Die freundliche Kindesentführerin aus Russland

Der schleichende Genozid

Meldungen über deportierte und zwangsadoptierte Kinder gibt es schon seit vergangenem Jahr. Die Hinweise verdichten sich, dass dies systematisch und auf Putins direkte Anweisungen erfolgt. Und offenbar laufen Vorbereitungen, das System zu effektivieren und auszuweiten.

Lvova-Belova wurde 1984 in der Sowjetunion geboren. 2002 hat Sie ein Musikstudium als Dirigentin abgeschlossen. Danach hat sie einige Jahre als Gitarrenlehrerin für Kinder gearbeitet. Sie hat die kleine Organisation „Blagovest“ mitbegründet, die sich für „soziale Adoption“ einsetzt.

Ab 2011 wurde sie in verschiedene „Gesellschaftliche Kammern“ gewählt. Sie gehörte der Gesamtrussischen Volksfront an, auch Allrussische Nationale Front genannt. Einer Art nationalistische und etatistische „Überpartei“, der auch die regierende Partei Einiges Russland angehört.

Der ist sie 2019 beigetreten. Ihr Mitgliedsausweis wurde ihr durch den damaligen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzende Dmitri Medwedew am 23. November überreicht. Einen Tag später wurde sie ins Präsidium berufen. Später auch in den Föderationsrat.

Sie ist mit Pavel Kogelman verheiratet, einem ehemaligen Programmierer, der jetzt orthodoxer Priester ist. Die beiden haben gemeinsam fünf leibliche und 18 adoptierte Kinder.

Kommissarin für Kinderrechte

Am 27. Oktober 2021, fast genau vier Monate vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, wurde sie von Putin zur „Kommissarin für Kinderrechte des Präsidenten der Russischen Föderation“ ernannt.
Man geht davon aus, dass sie auf direkte Anweisungen von Putin arbeitet.

Am 06. Februar traf sie sich mit hochrangigen Vertretern der Besetzen Gebiete der Ukraine. Darunter Sergei Aksjonow, der seit 2014 Ministerpräsident der „Autonomen Republik Krim“ ist.
Der Chef der selbsternannten Volksrepublik Luhansk Leonid Passetschnik schrieb auf Telegram, Lvova-Belova arbeite darauf hin, dass Kinder in der Datenbank der Region „Familien in anderen Regionen der russischen Föderation finden können.“ Dazu arbeite man u.a. mit dem Oblast Nowosibirsk (Sibirien) zur „methodischen Hilfe“ zusammen.
Anschließend traf sie, neben anderen, auch den Interimspräsidenten der selbsternannten Volksrepublik Donezk Denis Puschilin, um Programme zur „Sozialisierung Heranwachsender“ zu besprechen.

Das kommt nicht unerwartet. Am 03. Januar hatte Putin eine Liste von Anweisungen für die besetzten Gebiete unterzeichnet, um „zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, Minderjährige ohne elterliche Führsorge zu identifizieren“. Sie sollen durch eine „staatliche soziale Hilfe“ unterstützt werden.

Das Institute For The Study Of War geht davon aus, dass die Einrichtung von „Rehabilitationszentren“ und die systematische Erfassung der Daten von Kindern es den russischen Vertretern in den besetzten Gebieten erleichtern soll, Kinder zu deportieren und zur Adoption in russische Familien freizugeben.

Bei einer der üblichen Unterredungen Putins im russischen Fernsehen fragte er Lvova-Belova, ob sie auch schon eines dieser Kinder adoptiert habe. Was sie freudig bestätigte.

Wie viele genau, weiß niemand

In der Ukraine lebten etwa 7,5 Millionen Kinder. Die UNICEF geht davon aus, dass zwei Drittel davon vertrieben wurden: 2,8 Millionen Binnenvertriebe und 2 Millionen flüchteten ins Ausland.
Und das sind nur die Zahlen sechs Wochen nach Beginn des russischen Überfalls.

Laut der ukrainischen Plattform Ukrinform wurden bis Mai vergangenen Jahres 238.000 Kinder aus der Ukraine nach Russland deportiert.

Der russische General und stellvertretende Verteidigungsminister Michail Misinzew, der u.a. für den Einsatz in Mariupol verantwortlich gewesen sein soll, sagte im Juni 2022 es seien insgesamt 1.936.911 Ukrainerinnen und Ukrainer nach Russland deportiert worden, darunter 307.423 Kinder.

Der AI-Bericht. (Link im Text)

Ilze Brands Kehris, stellvertretende Generalsekretärin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, befürchtete bei einem Treffen des UN-Sicherheitsrates im September, dass Russland die Formalitäten für Adoptionen vereinfacht habe, um das Prozedere zu beschleunigen.
Die US-amerikanische Botschafterin Linda Thomas-Greenfield erklärte, dass die Zahlen je nach Quelle abwichen. Sie schätze die Zahl der deportierten Ukrainerinnen und Ukrainer jedoch auf zwischen 900.000 und 1,6 Millionen. Was unter den Zahlen des russischen Ministers liegt. Alleine im Juli seien 1.800 Kinder aus den besetzten Gebieten in der Ukraine verschleppt worden.

Bereits im May veröffentlichte Amnesty International einen Bericht über die systematische Verschleppung von Kindern. (Link… PDF, 690KB)

„Sie brachten meine Mutter in ein anderes Zelt. Sie sollte vernommen werden. Sie sagten mir, ich werde von meiner Mutter getrennt. Ich war schockiert. Sie sagten mir nicht wohin meine Mutter gebracht wurde. Eine Frau vom Novoazovsk Service (Kinderschutz) sagte, vielleicht lassen sie meine Mutter gehen. Ich durfte sie nicht sehen. Ich habe seitdem nichts mehr von ihr gehört.“

Junge, 11 Jahre, Donezk, durch Amnesty International dokumentiert

Das Raoul Wallenberg Centre for Human Rights in Montreal, Kanada, kam bereits vor acht Monaten in einem Bericht zu dem Ergebnis, dass Russland systematisch gegen die Genfer Konventionen verstößt. Die Deportationen und Adoptionen entsprechen der Definition des Genozids.

Hilfsorganisationen wie UNICEF haben keinen Zugang zu den besetzten Gebieten.

Edit: Das Magazin Frontal des ZDF berichtete am 21.02.2023 davon, dass ukrainische Kinder in das SOS-Kinderdorf Tomilino gebracht worden sein sollen. Die Organisation erklärte, den Fall zu prüfen. Denn man wisse nicht, woher die Kinder kommen und wie sie die russische Staatsbürgerschaft erlangt haben.

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