Der nächste Friedensappell

„Es ist nur noch lächerlich.“

Nun ist erneut eine „Friedensinitiative“ veröffentlicht worden. Und ich kommentiere sie nur so kurz es geht, um mich am Wochenende nicht mit solchem Unfug herumschlagen zu müssen. Aufregen tue ich mich eh nicht mehr. Es ist nur noch lächerlich.

Zunächst vorweg: Der heute veröffentlichte Friedensappell ist weniger Aufreger als das Manifest von Wagenknecht und Schwarzer. Weil er im Grunde diplomatisch vorsichtig lediglich den „Bundeskanzler ermutigt“ zu versuchen mit Frankreich „Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand zu erreichen.“
Das ist also näher an den politischen Realitäten und weiter entfernt von dem Populismus anderer.

Gleichwohl ist es bei genauer Betrachtung ein Offenbarungseid der Unterzeichnenden. Denn er zeigt sehr eindrücklich, aus welcher Ecke und aus welchem Mindsetting diese Leute kommen. Und wie sehr sie die Augen vor den Realitäten verschließen.

Der Appell ist recht kurz. Gehen wir ihn einmal kurz durch.

Gehen wir es mal durch

„Das Wichtigste ist, alles für einen schnellen Waffenstillstand zu tun, den russischen Angriffskrieg zu stoppen und den Weg zu Verhandlungen zu finden.“

Geht man davon aus, dass der akute Frieden das Wichtigste ist, erscheint dieser Satz logisch. Doch ein Waffenstillstand ist niemals die Beendigung eines Krieges. Es ist nur eine Pause. Der Konflikt wird weiter bestehen. Was nicht nur fast alle namenhaften Experten so sehen. Sondern darüber hinaus davon ausgehen, dass Russland einen Waffenstillstand dazu nutzen würde, seine Truppen aufzustocken um massiver anzugreifen.

„Aus dem Krieg ist ein blutiger Stellungskrieg geworden, bei dem es nur Verlierer gibt.“

Das war im Winter. Vielleicht sollte man den Unterzeichnenden, von denen vermutlich keiner eine militärische Expertise besitzt, das einmal erklären. Dauert der Krieg bis zum nächsten Winter, wird es erneut zu einem Stellungskrieg kommen. Bis November hatte die Ukraine jedoch enorme Raumgewinne erzielt.

„Ein großer Teil unserer Bürger und Bürgerinnen will nicht, dass es zu einer Gewaltspirale ohne Ende kommt. Statt der Dominanz des Militärs brauchen wir die Sprache der Diplomatie und des Friedens.“

Das dürften eigentlich alle sein, denn eine „Gewaltspirale ohne Ende“ bedeutet ihren Tod. Die Dominanz des Militärs ist jedoch nicht von der Ukraine oder dem Westen gewählt. Erst vor wenigen Tagen hat der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow die russische Bevölkerung auf einen „ewigen Krieg gegen den Westen“ eingeschworen und gesagt, dass die Ziele der „Spezialoperation“ erreicht werden müssen.

„Die Vereinten Nationen haben mit dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit den Weg in eine friedliche Welt aufgezeigt. Es hat seine Wurzeln in der deutschen Friedens- und Entspannungspolitik.“

Ohne den Zerfall der Sowjetunion und die Einsicht von Gorbatschow und Konsorten hätte die „deutsche Friedens- und Entspannungspolitik“ noch weitere Jahrzehnte sogar nackt auf dem Kopp stehen und mit dem Arsch Fliegen fangen können, es hätte nichts geändert. Das ist ein so hanebüchener und egozentrischer Unfug, dass ich das nicht weiter kommentieren werde.

„In diesem Geist kam es zur Schlussakte von Helsinki und zur Charta von Paris für ein neues Europa. Daran knüpfen wir an.“

Die Schlussakte von Helsinki (1975) enthält unter anderem folgende Vereinbarungen: Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt, Unverletzlichkeit der Grenzen, territoriale Integrität der Staaten, Friedliche Regelung von Streitfällen, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Im Jahr 2008 hat Russland unter Putin eine Änderung der Charta von Paris (1990) vorgeschlagen. In diesem Vorschlag entfallen OSZE-Kriterien wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, und vor allem das Recht auf freie Bündniswahl. Ab da wussten viele Fachleute, wohin der Hase läuft.

Die Unterzeichner knüpfen also an Vereinbarungen an, die Russland seit mehreren Jahren versucht zu beenden und gegen das es seit 2014 fortlaufend verstößt.

Inhaltlich Luft und Liebe

Insgesamt sind die fünf kurzen Absätze eher luftig gehalten. Überflüssig zu erwähnen, dass sie nicht darlegen, über was überhaupt verhandelt werden soll.

Der Eingangssatz „Mehr als ein Jahr dauert bereits der russische Angriffskrieg auf die Ukraine.“ Ist die einzige Erwähnung der Ukraine; der „russische Angriffskrieg“ die einzige Erwähnung Russlands.
Es geht ausschließlich um Frieden für Europa und Frieden für die Welt. Das ist konsistent mit den Forderungen aus dem Wagenknecht-Schwarzer-Manifest: Was mit der Ukraine passiert ist scheißegal, so lange es Sicherheit für die Unterzeichner selber gibt.

