Das Massaker von Butscha

Die Macht der Bilder

Dieser Beitrag wurde zuvor auf der Facebook Fanpage veröffentlicht.

Grauenvolle Bilder werden durch die Medien getrieben. Es ist schwer, angesichts dieser Bilder für Skepsis und Besonnenheit zu plädieren. Doch was in einigen Medienberichten stattfindet, darf nicht ohne Einordnung bleiben.

Vor einigen Tagen kündigte Russland an, seine Kriegshandlungen auf den Osten der Ukraine zu konzentrieren. Was auch bedeutet, Truppen aus dem Gebiet der Hauptstad abzuziehen.
Nach anfänglicher Skepsis kann das jetzt als gegeben angenommen werden.
Die Ukraine selber bestätigte das und meldet die Rückeroberung mehrere Dörfer nördlich von Kiew.

In der Kleinstadt Butscha soll es zu einem Massaker an Zivilisten gekommen sein.
Per Definition ist ein Massaker ein Massenmord unter besonders grausamen Umständen. Beispielsweise der Mord an Zivilisten, die sich ergeben haben.

Diese Meldungen, Bilder und Videos, die die Öffentlichkeit derzeit erreichen, sind während der Rückkehr von bewaffneten ukrainischen Einheiten nach Butscha entstanden. Sie entstammen ausschließlich ukrainischen Quellen.
Zu sehen sind Tote, die offen auf der Straße liegen. Aber auch Tote in einem vermeintlichen Massengrab.

Was erschüttert ist, dass einzelne (Boulevard-) Medien diese Fotos unverändert veröffentlichen.
Erschütternd daran ist weniger das Zeigen der Toten an sich. So lange Menschen diesen Gräuel ausgesetzt sind, halte ich wenig davon, andere Menschen zum Schutz ihrer Psyche davor zu bewahren.
Schockierend ist die Vergessenheit, mit der Medien mit der Würde dieser Toten umgehen.

Es fällt schwer, aber in diesem Zusammenhang sind auf diesen Bildern keine Anzeichen für ein Massaker zu sehen. So schockierend die Aufnahmen sein mögen. Es geht schlicht um die Definition.

Zu sehen ist beispielsweise eine Straße, auf der einige Tote liegen.
Doch diese Straße wurde erkennbar von Granaten getroffen. Es ist nicht erkennbar, ob diese Menschen bewusst und gezielt getötet wurden, oder ob sie beispielsweise Opfer von Explosionen wurden.

Zudem wird oftmals durch rhetorische Manipulation der Eindruck vermittelt, dies sei unmittelbar vor dem Abzug der russischen Truppen passiert. Doch man kann aufgrund der Aufnahmen nicht sagen, wie lange diese Menschen schon dort liegen. Offensichtlich wurden einige der Toten ja bereits beerdigt.
Andere Aufnahmen zeigen, dass die gesamte Kleinstadt offensichtlich hart umkämpft war: zerrissene Fahrzeuge, Einschläge, zerstörte Häuser.

Die Medien sprechen von 280 Toten. Es wird also implizit das Bild erweckt, dass die Russen kurz vor dem Abmarsch gezielt 280 Zivilisten getötet hätten. Was anhand der Aufnahmen ganz eindeutig nicht der Fall ist.

In einem Video und auf einem Bild sind zwei tote junge Männer zu sehen, von denen einer die Hände auf dem Rücken gefesselt hat. Das wird auch von ukrainischen Quellen angegeben. Doch diese Toten wirken merkwürdig deplatziert, ihre Kleidung ist sauber, es ist kein Blut erkennbar.

Zudem berichten einige Medien davon, ein Reporter der französischen Agence France-Presse hätte „die Bilder bestätigt“. Zunächst sagt das nichts darüber aus, ob es sich dabei um Franzosen handelt, oder um Ukrainer, die für die AFP arbeiten. Und erst wenn man mehrere Medienbeiträge liest und miteinander abgleicht, merkt man, dass die tatsächliche Aussage eine andere war. Denn mehrere Reporter der AFP waren dort und haben Leichen auf der Straße liegen sehen. Sie haben aber offenbar weder die Bilder der gefesselten Erschossenen bestätigt, noch ein „Massaker“.

Und einen Umstand muss man sicher auch in eine distanzierte Betrachtung einfließen lassen. Die Ukraine hat selber breit kommuniziert, dass sie Waffen und selbstgemachte Molotow-Cocktails an Zivilisten verteilt. Tatsächlich dürfen Männer im wehrfähigen Alter nicht einmal das Land verlassen.
Ein russischer Soldat muss also damit rechnen, dass jeder dort verbleiben Zivilist ein bewaffneter Feind ist.
Dass auf den Fotos der Leichen in Butscha keine Waffen zu sehen sind, ist höchstens ein Verdacht dafür, dass sie weggeräumt wurden. Von wem auch immer.

Die vorliegenden Informationen reichen nicht aus, um ein Massaker zu bestätigen.
Umso erschreckender ist es, wie bereitwillig viele Medien diese Formulierung in ihren Überschriften übernehmen. Und höchstens im Fließtext mitteilen, dass die Angaben nicht geprüft werden können.
Zugrunde liegt wohl erneute eine Agenturmeldung, unter den meisten Beiträgen stehen die AFP und die Deutsche Presseagentur. Das bedeutet nichts anderes, als das von denen, die jetzt darüber berichten, selber niemand dort war.
Noch erschreckender ist dann, wenn Boulevard-Medien Bildunterschriften wie „Kann die freie Welt das weiter tolerieren?“ oder „Butscha wird nicht vergessen werden.“ versehen.

Diese Propaganda und Verzerrung findet in beide Richtungen statt:
Gestern wurde mir ein Video von einer Leserin „vorgelegt“. Zu sehen ist ein Ausschnitt einer ukrainischen Fernsehsendung, in der jemand zum Ukraine Krieg befragt wird. Dieser Mann fordert darin angeblich die systematische Kastration von russischen Kriegsgefangenen und bezeichnet sie als „Kakerlaken“. Das wird durch pro-russische Kanäle verteilt mit dem Hinweis, der Mann sei Militärarzt und habe das befohlen. So wurde es sogar in Nachrichtenportalen wiedergegeben.

Ich kann weder Ukrainisch noch Russisch. Aber es war sehr leicht herauszufinden, dass der Mann namens Gennadi Druzenko kein Arzt ist, sondern Jurist. Und als „Aktivist“ zivile, mobile Lazarette koordiniert. Er ist also auch nicht beim Militär und kann so etwas nicht befehlen.
Selbst RT hat das korrekter berichtet.

Das reichte, damit in einer Kommentarspalte einer großen deutschen Zeitung heute Mittag bereits von einem offenbar deutschen Nutzer behauptet wurde, die Ukraine würde gezielt russische Kriegsgefangene „foltern und kastrieren“. Das diente als Beleg, Putin würde dort „Nazis bekämpfen“.

Es ist schwer. Und es wird immer schwerer werden. Aber man sollte sich nicht durch Bilder und offensichtlich widersprüchliche Informationen emotional mitnehmen lassen. In keine Richtung.

Im Falle des behaupteten Massakers von Butscha sollte man darauf hoffen, dass unabhängige Beobachter irgendwann eine entsprechende Beurteilung werden abgeben können.

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