Gesundheitsministerium: „Einer von 5000 stirbt an Impfung“

Wissenschaft, Twitter und Medien: Ein Kammerspiel

Die Überschrift ist kein Clickbait. Es ist die Essenz des lächerlichen Kammerspiels, dass sich gerade auf Twitter und in den Medien abspielt. Zu den Darstellern gehören Impfgegner, das Gesundheitsministerium, klickgeile Medien und ein überforderter Vollpfosten in der Social Media Redaktion.

Vor zwei Tagen veröffentlichte das Gesundheitsministerium folgenden Tweet:

„Eine von 5000 Personen ist von einer schweren Nebenwirkung nach einer COVID19-Impfung betroffen. Sollten Sie den Verdacht auf Nebenwirkungen haben, holen sie sich ärztliche Hilfe und melden Sie Ihre Symptome ans PEI_Germany.“

Das PEI ist das Paul Ehrlich Institut. Es hießt bis 2009 „Bundesamt für Sera und Impfstoffe“. Es ist auch für die Erhebung solcher Zahlen zuständig. Jeder kann dort Nebenwirkungen melden.

Daraufhin brach die erste Empörungswelle los.
Als „schwere Nebenwirkungen“ (eigentlich „schwerwiegende Nebenwirkungen“) wird beispielsweise bezeichnet, wenn ein Geimpfter aufgrund der Impfung stationär behandelt werden muss oder gar stirbt.

Im aktuellen Fall ergäbe das eine Rate von 0,02 Prozent. Damit können viele Menschen nicht viel anfangen. Daher wurde es schnell auf die leichter zu fassende Formulierung und den Hashtag „1 von 5000“ umgelenkt. Das macht mehr Angst. Danke für die Vorlage.

Die falschen Zahlen

Die zweite Empörungswelle folgte sehr schnell. Einige Nutzer mit scheinbar wissenschaftlichem Hintergrund (die offenbar aus der entsprechende Blase stammen) wiesen darauf hin, dass diese Rate nicht pro Mensch ist, sondern pro Impfdosis. Was im Kern vollkommen richtig ist.

Das würde bedeuten, dass das vermeintliche Risiko pro Person viel höher liegt. Da viele Menschen ja mehrfach geimpft sind. Und so rechnet die Berliner Zeitung dann ein Risiko von einem Fall von schweren Nebenwirkungen zu 1250 bei vierfach Geimpften. (Woher sie das hat ist nicht nachvollziehbar.)

Das Gesundheitsministerium löschte den Tweet daraufhin am gestrigen Donnerstag und ersetzte ihn durch die Formulierung „0,2 Verdachtsmeldungen pro 1.000 Impfdosen beträgt die Melderate ans @PEI_Germany für schwerwiegende Reaktionen.“ Priming für Praktikanten.

„Gesundheitsministerium veröffentlicht falsche Zahlen“

Das greifen die Medien natürlich vollmundig auf.
Die erwähnte und immer populistischer werdende Berliner Zeitung titelt damit, das Gesundheitsministerium habe „falsche Zahlen“ veröffentlicht. Es war ihr gleich zwei Meldungen wert, eine über den Tweet und eine über die Löschung. Das Redeaktionsnetzwerk Deutschland erkennt in seiner Schlagzeile, das Ministerium habe deshalb „zurückrudern“ müssen.
Focus online nutzt sogar den Hashtag „#1von5000“ in seiner Überschrift.

Das Problem daran ist jedoch ein ganz anderes.

Bei diesen Zahlen handelt es sich um Verdachtsfälle.
Angenommen ein 82-Jähriger erhält eine Impfung und verstirbt innerhalb von 30 Tagen, ist dies bereits ein Verdachtsfall und wird über das Gesundheitsamt an das Institut gemeldet. Ein Nachweis ist das noch lange nicht.

Noch gravierender dürfte jedoch sein, dass jeder solche Nebenwirkungen melden kann. Denn genau darum ging es ja in dem Tweet des Ministeriums: Die Aufforderung, man solle solche Nebenwirkungen melden.

Die Sauberkeit von Zahlen

Und dann kann sich jeder auch ohne wissenschaftliche Ausbildung vorstellen, dass solche Zahlen nicht sonderlich nützlich sind. Wissenschaftliche Studien, die ihre Daten durch Abgabe über das Internet beziehen, werden regelmäßig abgebügelt.
Erst jüngst hatte der antroposophische Professor Harald Matthes behauptet, die Nebenwirkungen der Impfungen seien in Wirklichkeit 40 Mal so hoch, wie vom PEI angegeben. Zur Abgabe der Daten für eine Studie rief er im Internet auf. Die Studie wurde dann durch die Charité gestoppt.

