Leserfragen: Drohnenangriffe auf Kiew

Eine bekannte Strategie Russlands

Inzwischen haben mich mehrere Leserfragen zu den Drohnenangriffen auf Kiew erreicht.
Eine von einer Stammleserin: „Kannst Du mir erklären, warum Putin die letzten Monate auf den Beschuss von Kiew „verzichtet“ hat? Sind die Drohnen und Raketen jetzt erst geliefert worden?“

Zunächst sind die Drohnen, die derzeit auf Kiew gefeuert werden und ständig in den Medien stehen, mutmaßlich iranische Shahed 136. Teheran verkauft diese Drohnen auch an die Huti Rebellen im Stellvertreterkrieg im Jemen.

Der Iran bestreitet die Drohnen an Russland verkauft zu haben. Nachrichtendienste sehen es allerdings als erwiesen an. Die Ukraine geht davon aus, dass Russland 2400 dieser Drohnen erworben hat.

Die Shahed 136 heißen in Russland Geran-2 (герань-2). Sie sehen aus wie überdimensionierte Papierflieger mit einer Spannweite von etwa 2,5 Metern. Sie können ferngesteuert werden, finden ihr Ziel aber grundsätzlich selber.
Sie sind sehr preiswert, unter anderem verwenden sie ein GPS Gerät, das zivil hergestellt wird. (Quelle: Bloomberg) Also die Komponente, die für die Koordinaten und damit für das Zielen zuständig ist.

Die Wirkung dieser Drohnen sollte man nicht unterschätzen. Aber sie ist im Vergleich zu anderen Waffen vergleichsweise gering. Die „Kamikaze-Drohnen“ sind Artilleriegranaten mit Eigenantrieb.

In den vergangenen Wochen wurden Äußerungen und Informationen öffentlich, dass Russland den weitaus größten Teil seiner Flugkörper bereits verpulvert hat. Der Nachschub, also die Produktion in den verstaatlichten und zumeist hochkorrupten Unternehmen, kommt nicht hinterher.

Vor dem Krieg lebten in Kiew knapp drei Millionen Menschen. Es ist knapp so groß wie Berlin und deutlich größer als München. Man bräuchte also sehr viele Raketen.

Zudem macht es mitlitärisch nicht viel Sinn, Kiew anzugreifen. Denn die wichtigen Punkte der Verteidigung werden entsprechend geschützt sein. Die sitzen in Bunkern und sind „disloziert“. Man zieht wichtige Infrastrukturen auseinander, damit sie nicht so leicht zerstört werden können.
Das ist der Grund, warum in der alten BRD die Regierung in Bonn war, der Auslandsnachrichtendienst BND in München, das Verfassungsgericht in Karlsruhe, das Verteidigungsministerium bis heute in Bonn und nicht in Berlin ist usw.

In der ersten Phase haben Russland und Belarus versucht, Kiew in einem „Blitzkrieg“ einzunehmen. Das ist gescheitert. Das war bereits der sicher härteste Rückschlag für Russland. Wir erinnern uns an die Bilder der kilometerlangen Konvois, die dann schließlich auch wie die Schießbudenfiguren abgeknallt wurden.

Kiew jetzt noch zu bekämpfen ist also wenig erfolgversprechend. Zumal es inzwischen auch durch westliche Flugabwehrsysteme geschützt wird.
Und es ist teuer. Die vermutlich am häufigsten genutzten Raketen waren die Kalibr (Калибр, SS-N-27 und -30). Die sind viel schneller, viel größer, genauer und viel teurer. Das ist vermutlich genau das Waffensystem, von dem berichtet wurde, dass die Produktion längst nicht nachkommt. Nicht nur, aber vor allem. Präzisionswaffen wurden bereits kurz nach dem Einmarsch knapp, von den angepriesenen neuen Waffensystemen ist nichts zu sehen.

Nun dreht sich der Wind. Die Ukraine hat nicht nur unerwartete Raumgewinne erzielt. Sondern auch ganze Einheiten in die Flucht geschlagen und hunderte zurückgelassener Waffensysteme kassiert.
Das Rumoren wird immer lauter. Nicht nur der tschetschenische Diktator Kadyrow kritisiert die russische Militärführung offen, auch die Führung der Wagner-Gruppe übt offen Kritik. Ja, private Geldgeber (u.a. Jewgeni Prigoschin, „Putins Koch“) einer Söldnertruppe kritisieren das Militär, für das ihre Söldner kämpfen. Ein nie dagewesener Umstand.

Die derzeitigen Drohneneinsätze verfolgen also ziemlich klar zwei einfache Ziele.
Zum ersten soll die Bevölkerung dadurch terrorisiert, verunsichert und der Verteidigungswille gebrochen werden.
Es wird fast ständig über die Angriffe auf Kiew berichtet. Doch diese Angriffe finden derzeit in vielen Städten statt. (Charkiw, Dnipropetrowsk, Mykolajiw)

Es ist im Grunde sehr einfach: Man braucht eine große Feuerkraft, um den Feind „an der Front“ zu beeindrucken. Denn die Soldaten sind mobil, flexibel, geschützt. Man muss aber nur eine solche Drohne in einen Kindergarten lenken und die Wirkung ist psychologisch weit verheerender.

Es ist immer etwas unwürdig, aber irgendwie muss man die Verhältnisse ja verständlich machen: Bei der Schlacht an der Marne starben im Ersten Weltkrieg innerhalb von einer Woche etwa eine halbe Millionen Menschen. Derzeit geht man davon aus, dass auf Seiten der Ukraine täglich weniger als 200 Menschen sterben. Bei einem Drohnenangriff auf Kiew am vergangenen Wochenende starb ein Mensch.

Der zweite Grund ist, die Abwehr zu provozieren. Denn die vom Westen gelieferten Flugabwehrsysteme sind viel teurer als die Drohnen. Es ist das Paradebeispiel davon mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
Deshalb schickt man diese Drohnen auch in Schwärmen los. Einige kommen immer durch. Viel wichtiger ist aber der Verbrauch der teuren Munition. Dadurch wird die Abwehr geschwächt.

Als dritten Grund sieht Großbritannien inzwischen das Ziel, die zivile Stromversorgung zu zerstören. Was wiederum fast nur die Zivilbevölkerung treffen würde.
Doch aufgrund der Ungenauigkeiten der Waffen ist das schwer zu sagen.

Russland hat eine ähnliche Logik bereits in Syrien und Georgien angewendet, als es Streubomben auf zivile Städte geworfen hat. Auch in der Ukraine wurden diese geächteten Waffen schon eingesetzt.
Natürlich immer in Anbetracht der desolaten und scheinbar verzweifelten Lage, in der das russische Militär sich befindet.

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