Geschichtsklitterung: Netflix und die schwarze Kleopatra

Schwarz ist das neue Cash Cow

Die Griechen, die alten

Kommen wir also zum sozio-kulturellen Kontext.

Kleopatras Dynastie war die der Ptolemäer. Die haben seit der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen Ägypten beherrscht.
Die Vorstellung eines antiken Ägyptens in dieser Zeit ist deshalb irreführend. Der Bau der Pyramiden war bummelig 2500 Jahre her. Was bedeutet, Kleopatra war zeitlich näher am Heute als am Bau der Pyramiden.

Alexandria war eine griechische Kolonie. Sie war auf dem Reißbrett entworfen worden und unterschied sich wenig von Athen oder Rom. Mit breiten, gepflasterten Straßen, Tempeln und einem Leuchtturm. In der Bibliothek arbeiteten Leute aus der ganzen hellenistischen Welt: Byzanz, Rhodos, Kyrene, Ephesos.
Die Ptolemäer haben einiges der ägyptischen Kultur angenommen, um die Leute nicht zu vergrätzen. Aber es waren Griechen.

Alexandria zur Zeit Kleopatras. Straßen und Gebäude konnten rekonstruiert werden.

Natürlich gab es auch ägyptische Tempel. Aber die Szenen einer Dokumentation müssten sich weniger zwischen Papyrussäulen, Pyramiden (200km entfernt) und Hieroglyphen, denn zwischen griechischen Kapitellen und auf Marmortreppen abspielen. Die Griechen hatten sogar extra den neuen griechisch-ägyptischen Gott Serapis erfunden. Der allerdings in Tempeln verehrt wurde, die sich nicht von anderen griechischen Tempeln unterschieden.
Griechisch war die Allgemeinsprache im nördlichen Ägypten, ebenso wie bei der römischen Elite. Latein wurde erst weit später die Sprache der Gebildeten.

Die Mutter Kleopatras ist unbekannt. Man geht von einer ägyptischen Adeligen aus. Was der Grund sein könnte, weshalb Kleopatra überhaupt Ägyptisch sprechen konnte. Das war nämlich eine völlige Ausnahme. Viele konnten es nicht.

Kleopatra VII. Philopator, gesprochen
Kleo-patra (Betonung auf dem ersten a),
Büste aus ihrer Lebenszeit

Sie wird der griechischen Mode gefolgt sein. Historiker und Archäologen können alleine anhand der Frisuren abschätzen, wann Büsten entstanden sind. Und Kleopatra wird auf zeitgenössischen Darstellungen mit der typischen, griechischen Mode dargestellt. Die auch unter den Vornehmen Römern up to date war.

Schwarze Pharaonen

Die ganzen Ereignisse, abgesehen von den Scharmützeln und der geschichtlich unbedeutenden, kurzen und durch andere ermöglichten Herrschaft Kleopatras in Ägypten, passierte alles rund um einen europäischen Kontext. Griechenland, Italien und ein Ägypten, das schon lange Vasall anderer Staaten war. Es galt als Kornkammer Roms.
Das klingt nicht gerade nach „unvergleichlicher Macht“, wie der Trailer von Netflix es verspricht.

Und da das ganze Jahrhunderte vor der Arabisierung passiert ist, dürfte die Mehrzahl der Menschen in Alexandria eher braune oder sogar blonde als schwarze Haare gehabt haben.

Und jetzt können wir gerne über die Hautfarbe und die Darstellung der Kleopatra in Jada Pinkett Smith’s „Dokumentation“ sprechen. (A priori: Der Apostroph ist im Englischen richtig, ihr Klugscheißer.)

Südlich des alten Ägypten lag das Land Kusch, der heutige Sudan. Dort gab und gibt es reiche Goldvorkommen. Was heute Progoschins Wagner-Söldner dort machen, hat Ägypten schon Jahrtausende vorher gemacht. Deshalb befand es sich ständig mit Kusch im Krieg. Umgekehrt wurde Ägypten zwischendurch auch von kuschitischen Pharaonen regiert. Also den „schwarzen Pharaonen“.
Das ist aber von Kleopatra aus nicht nur 700 Jahre her, sondern auch 2000 Kilometer entfernt.

Historiker und vor allem ägyptische Historiker sind sich der verschiedenen Dynastien der etwa 3000-jährigen Geschichte vollkommen bewusst. Das hat nichts mit Rassismus zu tun. Ägypter sind teilweise ja sogar stolz darauf. Genau wie die USA stolz darauf sind, ein Schmelztiegel der Kulturen zu sein.
Ihnen eine schwarze Kleopatra vorzusetzen ist, als würde man in einer Dokumentation über Germanien einen römischen Kaiser zum Herrscher über ganz Germanien machen. Oder einen Briten mit britischer Mode und britischer Sprache wären der französisch dominierten Ära. Oder einen Fritz den Großen in bayrischen Lederhosen. Karl den Großen in arabischer Tracht.