Denn es liegt doch völlig auf der Hand: Diejenigen, die Angst vor einer Impfung haben, werden sich selber beobachten und jedes Zipperlein melden. Auch Symptome, die nicht mit der Impfung in Zusammenhang stehen.
Das sind vermutlich die gleichen Menschen, die nach einem Erdbeer-Joghurt furzen müssen und den Rest ihres Lebens behaupten, sie seien laktoseintolerant. Ohne sich Gedanken darüber zu machen, was da sonst noch so im Joghurt ist. Oder dass sie vorher Grünkohl gegessen haben.

Hinzu kommt, dass diejenigen, die der Impfung gegenüber skeptisch eingestellt sind, natürlich eine viel größere Motivation haben, an solchen Erhebungen teilzunehmen. Jemand der geimpft und zufrieden ist, hat kaum einen Grund sich die Arbeit zu machen und seine Daten für sowas abzugeben.

Zufälligkeit ist state of the art

Und zum guten Schluss scheinen die Impfgegner eine hohe Motivation aufzubringen, die Zahlen bewusst verfälschen zu wollen. Auf gut Deutsch: Es werden Sachen gemeldet, die es so nicht gegeben hat.
Das PEI selber sieht einen Zusammenhang zwischen Berichten auf Social Media und einem akuten Anstieg von Meldungen.

Um so etwas aussagekräftig zu machen, müsste man eine Anzahl von Menschen bitten ihre Daten abzugeben, ohne dass sie vorher wissen worum es geht und ohne dass man vorher weiß, ob sie geimpft sind. Das bedeutet dann „randomisiert“, also zufällig ausgewählt.
Das Paul Ehrlich Institut macht das nur als eine Art Frühwarnsystem, um Tendenzen erkennen zu können. Eine Aussage würde es aufgrund dieser Daten sich nie abgeben. Es würde von tausenden Wissenschaftlern in der Luft zerrissen.

Der Unterschied von gut gemeint und gut gemacht

Die Formulierung des Gesundheitsministeriums war also gleich doppelt falsch. „Eine von 5000 Personen ist von einer schweren Nebenwirkung nach einer COVID19-Impfung betroffen.“
Nein, es geht nicht um Personen, sondern um Impfdosen.

Viel relevanter ist aber, dass es eben nicht um „Betroffene“, geschweige denn wissenschaftlich nachgewiesene Fälle geht. Sondern um zum großen Teil von Laien gemeldeten Verdachtsfälle.

Der Unterschied ist sehr einfach: Stellen wir uns für einen Augenblick vor, einer von 5000 Menschen hätte nach einer Impfung schwerwiegende Nebenwirkungen. Dann hätten bei über 183 Millionen Impfdosen bisher fast 37.000 Menschen in Deutschland sterben oder im Krankenhaus landen müssen. Und das, wo aktuell 16.000 stationäre COVID-Patienten und 1300 Intensivpatienten das Gesundheitssystem schon zum brummen bringen.
Und das soll keinem aufgefallen sein? Echt jetzt?

Das einzige Medium, das überhaupt über diesen Unterschied zwischen selbstgemeldeten Verdachtsfällen und nachgewiesenen Fällen anspricht, ist das ZDF Journal. Und das auch nicht ausführlich. Alle anderen Medien greifen ausschließlich den Patzer des Ministeriums auf, dass es Menschen mit Impfdosen verwechselt hat. Und ergehen sich in Zahlenspiele.

Alle Medien berichten ausschließlich darüber, was negativ im Sinne der Impfung ist. Nicht, was positiv und realistisch im Sinne der Impfung ist.

Vorzuwerfen ist, dass das Gesundheitsministerium dumm und naiv kommuniziert. Dass es Menschen solche Aussagen veröffentlichen lässt, die augenscheinlich weder selber prüfen, noch eine empirisch-wissenschaftliche Ausbildung haben. Und dass es zu glauben scheint, jeder auf Social Media hätte eine Ausbildung in Epidemiologie.
Wie Lauterbach: Es wird nicht verstanden, dass nicht verstanden wird.

Die Gefahr dabei ist, dass Menschen mit der Aufmerksamkeitsspanne eines jungen Frettchens auf Koffeinschokolade – was dem heutigen Durchschnitt von Social Media Nutzern entspricht – solche Meldungen aufschnappen und dadurch der festen Überzeugung ist, die Impfung sei brandgefährlich.

Die Überschrift lasse ich jetzt trotzdem.
Die Leichtgläubigen und Hafensänger dieser Republik sind mit solchen Erklärungen eh nicht mehr abholbar.

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