Der Getreide-Deal und worum es wirklich geht

Wirtschaftskrieg zwischen EU und Russland

Der Getreide-Deal

Russland ist den Getreide-Deal eingegangen und hat gesagt: Ok, die Ukraine kann Getreide mit dem Schiff ausliefern, aber zu unseren Bedingungen.
Eine der Bedingungen war, dass die Sanktionen gegen die russischen Banken gelockert werden.

Was genau verlangt und zugesagt wurde, wird aus politischen, strategischen Gründen nie genau gesagt. Es wäre sehr aufwändig und mühsam, das irgendwie herauszufinden. Zumal ja ausgerechnet die Türkei ihre Finger in der Vermittlung der Deals hatte. Und die ist ja nun nicht unbedingt das pressefreundlichste Land der Welt.

Und da kommen wir zum nächsten Problem.
Im Februar hat der russische Staat zugegeben, dass derzeit etwa 600 Milliarden Dollar im Ausland eingefroren sind. Staatliche Gelder, nicht die Gelder der Oligarchen. Die kommen noch obendrauf.
Nur um eine Größenordnung zu geben: Das ist mehr, als Deutschland 2022 ausgegeben hat. Wir könnten ganz Deutschland davon ein Jahr betreiben und sogar richtig raushauen, und müssten keinen Cent Steuern zahlen.
Was zeigt, dass Russland lange viel Geld auf die hohe Kante gelegt hat. Um in Fällen wie diesen den Rubel stabilisieren zu können.

Würde man die russischen Banken aber wieder an SWIFT anschließen, wäre dieses Geld sofort in Russland. Vermutlich auch das der Oligarchen.

Die Erpressung

Und weil Russland das nicht bekommt, hat es den Getreide-Deal jetzt auslaufen lassen. Um mehr Druck gegen vor allem Europa aufzubauen.
Und das ist sicher wichtig zu verstehen: Dieser Konflikt geht über die Ukraine hinweg. Die Ukraine kann zwar irgendwie im diplomatischen Zirkus verhandeln. Aber im Grunde ist es ein Konflikt zwischen Russland und der EU.

Was vielleicht auch einmal deutlich macht, wie unsinnig es ist, ständig zu erzählen, die Rolle der USA sei viel größer. Das ist sie nicht. Es findet ein Wirtschaftskrieg statt, vor allem zwischen Russland und der EU. Nicht den USA.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und China sind übrigens ebenfalls sehr angespannt, denn China will Russland abhängig machen und halten.

Im Grunde nimmt Russland die Ukraine und auch die Versorgung der abhängigen Staaten als Geisel. Es sagt: „Entweder ihr gebt den Widerstand auf und lasst mich Geld verdienen, oder ich mache alles kaputt.“

Und da die EU und „der Westen“ nicht darauf eingehen, sagt Russland nun, es sei nicht geliefert worden, was vereinbart war. Nämlich die Lockerung der Sanktionen. Was aber wie gesagt niemand wirklich nachweisen kann.

Die derzeitigen Angriffe auf Odessa

Odessa liegt ziemlich weit im Osten der ukrainischen Küste. Und Odessa ist der derzeit größte ukrainische Hafen. Über ihn wird ein Großteil des Exportes abgewickelt.
Pünktlich mit dem Auslaufen des Getreide-Deals hat Russland nun begonnen, diese Hafenanlagen und Silos in Odessa und anderswo massiv anzugreifen. In nur wenigen Tagen sollen hunderttausende Tonnen Getreide vernichtet worden sein.

Das wird dazu führen, dass der Getreidepreis weltweit wieder steigt. Es kann dazu führen, dass russisches Getreide wieder konkurrenzfähig wird. Es kann dazu führen, dass auch bei uns Brot und Bier teurer werden. Und es kann dazu führen, dass ärmere Länder in Afrika nicht genügend Getreide kaufen können.

Man muss das ganze umfassender verstehen. Und dann ergibt sich auch ein schlüssiges Bild.
Russland versucht nicht primär die Ukraine zu schädigen. Sondern den Weltmarkt zu manipulieren, um die EU dadurch zu erpressen.
Dass die Ukraine dadurch weniger Geld einnimmt, ist nur ein für Russland netter Nebeneffekt.

Offenbar hat die russische Führung Pros und Contras abgewogen und sich für diesen Weg entscheiden. Auch wenn eine Schädigung der afrikanischen und asiatischen Länder zu Spannungen führen wird.
Und das wiederum legt nahe, dass Russland selber bereits sehr unter Druck ist.

