Der Kaliningrad-Eisenbahn-Streit

Wie immer: Viel komplexer

Gestern Abend bekam ich per PN an die FB Fanpage die Frage:

„Hältst du es für möglich, dass die Umsetzung der EU-Sanktionen gegen Kaliningrad zum jetzigen Zeitpunkt eine Art »Falle« sind, um Putin zu nötigen, militärisch auf NATO-Gebiet zu operieren?“

Ganz im Osten Deutschlands lag Königsberg. Das wurde von der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg eingesackt. Königsberg wurde in Kaliningrad umbenannt. Zu dem Zeitpunkt gehörten die drei baltischen Staaten zur Sowjetunion.

Diese drei Staaten standen schon immer mit Russland auf Kriegsfuß. Und am meisten Litauen.
Das waren auch die ersten, die ihre Unabhängigkeit erklärten. Und damit den Anstoß für alle anderen Sowjetrepubliken gaben, von Moskau abzufallen.
Das Verhältnis zwischen Litauen und konservativen russischen Politikern dürfte also eh angespannt sein.

Dadurch entstand die Situation, das Kaliningrad als abgeschnittene Enklave übrigblieb. Die baltischen Staaten gehören inzwischen zur NATO. Und zur Europäischen Union.
(Soweit übrigens zum Argument der Sicherheit, weil die Ukraine der NATO beitreten könnte. Russland hat längst zwei Grenzen mit NATO-Staaten.)

Die EU hat Sanktionen gegen Russland beschlossen. Wie die umgesetzt werden, entscheidet jedes Land für sich. Da wird viel miteinander geredet und verhandelt.

Der russische Abgeordnete Jewgeni Fjodorow ist bekennender „postsowjetischer“ Ultra-Nationalist. Er gilt als rechtsextremer Hardliner. Und der hat Anfang des Monats einen Gesetzentwurf eingebracht, um Litauen die Souveränität abzuerkennen.
Das bedeutet nichts anderes, als das Russland Litauen nicht mehr anerkennen würde. Alle staatlichen Verträge nach 1991 wären damit null und nichtig. Verhandlungen könnte es kaum geben, denn Russland erkennt Litauen ja nicht mehr an.

Der Ultra-Nationalist Jewgeni Fjodorow
Foto: duma.gov.ru (CC BY 4.0)

Ob es einen direkten Zusammenhang gibt, ist schwer zu sagen. Aber es beschreibt das Verhältnis von Litauen zu Russland.

Es gibt zwischen Kaliningrad und Russland einen Eisenbahnkorridor. Auf diesem Korridor wurden monatlich mit etwa 100 Zügen Personen und Waren zwischen Kaliningrad über Litauen, dem mit Russland verbündeten Regime in Belarus und Russland hin und her gefahren.
Das tun sie auch immer noch. Nur dass die Waren, die auf der Sanktionsliste stehen, nun von Litauen nicht mehr freigegeben werden.
Laut Litauen ist das derzeit nur Metall. Auf der Sanktionsliste stehen aber auch Baustoffe wie Zement und ähnliches. Da sind die Informationen unklar.
Klar ist aber, dass die Züge nach wie vor fahren. Und Reisende sie ganz normal nutzen können. Russland bezeichnet das trotzdem als „Blockade“.

Auf der Karte ist leicht zu sehen, dass es sicher nicht um Existenzielles geht. Zur Not könnte man nämlich einfach die baltischen Staaten umschiffen. Die wütenden Proteste aus Russland lassen erahnen, dass es wohl eher um anderes geht. Nämlich um Stolz.
Russland spricht auch der Ukraine die Existenzberechtigung ab und nun wird ein Gesetz eingebracht, einen „Zwergenstaat“, der vorher quasi zu Russland gehörte, nicht anzuerkennen. Und dieser Zwerg geht nun hin und zeigt dem Kreml den Stinkefinger. Von den Ukrainern mal ganz zu schweigen.

Alles andere halte ich persönlich für das typische Gepolter. Von einem vergangenen Zarenreich, das nicht darauf klarkommt, keine Weltmacht mehr zu sein.
Es ist geradezu lächerlich, was russische Politiker derzeit von sich geben. Die Beziehungen zu Europa dürften sich nicht weiter verschlechtern ist schon mal eine Ansage, wenn wir mitten in einem erklärten Wirtschaftskrieg stecken. Doch solche Aussagen bewerte ich eher vor dem Hintergrund, dass diese Politiker ja auch zum eigenen Volk sprechen. Und das hat von einem Wirtschaftskrieg vielleicht noch gar nicht so wirklich etwas mitbekommen. Die wissen ja auch nicht, dass quasi die ganze UN gegen Russland steht.

Wenn Russland nun eine „praktische Vergeltung“ androht, kann das ganz vieles sein. Vom Stopp des Transitverkehrs bis zum Abstellen des Stroms. Denn Litauen bezieht große Teile seines Stroms aus Russland.

Auch hier gehe ich nicht davon aus, dass Russland militärisch aktiv wird. Denn sie wissen, was dann passiert.

Bei dem Gedankengang, die NATO könnte eine Falle stellen, werden also ganz viele Faktoren ausgeblendet. Beispielsweise das Verhältnis von Litauen zu Russland, das seit Jahrzehnten nicht das beste ist. Die russische Sicht auf die Welt wird vernachlässigt. Und es wird wieder EU und NATO durcheinandergeworfen.
Zudem muss man sich schon fragen, welches Interesse die NATO jetzt noch an einem Atomkrieg haben soll.

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