Die Angst, der Krieg und Säbelzahnkatzen

Was uns Angst macht

Der friedliche Zeitgeist

Wenn nun aber viele Menschen von Angst und Panik wegen des Krieges in der Ukraine berichten, sollte man sich doch eher anschauen, was da so Angst macht.
Warum fast ausschließlich Frauen davon berichten, kann ich nicht sagen. Denn es kann sein, dass sie eher betroffen sind. Vielleicht, weil sie Gewalt in der Regel eher passiv erleben und es deshalb beängstigender ist. Es kann aber auch sein, dass Männer wegen des Rollenverständnisses seltener Angst offen äußern. Oder auch nur nach dem Weg fragen.

Schauen wir uns doch einfach mal den mitteleuropäischen Zeitgeist im Jahr 2022 an.
Seit etwa einem halben Jahrhundert wird uns von uns selber beigebracht, dass Gewalt keine Lösung ist. Konflikte müssen friedlich gelöst werden. Das wird uns schon beim Schubsen in der Grundschule eingetrichtert. Stuhlkreis ist die Lösung für alles. Alles andere wird als „undemokratisch“ empfunden.

Psychologisch ist das aber Unfug. Denn Gewalt gehört zur Natur jedes Tieres. Wenn Menschen glauben, das ausschalten zu können, ist das schlichte Arroganz. Es kommt der Logik gleich, Homosexualität sei therapierbar.

Natürlich ist Gewalt eine Lösung. Wenn ich Angst vor dem kläffenden Fiffi meiner debilen Nachbarin habe und ihn mit einer Keule erschlage, ist mein Problem gelöst.
Gut, es könnten andere Probleme entstehen. Beispielsweise, dass ich den Krankenwagen zahlen muss, mit dem die kollabierte Seniorin abgeholt wurde. Aber unser Körper ist nicht an langfristigen Lösungen interessiert, sondern nur an Säbelzahnkatzen-Lösungen.

Und das finden wir auch bei Therapieberichten von Intensivstraftätern. Die wenigsten haben andere Konfliktlösungsstrategien erlernt. Die bei jedem Rudeltier natürlich unabdingbar für ein Zusammenleben sind. Einfach mal darauf achten, wenn euer Hund sich das nächste Mal klein macht, die Augen „lächelnd“ zusammenkneift oder seine Kehle zeigt, weil ihr den Fernseher nach dem Fußball-Länderspiel oder der Wahlhochrechnung aus dem geschlossenen Fenster werft. Der kommuniziert mit Euch. (Der Jack Russel der Nachbarin hat das übrigens auch nie gelernt. Aber das ist nicht mein Problem, sondern das von Martin Rütter.)

Krieg ist doch so out

Unser Zeitgeist sagt auch, dass es keinen Krieg mehr gibt.
Also klar, schon, irgendwie. Aber die sind ja woanders. Im Fernsehen. Irgendwo in Asien oder Afrika. Weit weg. Wo es eh rückständig ist. Und selbst wenn wir Soldaten irgendwohin schicken, sind das ja eigentlich Söldner. Die unsere politische Drecksarbeit machen.
Hier muss niemand Angst davor haben, dass eine Rakete einschlägt, während er seine Einkäufe einpackt. (Oder eine Säbelzahnkatze an der Kasse hinter ihm steht.)

Das so fortschrittliche, reiche und schlaue Europa hat nach dem zweiten Weltkrieg beschlossen, dass es nie wieder Krieg geben darf. Wir leben schon so lange mit dem wärmenden Bauchgefühl der Sicherheit. Wir haben schon vergessen, wie sicher wir sind. Und dass das eben nicht der Normalzustand ist. Sondern die längste Zeit des Friedens die wir je erlebt haben.

Und jetzt passiert etwas, was wir gar nicht für möglich gehalten hätten. Eine angebliche Großmacht fängt in Europa einen Krieg an. Aus völlig niederträchtigen, imperialistischen Gründen. Für Landgewinn und Machtzuwachs.
Ich kann mich gut an die ersten Reaktionen und Kommentare nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erinnern. Die Menschen waren schlicht überfordert. Viele glaubten, nun beginnt der Dritte Weltkrieg und das Ende der Menschheit ist gekommen.

Denn Angst und Panik kann ja nicht nur entstehen, wenn man vor einer Säbelzahnkatze steht. Sondern wenn man glaubt, dass sie hinter dem nächsten Baum lauern könnte. Das Unbekannte, das Diffuse, das Unkalkulierbare kann genauso Angst machen. Manchmal sogar mehr.
Vor allem, wenn man noch nie selber eine Säbelzahnkatze gesehen hat. Sondern ständig hört, wie gefährlich sie sind.

Ich bin sicher das war auch der Grund, warum viele Menschen als erste Reaktion erstmal Putin für irre gehalten haben. Sie mussten einfach. Denn ihn für rational zu halten, hätte ihr Weltbild vom friedlichen, humanistischen und aufgeklärten Europa über den Haufen geworfen, das niederträchtige Kriege längst hinter sich gelassen glaubte. Und vom friedlichen, demokratischen Russland.
Dabei ist sein Vorgehen völlig logisch und stringent. Viele haben es prognostiziert. Wir haben nur nicht zugehört.