Der starke Mann am Bosporus

Nun hat der türkische Präsident Erdogan bereits vor etwa zwei Wochen bekräftigt, die türkische Marine würde ukrainische Schiffe weiterhin verteidigen.
Das kommt auch nichts aus dem Nichts. Denn Erdogan war der letzte, der noch halbwegs einen Draht zu Putin hatte. Er hat gepokert, um sich als starker Mann am Bosporus darzustellen. Aber seitdem er jetzt auch noch die an die Türkei überstellten Asow-Kämpfer – eigentlich russische Kriegsgefangene – nach Hause gelassen hat, will Putin mit ihm auch nichts mehr zu tun haben.
Nun kann er aber nicht sagen „Uh, sorry, ich habe mich verzockt.“ Also muss er weiterhin auf stark machen.

Derweil gehen von Russland – wie so häufig – zwei Zeichen aus.
Einerseits wird immer wieder gesagt, man könne noch eine Verlängerung des Deals erreichen. Offen ausgesprochene Kernforderung dafür ist die Rücknahme der Sanktionen gegen die Rosselkhozbank. Andererseits wird auf stark gemacht und davor gewarnt, Getreide zu exportieren.

Was das ganze nun wiederum tatsächlich gefährlich macht ist, dass diese Schiffe ja nicht aus der Ukraine kommen. Das sind riesige Pötte, die meist unter einer anderen Flagge fahren. Beispielsweise unter der der Elfenbeinküste. Weil es für die Betreiber preiswerter ist.
Gehören tun diese Schiffe aber zumeist großen Reedereien. Und die sitzen häufig auch in NATO-Mitgliedsstaaten.

Eine mögliche Eskalation

Tatsächlich kann es passieren, dass Russland die Würfel rollen lässt und ein solches Schiff angreift. Denn viele Betreiber haben bereits gesagt, dass sie weiter fahren werden. Zusätzlich hat der britische Geheimdienst aktuell berichtet, dass Russland begonnen hat, die Ausfahrten von ukrainischen Häfen noch stärker zu verminen.
Das wäre natürlich eine deutliche Eskalation.

Sollten die Schiffe im Konvoi mit türkischen Schiffen fahren, würden die keine Sekunde zögern, zurückzuschießen. Die türkische Marine ist weit stärker. Da sich ja lediglich die inzwischen deutlich geschwächte Schwarzmeerflotte Russlands dort befindet. Sie können nicht einfach andere Schiffe dorthin verlegen.

Wir erinnern uns, dass die Türkei 2015 einen russischen Jet abgeschossen hat, weil dieser ihren Luftraum verletzt hat. Nicht irgendwie durch Protokolle automatisiert, sondern durch einen Abfangjäger.
Die Türkei muss so reagieren. Weil alles andere in der türkischen Öffentlichkeit als Schwäche ausgelegt würde und somit Erdogan selber schwächen würde.

Es wäre also nicht überraschend, in den nächsten Wochen eine solche Meldung in den Nachrichten zu sehen.

Der Dritte Weltkrieg?

Wer jetzt Angst vor einer Eskalation mit der NATO hat, den möchte ich jedoch beruhigen. Das sehe ich nicht einmal am entferntesten Horizont.
Für einen Bündnisfall müsste ein Mitgliedsstaat direkt angegriffen werden. Dann würde eine Dringlichkeitssitzung abgehalten werden. Dort würde darüber beraten. Und erst wenn sich alle einig sind, würde die NATO überhaupt auf den Plan treten.

Würde ein türkisches Schiff oder ein ziviler Frachter in eine solche Situation geraten, ist es wenig wahrscheinlich, dass die Mitglieder den Bündnisfall ausrufen. Ein Schiff in internationalen Gewässern reicht dafür nicht.
Auch hier gilt jedoch: Was einzelne Staaten dann alleine machen, ist Sache dieser Staaten. Doch auch das halte ich für wenig wahrscheinlich.

Nach meiner bisherigen Erfahrung, und da schließe ich auch meine Militärzeit mit ein, rechne ich eher damit, dass Russland so lange versucht die Erpressung und den Druck zu steigern, bis es ernsthafte Gegenwehr erwarten muss. Wofür die türkische Marine durchaus schon reichen kann. Und es dann sang- und klanglos mit der üblichen Propaganda ins Nichts laufen lässt.

Die vom Kreml erklärten roten Linien, die der Westen angeblich schon überschritten hat, sind ja schon nicht mehr zählbar.
Dennoch halte ich eine begrenzte Eskalation derzeit sogar für wahrscheinlich.

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