Die Angst, der Krieg und Säbelzahnkatzen

Was uns Angst macht

Diese Seite ist entstanden, um Menschen Kriegsmeldungen zu erklären und ihnen Ängste zu nehmen. Wöchentlich bekomme ich Zuschriften von Menschen mit Ängsten und zum Teil Panikattacken. Vorgestern bekam ich die Zuschrift einer Leserin, die in therapeutischer Behandlung ist.

Wenn der Steinzeitmensch morgens auf dem Weg zur Arbeit durch den Wald trottete, konnte es ihm passieren, dass er auf einmal vor einer Säbelzahnkatze stand.
Da in einem solchen Falle nicht viel mit „Miez Miez“ zu machen und Catnip noch nicht erfunden war, musste dafür eine andere Lösung her. Die Evolution hat sich dafür etwas Grandioses ausgedacht: Die Panik.

Schlagartig weiten sich die Pupillen, das Gesichtsfeld verengt sich, die Adern erweitern sich, der Herzschlag steigt, Schweißausbrüche… Auch das vermeintliche Bewusstsein spielt nicht mehr so ganz mit. Adrenalin und Dopamin werden ausgeschüttet, die Konzentration ist auf einen Punkt fixiert, Dissoziation, das Schmerzempfinden wird gesenkt.

Untersuchungen haben gezeigt, dass Männer beim Einkaufen mit Frauen die gleiche Reaktion zeigen. Man nennt das im Allgemein Stress. Und Männer die Frauen in Kaufhäuser begleiten haben etwa den Stresslevel eines Jet Piloten.

Das alles dient nur dem Zweck, auf zwei mögliche Alternativen vorzubereiten: Kampf oder Flucht. Der Körper schaltet den Turbo ein. Der Schweiß dient der Kühlung, Herzschlag und Adererweiterung der besseren Sauerstoffversorgung der Muskulatur, die Fixierung dient der… na ja, mit einer Säbelzahnkatze im Rücken sollte man nicht noch die Aussicht genießen oder Eichhörnchen beobachten.
Angst ist die Vorstufe davon.

Das Problem der Unangemessenheit

Nun haben wir aber ein grundsätzliches Problem.
…ok, wir haben ganz viele, aber bleiben wir erstmal bei diesem einen: Panik ist meist unangemessen.

Zum einen sind wir ein Rudeltier. Wir unterliegen Regeln, welches Verhalten gesellschaftlich erwünscht und akzeptiert ist.
Selbst, wenn wir Angst vor dem kläffenden Jack Russel der alterssenil überforderten Rentnerin aus dem Nachbarhaus haben, wäre es gesellschaftliche eher unangebracht, die Teppichratte mit einer Keule zu erschlagen oder vor ihr wegzulaufen. Denn auch wenn das ja genau das ist, was unser Betriebssystem uns vorschlägt, wäre es doch einigermaßen schwer, es später dem Richter vermitteln zu können.
Und die Dame dürfte schon etwas abgestoßen sein, wenn ihr Begleiter schreiend aus der Boutique läuft oder anfängt das Schuhregal einzureißen.

Zum zweiten werden wir heutzutage überraschend selten mit Säbelzahnkatzen konfrontiert. Die stehen ja nicht auf dem Weg zur Arbeit morgens am Bus.
Unsere eigene Intelligenz hat uns den Anforderungen enthoben, für die wir eigentlich gemacht sind. Genauso wie wir Ackerbau gelernt haben, uns mit Kohlenhydraten vollstopfen und dadurch die Menschheit nach vorne gebracht haben. Obwohl es für das Individuum gesundheitlich das Dämlichste ist, was man machen kann. Dafür sind wir nicht vorgesehen. Ein Leben ohne Nudeln ist denkbar, aber sinnlos.

