Rammstein: Ein gemachter Skandal

Ich musste diesen Beitrag schreiben. Ich musste einfach.

Wenn Sie diesen Beitrag lesen, habe ich sehr lange darüber nachgedacht ihn zu schreiben. Und darüber, ihn zu veröffentlichen. Ich habe ihn mehrfach geschrieben, verworfen, geändert und die Fassung, die Sie nun lesen, mindestens eine Nacht vor der Veröffentlichung fertig gestellt.

Diese Bedachtsamkeit ist nötig. Denn ich weiß, dass meine Perspektive zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen einlädt. Nicht nur, weil ich ein Wochenende damit verbracht habe, auf der Facebook Fanpage zu moderieren, mich gegen Vorwürfe zu wehren und wieder und wieder zu erklären, warum ich ganz sicher kein Victim Blaming betreibe.

Diese ganze Geschichte treibt mich wirklich um. So, dass ich viele Videos dazu angesehen und viele Artikel gelesen habe. Ich habe recherchiert, bevor ich etwas schreiben wollte. Eigentlich wollte ich nicht mehr.
Diese ganze Nummer wird auch eine Wirkung auf mich haben und darauf, wie ich mit Kommentatoren umgehe.
Leider musste ich auch sehr viele Quellen, die ich wirklich mochte und schätzte, kritisch hinterfragen.

Ich habe mich auch selber introspektiv hinterfragt. Ich habe mich gefragt, was mich daran so sauer macht. Was ich empfinde und warum ich es empfinden. Und ich bin noch nicht damit fertig.
Feedbacks von Bekannten, von Leserinnen und Lesern und Veröffentlichungen Dritter haben mich dazu bewogen, mich dennoch dazu zu äußern.

Und dieser Absatz zeigt, wie heikel das Thema tatsächlich ist. Dass eine solche Einleitung, eine solche Meta-Kommunikation überhaupt nötig ist, zeigt, dass da etwas in Schieflage geraten ist. Rammstein ist nur ein Symptom.

Und um es dramaturgisch vorweg zu nehmen: Es ist mir schlicht unmöglich, Empathie mit den angeblichen Opfern des System Row Zero zu empfinden. Ob es Opfer von sexueller Gewalt gegeben hat, weiß ich nicht. Auf meinem jetzigen Wissensstand fällt es mir schwer, es zu glauben.
Und ich weiß, dass viele Menschen genauso denken. Nicht nur Rammstein Fans.

Die Reihe Null: Row Zero

Begonnen hatte das ganze wohl schon im Dezember, als ein Rechercheteam von NDR und SZ unter der Leitung von Daniel Drepper begonnen hat, zu der Praxis der Row Zero zu recherchieren.
Damit ist erst einmal nur gemeint, dass junge Frauen aufgrund ihres Äußeren zu Aftershow-Partys eingeladen werden.
Später würde er im Interview das vom Moderator vorgeschlagene Bild des „gefügig Machens“ widersprechen.

Row Zero ist im Zeitalter der Influencer ein völlig normaler Vorgang. Man wählt dafür möglichst Frauen aus, die viel auf Social Media posten, viel Reichweite haben und gut aussehen. Es ist Promotion.
Durch die Berichterstattung kommt der Eindruck auf, dass Rammstein dieses System erfunden hätte. Was den Eindruck verstärkt, es sei einzig dazu erschaffen, um dem Sänger Till Lindemann junge Frauen zum Sex zuzuführen. Das Eindruck ist falsch.

So lange ich denken kann, gibt es VIP (Very Important Person) und After-Show-Partys. Nicht nur bei Bands und auf Konzerten. Auch bei Messen. Ich war selber nicht nur Security auf solchen Partys, sondern auch zu Gast.

In Zeiten des Social Media Marketing hat sich das entwickelt. Veranstalter oder Management laden junge Frauen ein, die auf Social Media aktiv sind. Weil die dann wiederum für eine Party und ein paar Drinks preiswert Werbung machen. Indem sie ihr Zeug online Stellen. Messe-Hostessen mit Handy-Kamera.
Bei Konzerten wird diesen dann häufig ein abgetrennter Bereich unmittelbar vor der Bühne gewährt. Die Row Zero, die Reihe Null, die Reihe vor der ersten Reihe. Weil sie von da aus gut Fotos machen können. Und somit den Eindruck vermitteln, es sähe für alle Zuschauer so aus. Sie selber haben den Nutzen, dass ein wenig Fame von der Bühne auf sie herunterstrahlt.

Man muss sich nur einmal Übertragungen von großen Konzerten bewusst anschauen und auf den Bereich vor der Bühne achten. Gerade bei Konzerten, die von Sendern organisiert oder bei denen Clips aufgenommen werden, verfügen über abgetrennte Zuschauerbereiche. Damit es für die Kamera voll und enthusiastisch aussieht. Keine Sau will Bilder vom dritten Rang, wo Vatti gerade Senf von der Bulette auf sein Shirt kleckert.

Ungenau ist das neue Schwarz

Es wäre müßig, über Details zu diskutieren. Einfach nur, weil ich ja gar nicht abstreite, dass es sowas gibt. Nach meinem Eindruck sind diese Hintergründe vielen aber nicht geläufig. Weshalb sie automatisch im Kopf ein falsches Bild zusammensetzen.

Leider sind einige Details daher vielleicht doch nötig. Weil Medienschaffende, die sich dazu äußern, bei einigen Dingen auffällig wage bleiben.
Das ist einerseits zu erklären und zu verstehen durch den Schutz der betroffenen Frauen. Unbenommen. Andererseits ist es aber in fast allen Berichten überraschend, wie sehr Behauptungen durcheinandergeworfen und vermengt werden.