In seinen Auswirkungen gleicht es dem, was wir in Deutschland sehen: Im Kaiserreich und Dritten Reich wurde etwas von einer gesamtdeutschen und germansichen Kultur herbeipropagiert. Und wir kämpfen bis heute damit, dass dies nur ein Augenzwinkern einer vielschichtigen, multikulturellen und dadurch wundervollen deutschen Geschichte war.

Geschichtsklitterung in vier Teilen

Deshalb nannte der selbsternannte Oberägyptologe Zahi Hawass die Serie auch einen kompletten „Fake“. Und der Anwalt Mahmoud al-Semary hat die Staatsanwaltschaft aufgefordert, Netflix zu blockieren.

Kleopatra, Rekonstruktion anhand zeit
genössischer Darstellungen und Beschreibungen.

Ägyptologin Sally-Ann Ashton hat die Produktion beraten. Sie sagte „Wenn die mütterliche Seite ihrer Familie indigene Frauen waren, wären sie Afrikanerinnen“. Völlig richtig. Aber Afrika ist ein Kontinent und keine Hautfarbe. Und daran erkennt man das Ausmaß der Verzerrung.
Sie streut unbemerkt ein, dass man es gar nicht so genau weiß. Und sie behauptet sie dadurch implizit, dass grundsätzlich alle Afrikanerinnen schwarzhäutig gewesen sind. Sie vermischt dadurch das Bewohnen eines Kontinentes und eine eventuelle ethnische Zugehörigkeit mit der Hautfarbe.

Und das ist in meinen Augen um einiges „rassistischer“, als dass man etwas gegen die Darstellung einer schwarzen Kleopatra sagt. Denn es legt eine Wertung an. Das ist weder historisch noch etymologisch oder anthropologisch zutreffend.
Schwarzafrika ist südlich der Sahara, Frau Ashton, 1000 Kilometer von Ägypten entfernt. Wenn bis heute nur ein geringer Bruchteil der Ägypter schwarz ist, warum sollte ausgerechnet eine griechische Königin vor 2000 Jahren schwarz gewesen sein?
Bei Nofretete hätte man noch diskutieren können, aber doch nicht bei Kleopatra.

Zum Teil falsche Waffen, falsche Rüstungen, falsche Frisuren… Völlig absurd, dass eine Kleopatra Zweikämpfe mit echten Waffen geprobt hätte.
Das machen sämtliche Dokumentationen ständig. Mark Anton war zur Zeit des Selbstmordes weit jenseits der 50. In einer Zeit ohne dritte Zähne und Sehhilfe. Caesar ebenfalls. Henriquatre Bärte waren vermutlich unbekannt. Kleopatra starb als 39-jährige, mehrfache Mutter. Aber es muss ja nach etwas aussehen. Geschenkt

Wenn „Geschichts-Doku“ draufsteht, ist meist eine Doku über heutige Archäologie drin. Über die tatsächliche Geschichte erfährt man so gut wie nichts. Weil das, was die Wissenschaftler sagen, durch den Filter der Redaktion muss und die mehr Wert auf Verkauf als auf Faktentreue legt. Und die realistische Darstellung von Geschichte wäre viel zu arbeits- und zeitintensiv.
Doch Historiker setzen sich für den Ruhm und Fördergelder immer wieder vor Kameras und nehmen das billigend in Kauf.

Aber wenn in dieser Dokumentation schwarze Frauen erzählen, schon ihre Mutter hätte ihnen (entgegen jeder Lehrmeinung) gesagt Kleopatra sei schwarz gewesen, dann ist das Maß der Zahnarzt-Frau in Zahnpasta-Werbung überschritten.

Ohne auch nur fünf Minuten der Serie gesehen zu haben, halte ich das für Geschichtsklitterung im Auftrag des Konsums und der Massenverblödung. Um damit Kohle zu machen. Mehr nicht.
In dem Spiel Assassins Creed Origins ist – sogar inklusive Lehrmaterial – vermutlich mehr Wissenschaft zu finden, als in dieser „Dokumentation“. Und das ist nur ein Spiel.

Die Darstellerin der Kleopatra Adele James schrieb auf Twitter, wem die Auswahl der Schauspieler nicht gefalle, der solle es sich nicht angucken. Oder die „(Experten) Meinung“ annehmen, die sich von der eigenen unterscheide.

Da ist das eigentliche Problem unserer Zeit. Meinung.
Nein, Wissenschaft ist weder von Meinung noch von Zeitgeist abhängig.

Ich werde mich aber nicht darüber aufregen. Oder an Diskussionen beteiligen, die jede Seite wieder für sich ausschlachtet.
Ich werde Adele James Ratschlag befolgen und mir die Serien gar nicht erst angucken.

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