Gewöhnung schützt vor Angst

Dass ich so gar keine Panik – und Angst höchstens in homöopathischen Dosen – empfinde, liegt nicht daran, dass ich so eine coole Sau bin. Was ich natürlich bin. Und schöne Haare habe.

Es liegt daran, dass ich mich als ehemaliger Soldat zwangsläufig intensiv mit vielen Themen beschäftigt habe, die damit zusammenhängen. Beispielsweise wie so ein Atomkrieg ablaufen würde. Und was dafür passieren müsste.

Ich habe eine Vorstellung davon, wie das mit den russischen Wunderwaffen wirklich aussieht. Was der Einsatz taktischer „Atombomben“ bedeuten würde. Wie die NATO sich verhält und in verschiedenen Fällen ziemlich sicher verhalten würde.

Natürlich ist es fatalistisch es einzugestehen, aber in allen Kriegen kommt es zu Gräueltaten, Folterungen und Hinrichtungen. Die Idee des „sauberen“ Krieges ist eine Illusion. Wie bei den Schlachten vergangener Jahrhunderte, als die Menschen zum Picknicken gepilgert sind um anderen beim Sterben zuzusehen. Weil sie glaubten, dass ihnen nichts passieren kann.
Weshalb Bilder wie aus Butscha mich auch nicht schockierten. Ich hatte eh damit gerechnet.

Die Empirie des Krieges

Ich habe die Erfahrung, dass dieser Krieg bisher nichts anderes ist, als viele andere Kriege vor ihm.
In Korea standen sich im Grunde China und die USA gegenüber, es war ein Stellvertreterkrieg. Ebenso in Vietnam. Allerdings haben dort auch die Russen die Nordvietnamesen unterstützt. Häufig wird vergessen oder ignoriert, dass die Aggression nicht von den USA ausging. Das Gleiche passierte in Afghanistan, als westliche Staaten die Mudschaheddin mit Waffenbeliefert haben und Russland unverrichteter Dinge abziehen musste.

Empirie bedeutet im Grunde nichts anderes, als aus Erfahrung zu lernen. Empirische Wissenschaften sammeln Daten, werten sie aus und ziehen daraus möglichst logische Rückschlüsse.
An allen diesen Kriegen war mindestens eine Atommacht beteiligt. Und es ist trotzdem nie zu einem Atomkrieg gekommen.
Es ist also fraglich, warum es ausgerechnet jetzt dazu kommen sollte. Ohne in irgendwelche Details zu gehen: Es ist empirisch unwahrscheinlich.

Alle diese Kriege sind irgendwie im Sande verlaufen. Es hat einfach aufgehört. Weil mindestens eine Seite keine Lust mehr hatte. Weil es zu teuer wurde. Das nennt man Ermüdungskrieg.

Was hilft und was nicht hilft

Ich könnte nun wieder lange über militärische Details schreiben. Erklären, warum etwas passieren wird. Oder warum etwas nicht passieren wird. Wie überlegen die NATO ist, wie grandios die Russen gerade abkacken, wie die Sanktionen wirken oder warum die Vorstellung von Russland als Großmacht einfach falsch ist.
Aber dieser Text hatte eigentlich nur zwei Zwecke.

Zum einen um zu zeigen, dass militärische Erklärungen bei vielen Menschen vielleicht gar nicht gegen die Angst helfen können. Weil sie diffus ist und keine Rationalität benötigt.
Klar, ich bekomme bis heute vor allem über Facebook überwältigendes Feedback, dass meine Erklärungen viele beruhigen und runterholen. Aber wenn man die Feststoffrakete am Auto eingeschaltet hat, bringen auch sachliche Erklärungen nichts. Da hilft nur eins: Physik lernen. Und verstehen, dass PKW-Bremsen nicht für 450 km/h gebaut sind.

Und zum zweiten um vielleicht einmal zu vermitteln, dass wir uns in unserem Zeitgeist einiges schöngeredet haben. Dass Gewalt und Krieg nun einmal ein Normalzustand sind. Überall auf der Welt. Und nur weil wir es in weiten Teilen Europas gerade geschafft haben das zu überwinden, ist es damit nicht aus der Welt.
Will man Krieg und Gewalt bekämpfen, muss man sich damit befassen. Man muss sie verstehen.

Das hilft im akuten Fall von Angst nicht. Und bei Panik noch weniger. Es kann aber vielleicht langfristig eine Perspektive geben. Und den Grund für die Angst nehmen, weil der Trigger wegfällt.
Für mehr sollte man sich an einen Therapeuten wenden. Oder an Martin Rütter.

Wenn man sich erst einmal mit Säbelzahnkatzen auskennt, merkt man vielleicht, dass man vielleicht doch nur vor einer Maine Coon steht. Die so doof ist sich in Jalousien zu verheddern und hinter Laserpointern herjagt.

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