„Frieden kann nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden […] Nur dann kann der Weg zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa geebnet werden.“

Frieden schaffen auf Grundlage eines Völkerrechts, gegen dass der Aggressor Russland seit 2014 kontinuierlich verstößt. Eine gemeinsame Sicherheitsordnung mit einem Staat, der ein anderes Land überfällt.
Das muss man sich erst einmal so im Kopf zurechtlegen. Denn es bedeutet nichts anderes, als mit jemandem der einen anderen zusammenschlägt, vergewaltigt, foltert und ermordet über neue Gesetze zu verhandeln, damit sie seinen Interessen entsprechen.

Wer hat‘s gemacht?

Betrachten wir also einmal, wer die Verfasser und die Unterzeichner des Appells sind.

Initiatoren und Verantwortliche sind Dr. Peter Brandt, Sohn von Willy Brandt und Professor für neuere Geschichte an der Fernuni Hagen, Reiner Braun vom Internationales Friedensbüro und Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde und ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium. Diese drei gehörten auch zu den Erstunterzeichnern des Wagenknecht-Schwarzer-Manifestes.
Hinzugekommen ist Reiner Hoffmann, ein ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Der Apell wurde offen als aus dem Umfeld der Gewerkschaften und der SPD kommend kommuniziert. Da bei den meisten Unterzeichnern eine Funktion dahinterstand, hat mich die nachrichtendienstliche und empirische Akribie gepackt. Also habe ich Beklopper kopiert, editiert und gezählt. Fünf Seiten, locker halbe Stunde.

Unterzeichnet haben nicht wie angekündigt 250, sondern 240.
Von diesen 240 Unterzeichnenden haben 102 Personen den Zusatz „ehemalig“, „i.R.“ (im Ruhestand) oder „a.D.“ (außer Dienst). Also 42% sind in Rente.

An Namen und Funktion, wo bei vielen auch gar nichts steht, ist ersichtlich, dass auch das ein oder andere Ehepaar gemeinsam unterzeichnet hat. Die Vermutung liegt nahe, um auf eine möglichst große und/oder runde Zahl zu kommen.

Einige Bonmots, von denen ich wirklich nur einige aufzählen möchte: Dabei sind u.a. ein „Solaraktivist“, eine Heilpraktikerin, der Präsident Deutscher Behindertensportverbandes, eine Erzieherin, eine Germanistin, eine Berufsschullehrerin im Ruhestand, der ehemalige erste Bevollmächtigter der IG Metall Nienburg-Stadthagen, mehrere Sänger, ein Liedermacher, ein Kulturmanager, ein Kommunalbeamter außer Dienst, eine Schuldirektorin a. D., der ehemalige Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften, mehrere Theologinnen, ein Rentner und die obligatorische Schauspielerin.

Fazit: Alle den Schuss nich gehört

Ich reiße mich zusammen mein Fazit nicht mit Häme oder Sarkasmus zu überfluten. Allerdings ist es mir kaum ohne möglich, diesen Schwachsinn zu kommentieren.

Wir haben hier einen in den Medien groß ausgespielten Appell nach Frieden. Der über den bloßen Friedenswunsch nicht hinaus geht.
Was angesichts der Tatsache, dass nur sehr wenige Menschen daran sterben wollen eine nukleare Rakete auf den Kopf zu bekommen doch etwas wenig ist. Im Grunde sinnlos das Ganze, weil selbstverständlich.
Damit ist er kohärent mit dem Manifest von Wagenknecht und Schwarzer, nur dass er etwas diplomatischer formuliert. Was kein Wunder ist, da drei der vier Initiatoren zu den Erstunterzeichnern auch des Minifestes gehören. (Tschuldigung, Tippfehler)

In diesem Fall hat man nur andere Netzwerke und Seilschaften verwendet. Und zwar jene aus den Kreisen von Gewerkschaften und SPD. Und da überwiegen die Alten und ehemaligen, die der Blase um die Friedensinitiative der späten 1980er zuzuordnen sind. Also genau jener Blase, die Russland gerne als Freund sehen wollten. (Was für die 1990er sicher nicht völlig falsch gewesen ist.) Und die tendentiell antiamerikanisch und NATO-skeptisch geprägt ist.

Ab etwa 2005 hat diese geballte Militärkompetenz dann feste die Augen zugekniffen. Davor, dass Russland der Ukraine das Existenzrecht abspricht. Und dass es seit spätestens 2014 wiederholt auf Völkerrecht und UN einen großen Haufen gelegt hat.

Dieser Appell ist also gleich zweifach selbstwertdienlich. Zum ersten geht es eher um die eigene Sicherheit, wofür man offenbar auch die Souveränität der Ukraine opfern würde. Genau das also, an dessen Geist man angeblich anknüpft.

Zum zweiten lese ich das dringende Bedürfnis, das eigene von Russlands Panzern überrollte Weltbild zu retten.

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