Winnetou, Shitstorms und Huitzilopochtli

Der moralinsaure Zeitgeist

Der Ravensburger Verlag hat ein Winnetou Kinderbuch, ein Erstlesebuch, ein Puzzle und ein Stickerbuch zurückgezogen. Wegen eines Shitstorms aufgrund von „Verharmlosungen“ und „rassistische Stereotype“.

Der Begriff „Cancle Culture“ ist inflationär weit überdehnt.
Aber es ist unbestreitbar, dass einige sehr laute und moralisch erhobene Überkorrekte gerne über das Ziel hinausschießen.

Stereotype sind Vereinfachungen. Und die sind manchmal nötig. Nicht nur bei Kindern.
Dass viele Menschen nicht in der Lage sind komplexe Zusammenhänge zu erfassen, sehen wir ja auch bei Gaspreisen, Pandemien und EU-Normen.

Kinder sind die erste Zeit damit beschäftigt herauszufinden, wer sie sind und wer andere sind. Und dass man sie auch noch sehen kann, wenn sie sich die Augen zuhalten. Anschließend finden sie heraus, wie sie sich und andere definieren. Und dass es keine gute Idee ist, mit einer Flasche Apfelkorn in der Hand rotzevoll vom Balkon aufs Trampolin zu springen.

Auch ich habe Winnetou geguckt und Lederstrumpf gelesen. Ich denke, aus mir ist trotzdem ein halbwegs brauchbares Exemplar Mensch geworden.

Ich würde gerne sehen, wie jemand dieser Übersteuerten versucht einem Sechsjährigen zu erklären, dass es nicht „Indianer“ heißt. Sondern dass er sich Karneval als „Angehöriger eines amerikanischen, indigenen Volkes“ verkleidet.
Aus „Cowboy und Indianer“ wird so halt „faschistische, europäische Siedler und indigene Urbevölkerung“.

Vielleicht erklärt er der Teppichratte dabei auch gleich noch, dass die Irokesen eigentlich Haudenosaunee hießen und Demokratie, Konföderation und Staatsverträge hatten, bevor die Europäer sie eingeführt haben. Dass es Indianerzelte nur bei den Nomaden gab. Dass die Mississippi-Kultur eine riesige Stadt gebaut hat und ohne europäisches Zutun so nachhaltig untergegangen ist, dass heute keiner mehr weiß, wer sie waren.

Dass der Marterpfahl bei den Comanchen nicht dazu war, Gefangene zu fesseln, sondern öffentlich zu foltern oder durch Folter zu töten. Dass die Cheyenne sich Holzspieße durch Wangen und Haut bohrten, die mit Seilen an einem Pfahl befestigt waren, um beim Sonnentanz darum zu tanzen. Dass die Azteken jährlich über 10.000 Menschen zu Ehren Huitzilopochtlis bei lebendigem Leib das Herz herausgeschnitten haben, weil die Welt sonst untergeht. Dass die Maya die Köpfe von adeligen Neugeborenen verformten und Könige sich als Opfer Knochen durch den Penis rammten. Und dass die Priester der Populuca ihre Opfer häuteten, um ihre Haut dann bei Zeremonien zu tragen.
Vielleicht so zum einschlafen.

Dann kann er auch gleich erklären, dass Winnetou, als „Häuptling“ der Mescalero-Apachen, gar keine Zeit für seine vielen Abenteuer gehabt hätte. Weil seine Haupteinnahmequelle aus Raubzügen gegen andere Clans bestanden hätte, denen er Nahrung und Vieh klaut. Und Menschen verschleppt, vornehmlich junge Mädchen, um sie zu vergewaltigen. Und Ohrringe getragen hätte.

Aufgrund eigener Shitstörmchen-Erfahrung weise ich an dieser Stelle gerne nochmal darauf hin, dass Eskimo immer noch Eskimo heißen. Weil Inuit nur ein Teil aller Eskimo sind. Oder noch nie von Yupik gehört, Ihr Rassisten?

Echt mal Leute, man kann auch alles übertreiben.
Für einen funktionierenden, moralischen Kompass sind vor allem Relationen wichtig.

Denn da drängt sich die Frage auf, was wir in unserem moralinsaurem Zeitgeist nun mit den vielen Büchern machen sollen, die bisher geschrieben wurden.
Lasst uns Pipi Langstrumpf erklären, dass Affen keine Haustiere sind. Die Darstellung der Hornissen bei Biene Maja wäre auch mal zu überdenken. Pinocchio wurde ja von Disney schon gehörig entschärft, Arielle stirbt nicht, die Stiefschwestern von Aschenputtel schneiden sich nicht mehr die Zehen ab und die Stiefmutter von Schneewittchen muss nicht mehr bis zum Tod in glühenden Schuhen tanzen. Aber es dürfte jawohl unnötig sein, dass dem Daumenlutscher mit einer Schere die Daumen abgeschnitten werden und der an Magersucht erkrankte Suppe-Kasper verhungert.
Ich bin sicher, der Räuber Hotzenplotz wurde nur aufgrund des soziokulturellen Kontextes durch die beginnende Industrialisierung an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Oder ist es nicht eher die Aufgabe der Erwachsenen, so etwas in den richtigen Kontext zu setzen und zu vermitteln? Vielleicht so als Alternative dazu, die Rotzis vorm Fernseher zu parken und sie bei der Einordnung sich selbst zu überlassen? Und zur Sicherheit alles zu entschärfen?

Sollte es vielleicht sogar wichtigeres geben, als ein Kinderbuch?
Der aktuelle Rassismusmonitor der Bundesregierung vom letzten Monat zeigt, dass 49 Prozent der Befragten an die Existenz von Rassen glauben und 27 Prozent der Bevölkerung glauben, dass es hierarchisch sortierte Gruppen braucht, die oben oder unten stehen.
Man darf bezweifeln, dass Winnetou dafür verantwortlich ist.

Ok, mir würde schon reichen zu sehen, wie jemand versucht einem Sechsjährigen das Wort Huitzilopochtli beizubringen.

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