Beispielsweise hat der bekannte YouTuber Rezo zu dem Thema am 06.06. ein kurzes Video veröffentlich, in dem er mit für seine Verhältnisse dramatisch wenigen Quellenhinweisen von sechs Quellen auskommt. Die sich ausnahmslos auf andere Berichterstattungen von Medien berufen.

Deshalb muss zumindest erlaubt sein einiges anzumerken, das in diesen Berichten nicht erwähnt wird. Und das vielleicht geeignet ist, die Causa Rammstein in anderem Licht erscheinen zu lassen oder zumindest Fragen zu stellen.

Shelby Lynn, Vilnius, Litauen

Den richtigen Spin hat die Geschichte bekommen, als die Irin Shelby Lynn sich ab spätestens dem 25.05. dazu öffentlich geäußert hat. Sie war auf einem Rammstein Konzert in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Sie war in der so genannten Row Zero.

Ihre ersten Veröffentlichungen sind nicht mehr zu finden. Doch seitdem postet Lynn auf Twitter ausschließlich zu diesem Thema. Ihr Twitter Account ist überschrieben mit „the girl that got spiked AT Rammstein“ (etwa: „Das Mädchen, das BEI Rammstein unter Drogen gesetzt wurde“) Mit Link auf ihren Instagram Account.

Ihre Behauptung ist unter anderem, sie sei während der Pre-Show-Party, also vor dem Konzert, unter Drogen gesetzt worden. Und Till Lindemann hätte während der Show (!) Sex mit ihr haben wollen. Das hätte sie jedoch abgelehnt. Später stellte sie klar, dass Lindemann sie nicht angefasst habe.
Als Bestätigung führt sie an, dass sie am nächsten Tag Gedächtnislücken und blaue Flecken gehabt hat. Von denen sie ebenfalls mehrfach Fotos veröffentlichte.

Widersprechende Zeugin, Vilnius, Litauen

Am 31.05. wurde dann auf dem YouTube Kanal „Colonel Kurtz“ ein Interview mit einer der Frauen veröffentlich, die den ganzen Abend mit Lynn auf eben diesem Konzert waren. Der Kanal wird übrigens von einer Frau geführt, die sich u.a. gegen „MeToo Hoaxes“ wehrt. Es wurde kaum beachtet.

Die Konzertbesucherin hatte Lynn an dem Abend kennengelernt, die Row Zero ist nicht besonders groß. Sie beschreibt Shelby als sehr laut, sehr überdreht und sehr um Aufmerksamkeit bemüht.
Sowohl veröffentlichte Fotos und Videos von Ihr als auch von Lynn zeigen, dass sie bei diesem Event sehr viel Zeit miteinander verbracht haben. Das ist unstrittig.

Selfie von Shelby Lynn (vorne) während des Konzertes in Vilnius. Rechts die erste Zeugin, die das Interview gab. Zu diesem Zeitpunkt stand Lynn ihrer Aussage nach bereits unter Drogen.

Zunächst sagt sie, dass sie selber nicht unter Drogen gesetzt wurde. Den Frauen in dieser Gruppe sei Alkohol gegeben worden, allerdings in geschlossenen Flaschen. („sealed“ = versiegelt)
Lynn hat während des gesamten Konzertes ausgelassen, „euphorisch“ getanzt und mitgesungen. Auch das belegen Videos.

Drogenkunde für Anfänger

Eine typische „Vergewaltigungsdroge“ ist Rohypnol, auch Roofies genannt. Der Wirkstoff ist Flunitrazepam. Das ist ein Benzodiazepin: muskelentspannend, angstlösend, sedierend (betäubend). Ähnlich ist es bei Gamma-Hydroxybuttersäure, kurz GHB genannt.

Das ist der Sinn, wenn man ein Opfer wehrlos machen will. Lynn zeigt aber auf den vielen – auch von ihr selber – veröffentlichten Videos keinerlei Anzeichen von Betäubung. Das Gegenteil ist der Fall. Sie wirkt aufgekratzt, hyperaktiv, laut. So, wie man es bei Alkohol erwarten würde. Eventuell bei geringen Dosen GHB, die dann aber nicht als „Vergewaltigungsdroge“ geeignet sind. Auch Amphetamine, Kokain oder MDMA (Ecstasy) wären denkbar.
In einem Video ist zu sehen, wie sie sich einem relativ bekannten DJ namens Joe Letz in dieser Row Zero an den Hals hängt um ihm etwas ins Ohr zu sagen. Und der sich dabei sichtlich unwohl fühlt.

Screenshot eines Videos, das Lynn mit dem
DJ Joe Letz zeigt.

Es kamen auch Hinweise auf, dass Lynn bereits zuvor psychisch auffällig war. Ich möchte das nicht unterstellen. Ich möchte eine Perspektive öffnen.
Vor allem junge Frauen leiden häufiger als Männer an eine Bipolaren Störung. Das, was man früher auch „manisch Depressiv“ genannt hat. Alles, was ich von Lynn gesehen habe (Videos, Postings, öffentliches Verhalten danach), passt überraschend gut zu den Symptomen einer Bipolaren oder affektiven Störung. Es gibt Lehrvideos von Interviews mit Menschen in einer so genannten manischen Phase.

Solche Bipolare Störungen werden mit Psychopharmaka, meist Neuroleptika, behandelt. Die länger unter Aufsicht eines behandelnden Facharztes eingestellt und immer wieder angepasst werden müssen. Und die sich ganz scheiße mit Alkohol vertragen.
Für jeden, der an einer affektiven Störung leidet, ist Alkohol ein absolutes NoGo. Ob mit oder ohne Medikation.
Ich habe die Auswirkungen solcher Medikamente in Verbindung mit Alkohol mehrfach selber beobachten müssen.

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