Minen im AKW: Systemische Desinformation

Panikmache für die Klicks

Durch die Mechanismen des Online-Journalismus werden die Menschen desinformiert. Meldungen werden multipliziert, ohne dass es vernünftig erklärt wird. Was bei vielen Menschen Ängste schürt.
Dieser Beitrag ist auch auf der Facebook Fanpage erschienen.

Russland hat bereits in der ersten Phase des Überfalls das Atomkraftwerk Saporischschja besetzt. Was militärisch übrigens nur eingeschränkt Sinn macht, aber das würde hier den Rahmen sprengen.
Nun haben viele Sorgen, dass Russland das AKW in die Luft jagen könnte, wenn es militärisch nicht weiterkommt. Was unweigerlich zu einer Katastrophe führen würde. Saporischschja ist das größte AKW Europas.

Anlass gegeben haben die Äußerungen eines ranghohen Offiziers, der damals so etwas sagte wie „Wenn wir es nicht haben können, kann es keiner haben.“ Auf das Thema springen die Medien also an, es ist klickbar.
Als das AKW besetzt wurde, titelten viele Medien, es sei „beschossen“ worden. Woraufhin ich versucht habe zu erklären, dass es nicht „beschossen“ wurde. Sondern dass dort ein kleines Gefecht stattgefunden hat. Hunderte Meter von den Reaktoren entfernt.
Unter „beschossen“ stellt jeder sich vor, dass gezielt Raketen oder Artillerie auf das Gelände gefeuert wurden, um es zu zerstören. Das ist nicht geschehen.
Natürlich ist die Steuerung und die entsprechende Infrastruktur ebenso schützenswert, wie die Reaktoren. Aber „beschossen“ ist nun einmal etwas anderes.

Die Sorge war, dass an der Infrastruktur des AKW Sprengsätze angebracht wurden. Die dann gezündet werden, wenn die Russen in einer quasi Kamikaze Aktion das Ding hochjagen wollen. So zu sagen eine Totmannschaltung.
Dies wurde in den Medien mit dem eigentlich falschen Begriff „vermint“ bezeichnet. Aber gut, sei’s drum.

Heute melden fast alle Medien, auf dem Gelände seien Minen gefunden worden. Einigen ist es einen eigenen Beitrag wert (Tagesschau, ZDF, MDR, Stern, Spiegel, usw.), andere schreiben es in ihren Live Ticker, den sie aber mit der Meldung überschreiben. (Tagesschau, Zeit, Welt, etc.)

Die Kontrolle und der Fund

Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA hat wiedermal Kontrolleure in das AKW geschickt, um es zu prüfen. Dabei hat sie nach eigenen Aussagen Minen gefunden.
In dem Tweet nennen sie jedoch zwei Fakten, die in den Medien erst eher nebenbei im Fließtext auftauchen, oder sogar gar nicht: Es handelt sich um Antipersonenminen in der Peripherie.

Genauer erklärt wird das in dem ausführlichen Bericht der IAEA. Bereits am Sonntag hat das Team bei der Begehung des AKW diese Antipersonenminen zwischen der inneren und äußeren Begrenzung des AKW gefunden. Dort, wo auch das Personal keinen Zugang hat.

Wie muss man sich das also vorstellen?
Das AKW ist so groß wie eine kleine Stadt. Ich habe die Hauptstraße, etwa vom Haupteingang bis auf höhe der Verwaltungs- und Wartungsgebäude, grob gemessen. Es sind über vier Kilometer. Die Reaktoren, die häufig auf Fotos zu sehen sind, sind nochmal einige hundert Meter von diesen Gebäuden entfernt.

Antipersonenminen haben etwa die Sprengkraft einer Handgranate. Wobei selbst die meist eine größere Wucht haben. Denn Antipersonenminen – die in 160 Ländern geächtet sind – sollen denjenigen nur verletzen, der drauftritt. Üblicherweise durch Splitter. Denn in der perfiden Logik des Krieges würden andere Soldaten versuchen, den Verletzten zu bergen. Und vielleicht selber auf Minen treten. Außerdem bindet er Kapazitäten, denn er muss transportiert und medizinisch versorgt werden.

Solche Antipersonenminen haben kaum einmal die Kraft, eine Hauswand zu durchschlagen. Geschweige denn ein AKW, dass tausende Meter entfernt ist.

Ich habe einmal versucht, das auf der Grafik zu verdeutlichen:

Rechts zum Größenvergleich eines der riesigen Reaktorgebäude markiert. Unten der Grünstreifen, wo meiner Meinung nach solche Minen militärisch Sinn machen würden. Volle Auflösung auf Klick.

Die Minen

Die meisten solcher Objekte der relevanten Infrastruktur sind mit einem Grünstreifen umgeben. Nicht mit ein wenig Rasen, wie bei zivilen Flugplätzen. Sondern wirklich mit Wald. Ich habe auch im Objektschutz auf solchen Objekten gedient. Die Ringstraße um den Flugplatz Nordholz war beispielsweise 16 Kilometer lang, zur Jagdzeit wurde in den umliegenden Wäldern gejagt.

Militärisch macht es völlig Sinn, in diesem Bereich zu verminen oder Stellungen einzurichten, beispielsweise Gräben zu ziehen. Und im Falle Russlands ist es dann naheliegend, dort Antipersonenminen zu legen.
Das hat absolut nichts mit der Sicherheit des AKW zu tun. Es dient dazu, eventuell angreifende ukrainische Truppen abzuwehren.

Es wäre völlig irre und idiotisch, zu dem Zweck irgendwelche Mittel zu verwenden, die die Sicherheit des AKW selber gefährden könnten. Denn wird das AKW beschädigt, könnte es alles und jeden im Umkreis ins Jenseits blasen.

Deshalb halte ich auch die Gefahr, die durch Russland für das AKW ausgeht, für sehr gering. (So lange der Betrieb vernünftig läuft!)
Viele werden sich erinnern, was damals alleine in Deutschland los war, als Tschernobyl hochgegangen ist. Das war kleiner und weiter von Deutschland entfernt als Saporischschja von Russland. Aufgrund der Lage zum Schwarzen Meer ist es wahrscheinlich, dass die Radioaktivität nach Russland getragen würde. Und dort auch erst abregnet, denn der Nordosten der Ukraine ist plattes Land.

Wer Saporischschja hochjagt, hat gute Chancen, dass nicht nur die halbe Ukraine auf Jahre unbewohnbar wird. Sondern auch weite Teile Russlands verstrahlt werden. Die wirtschaftlichen Folgen wären unvorstellbar. Die halbe Welt ist von den Getreideexporten dieser Länder abhängig.

Mit solchen Medienmeldungen wird mit den Ängsten der Menschen Kohle gemacht.
Das kann man nicht diesem oder jenem Medium zum Vorwurf machen. Es ist systemisch. Trotzdem wäre es doch mindestens wünschenswert, wenn die verantwortlichen Redakteure sich endlich mal ihrer Verantwortung bewusstwürden.

Vermutlich wurde die etwas erregte aber völlig korrekte Meldung der IAEA von einer Nachrichtenagentur aufgenommen und von vielen Medien ohne weitere Prüfung übernommen. Da sitzen dann nur noch Redakteure, die das schriftlich überarbeiten, aber nicht mehr recherchieren oder auch nur prüfen. Wie eine Klassenarbeit, die man beim Nachbarn abschreibt und nur etwas verändert, damit es nicht so auffällt.

Die Meldung der IAEA stammt übrigens von gestern Abend. Viele Medien haben also bewusst bis heute Morgen gewartet, weil es dann mehr Leute klicken.

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