Die Feststoffrakete

Man muss sich das etwa so vorstellen wie der Versuch des Gewinners des Darwin Awards von 1997. Der Zivilangestellte der US Air Force klaute eine Feststoffrakete, mit der Flugzeuge beim Start zusätzlichen Schub bekommen. Und hielt es für eine prima Idee, sie an seinem Auto anzubringen. Da man diese Raketen nicht bremsen kann, lösten die Reifen sich nach etwa vier Kilometern auf und nachdem er noch weitere 1,5 Kilometer quasi fliegend zugebracht hat, schlug er mit geschätzten 450 km/h einen Krater in eine Felswand.
Wir sind der Fahrer, das Auto ist unser Körper, die Feststoffrakete ist die Panik und die Felswand ist die Zivilisation.

Wir wissen gar nicht wohin mit dem Panik-Modus. Und das führt zu den merkwürdigsten Reaktionen. Menschen, die sich mit Gummibändern an den Füßen von Brücken stürzen, nur um den anschließenden Rausch des Dopamins zu erleben. Menschen, die sich von angeheizten Stieren durch Pamplona jagen lassen. Frauen, die vor Mäusen kreischend auf Stühle springen, obwohl jede Maus auf jeden Stuhl kommt, wenn sie Bock hätte. Aber das wäre albern, denn da steht ja eine kreischende Frau.
Alles Versuche eine Panik gesellschaftlich akzeptiert zu erfahren.

Wenn die Rakete erst einmal zündet

Angst ist vielfältig. Und die Übergänge von der Angst zur Panik sind fließend. Es gibt eine ganze Sparte der Psychologie, die sich mit Panik- bzw. Angststörungen auseinandersetzt.
Dabei unterscheidet man Auslöser. Zum einen gibt es die Angststörung vor einem diffusen, unbestimmten Auslöser. Oder es gibt einen konkreten Trigger. Beispielsweise Spinnen, Clowns oder Säbelzahnkatzen. (Machairodontinaephobie)

Wichtig zu verstehen ist, dass das nicht bewusst zu steuern ist. Weil das Gehirn aufgrund eines bestimmten Reizes einfach den Turbo einschaltet, die Feststoffrakete. Und die kann man nicht einfach ausschalten.
Da ist nichts mehr mit „Reiß dich mal zusammen“ oder „Stell dich nicht so an“. Im Gegenteil, gerade weil die Panik ja nicht offen artikuliert und „ausgelebt“ werden kann, kommt es erst zu vielen Symptomen.

Um zu verdeutlichen, wie unbewusst das ablaufen kann:
In unserem Betriebssystem ist gespeichert, wann der Fluchtinstinkt ausgelöst wird. Also wie nah eine Gefahr sein darf. Wird diese Fluchtdistanz unterschritten, kann es zu einer Panikattacke kommen. Beispielsweise bei Tauchern, die mit der Dunkelheit konfrontiert sind. Selbst wenn sie in einem Bassin tauchen, könnten sie einen Hai ja erst erkennen, wenn er unmittelbar unter ihnen auftaucht. Die Fluchtdistanz würde unterschritten. Das kann als unbewusster Auslöser für eine Panik schon reichen. Sie müssen nicht einmal bewusst darüber nachdenken. Selbst wenn der Taucher Schachweltmeister oder Raketenforscher ist.

Nachdem ich nach zwei unfallbedingten Schlaganfällen, von denen einer locker hätte tödlich enden können, aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte ich leichte Panikattacken. Die sich allerdings so geäußert haben, dass ich sie gar nicht als Panikattacken erkennen konnte. Weil sie anderen Symptomen glichen, die ich eh hatte und habe. (Schwindel, spontane Ermattung, das Gefühl ohnmächtig zu werden)

Das ist mir nicht peinlich oder unangenehm. Es zeigt lediglich, dass der Steinzeit-Kevin auch in mir funktioniert. Und ich hätte auch ohne weiteres sofort therapeutische Hilfe angenommen, selbst für die vergleichsweise milden Symptome. Die Erkenntnis alleine hat aber schon gereicht, nach einigen Wochen war der Spuk vorbei. (Ich rate niemandem zur Selbsttherapie! Ich habe aufgrund des Studiums einen anderen Zugang und hätte trotzdem Hilfe gesucht.)

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