Auch China hat nicht bekommen, was es wollte.
Anschließend auch noch in Vietnam. Ein Kommentator sagte damals: Jeder ist Live dabei, aber keiner weiß mehr, worum es geht.

Die Russen mussten nach zehn Jahren und vielen Toten aus Afghanistan abziehen. Und nun sind auch die „westlichen“ Streitkräfte abgezogen. Bis heute herrschen in Afghanistan Clan Strukturen und Stammesführer, die wir als „Warlords“ bezeichnen. Die sozialen Strukturen unserer Vorfahren waren vor 1700 Jahren nicht anders. Afghanistan wurde von den Briten auf der Landkarte gemalt, nicht von Afghanen.

Im Irak hat das auch nur kurzfristig geklappt, weil die Iraker die Schnauze von der Diktatur voll hatten. Wirklich besetzt war der Irak auch nie. Und nach unserem Verständnis auch nicht demokratisch.

Seit dem zweiten Weltkrieg hat es keinen Krieg zwischen Staaten mehr gegeben, in dem dauerhaft ein territorialer Gewinn für eine Kriegspartei herausgesprungen ist. Das sollte man sich einfach einmal klar machen.

Russland will die russischen Völker vereinen zu einem Reich. Oder zumindest zu einem Verband unter russischer Herrschaft. Per russischer Definition wäre das Belarus, wo sie einen Diktator von Russlands Gnaden laufen haben (Lukaschenko). Es wären einige kleine Kleckereien im Kaukasus, wie Tschetschenien und Georgien, wo sie seit Jahren immer mal wieder Krieg führen. Und es wäre die Ukraine.

Russlands Problem ist jetzt, dass die Ukraine da gar nicht mehr so wirklich Bock drauf hat. Die haben Demokratie geschmeckt. Noch ziemlich am Anfang, aber das reicht wohl schon. Zudem kommt die ukrainische Geschichte. Die nach dem Holodomor und sowjetischer Okkupation Russland immer als Fremdherrschaft gesehen hat.

Und damit kommt man dann auf die militärische Ebene. Was bedeutet das eigentlich, dass Russland den Krieg gewinnt?
Russland müsste die Ukraine besetzen. Es müsste die Verwaltung und die staatsbegründenden Instanzen übernehmen. Ein Diktator, wie in Belarus oder Tschetschenien, würde dazu nicht mehr ausreichen.
Genau dazu ist Russland nach Einschätzung der meisten Experten aber gar nicht fähig.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion ist die Angst vor dem russischen, konventionellen Militär rapide abgesackt. Ich habe in den 90ern selber daran mitgearbeitet, als der russische Flugzeugträger Admiral Kusnezow durch die Ostsee fuhr und ständig von der NATO beobachtet wurde. Das Ding war rostig und auf dem Flugdeck liefen Hunde rum. Die USA haben übrigens über ein Dutzend Flugzeugträger; Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien jeweils mindestens einen.
Ich habe damals ein Interview mit dem Chef eines Flieger-Geschwaders gesehen, der nach Dienst die Schweine des Nachbarn versorgt hat, weil nicht einmal er noch Geld bekommen hat und sich so Essen verdiente. Sein deutsches Pendant lag bei knapp 10.000 Mark netto monatlich. Ein Trauerspiel.

Ab 2008 hat Putin vollmundig eine Modernisierung und Aufrüstung versprochen. Jahre später wurden dann einige Wunderwaffen präsentiert. Kampfpanzer T-14 (der technisch etwa auf dem Stand des neusten Leo2 wäre), Hyperschall-Raketen… Doch alle Geheimdienste sagen, dass die noch gar nicht in der Truppe sind. Also nicht in relevanter Stückzahl einsatzbereit.

Was inzwischen aktiv ist, in Syrien schon im Einsatz war und auch in der Ukraine gesichtet wurde, sind thermobarische Waffen (TOS-1). Die aber nicht so revolutionär sind, sondern einfach nur widerlich.

Russlands Bruttoinlandsprodukt ist nicht einmal halb so groß wie das deutsche. Bei fast doppelt so vielen Einwohnern. Russland hat gar nicht das Geld, für ein so großes, neues Militär.
Es war prinzipiell immer klar, dass Russland auf altem Sowjet-Schrott sitzt. Und auch die Sowjets waren ja nicht reich. Nur viele.

Im Grunde hat Russland in der Ukraine vor der Welt die Hosen runtergelassen. Ich wiederhole mich: Was die Truppen da abliefern, ist der Stand von vor 70 Jahren und die Ausrüstung der maximal 1970er. Selbst der Kampfpanzer T-90 ist nur eine Kampfwertsteigerung des T-72, sowas bekommt im Westen nicht einmal einen neuen Namen.

Es geht aber vor allem um die Taktik. Kampfpanzer fahren in Ortschaften, bleiben dort stehen und werden von den Ukrainern abgeschossen wie auf einem Kirmes-Schießstand.
Kampfpanzer sind die Kavallerie, die müssen reiten. „Es braust unser Panzer im Sturmwind dahin“ heißt es schon im Panzerlied von vor über 80 Jahren. Ein stehender Panzer ist eine Zielscheibe. Ebenso tieffliegende Helikopter und Flieger. Man sitzt mit offenem Mund vor den Videos. Es ist unfassbar: alles, was NATO-Soldaten beigebracht wird nicht zu tun. Die Ukraine ist ein Lieferant von Schulungsvideos für Offiziersschulen.

Militärexperten sind – ohne Übertreibung – erschüttert, was die Russen in der Ukraine abliefern. Von der zuverlässigen New York Times bis zu, Spiegel, alle sind sprachlos.

Kommen wir auf der nächsten Seite zurück zu der Frage, ob die Ukraine das gewinnen kann.

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