Der gerechte Frieden der Sahra Wagenknecht

Endlich hat es mal jemand ausgesprochen

Für einen wissenschaftlich orientierten Menschen sind Allgemeinplätze politischer Forderungen unbefriedigend. Es fehlt das Konkrete, die These, das Diskutierbare, das Falsifizierbare. Diejenigen, die Verhandlungen und einen Stopp der Waffenlieferungen fordern, sollten konkretisieren, was sie bereit sind, in Verhandlungen zuzugestehen. An dem Punkt wird meist laut geschwiegen.

Genau das hat Sahra Wagenknecht in der vergangenen Woche getan. Leider bin ich erst heute darauf aufmerksam geworden.

Wagenknecht hat auf ihrer Facebook Fanpage eine Erklärung verlinkt. Unter dem Titel „Keine Angst vor Friedensverhandlungen“ wurde diese Erklärung auf der Plattform „Karenina“ veröffentlicht.
Unterzeichnet wurde sie von mehreren Personen, von Politikern bis Professoren. Die Wagenknecht auch zum Teil vollmundig vorstellt.

Die Unterzeichnenden

Nicht erwähnt hat sie dabei so illustre Personen wie eine außerordentliche Professorin für Religionswissenschaften, einem „Vizepräsident für Weltreligionen und Spiritualität“ und die „Professorin für Moralphilosophie“.

Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass das Papier durch die „Teilnehmer der Studiengruppe Wissenschaft und Ethik des Glücks“ Anfang Juni im Vatikan verfasst wurde. Was es erklärlich macht, dass auch Papst Franziskus, „seine Allheiligkeit, der ökumenisch Patriarch Bartholomäus“ und sogar Jesus persönlich zitiert werden.
Was es mir als Atheisten unmöglich macht, ein Schmunzeln zu unterdrücken.

Unterzeichnet haben vor allem italienische und amerikanische Vertreter. Dass kein deutscher unterzeichnet hat ist anzumerken, dass kein ukrainischer unterzeichnet hat wenig überraschend.

Der Petersburger Dialog

Es sollte auch kurz betrachtet werden, auf welcher Plattform das veröffentlicht wurde.
Karenina ist eine Seite des Petersburger Dialogs. Der wurde von 2001 von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Wladimir Putin ins Leben gerufen.

Das Posting vom 22.06.22

Ziel soll die „Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands“ sein.
Der inzwischen verstorbene Andreas Schockenhof, damaliger Fraktionsvorsitzender der CDU, sagte bereits 2014, dass keine regierungskritischen Gesprächspartner mehr zu Wort kommen würden. Im gleichen Jahr sagten NGOs ihre Teilnahme an Gesprächen ab. In dem Jahr, als Russland die Krim annektierte und begann, die Separatisten im Donbass zu unterstützen.
Die starke Einflussnahme des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft sollte entgegengewirkt werden.

Im November wurden in der russischen Duma Gesetzesentwürfe eingebracht, wonach Angehörige von NGOs von den Behörden als „ausländische Agenten“ eingestuft werden können.
2021 wurden die Organisationen „Deutsch-Russischer Austausch“ und „Zentrum Liberale Moderne“, beides Mitglieder des Petersburger Dialogs, von der russischen Generalstaatsanwaltschaft als „unerwünschte Organisationen“ eingestuft. Was nichts anderes bedeutet, als dass Vertreter damit rechnen müssen verhaftet zu werden, wenn sie sich kritisch äußern oder auch nur nach Sankt Petersburg reisen.
Seitdem sind alle Veranstaltungen und Arbeitsgruppen-Sitzungen ausgesetzt.

Das bedeutet also, dass Wagenknecht hier eine Erklärung auf einem Forum postet, dass von der russischen Regierung unter Strafandrohung in die Linientreue gezwungen wird.
Muss man auch erstmal bringen.

Die Verhandlungsgrundlagen

Die vorgeschlagenen Verhandlungsgrundlagen wiederholt Wagenknecht in ihrem Facebook Beitrag verkürzt:

„Die Neutralität der Ukraine; keine weitere NATO-Osterweiterung; keine schwere Bewaffnung der Ukraine; Beschränkungen für Militärmanöver und Militärbasen; eine russische De-facto-Kontrolle der Krim bei garantiertem Zugang sowohl der Ukraine als auch Russlands zu den Schwarzmeerhäfen beider Länder; die Autonomie der Regionen Lugansk und Donezk; die schrittweise Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland verknüpft mit dem Rückzug des russischen Militärs und nicht zuletzt die Sicherung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Ukraine“

https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht, 22.06.2022
  • Das bedeutet, dass die Ukraine sich mit niemandem verbünden darf. Ausformuliert ist das „Verzicht auf den staatlichen Ehrgeiz, der Nato beizutreten“.
  • Das bedeutet auch „militärische Transparenz und Beschränkungen der Stationierung von Militär und groß angelegter Übungen in Grenzgebieten“.
  • „Russische De-facto-Kontrolle der Krim für einen Zeitraum von Jahren“, anschließend könne man verhandeln.
  • Autonomie der Regionen Lugansk und Donezk.
  • „Garantierter wirtschaftlicher Zugang sowohl der Ukraine als auch Russlands zu den Schwarzmeerhäfen beider Länder.“
  • „Die schrittweise Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland verknüpft mit dem Rückzug des russischen Militärs“.
  • „Einen multilateralen Fonds für Wiederaufbau und Entwicklung der vom Krieg gezeichneten Regionen der Ukraine – an dem auch Russland beteiligt ist“.

Ein tiefer Blick

Unterm Strich bedeutet das also, die Ukraine soll den Donbass abtreten. Es bedeutet, dass sie sich mit der Annektion der Krim zufriedengeben soll. Und es bedeutet, dass der souveräne Staat Ukraine sich nicht mehr verbünden oder bewaffnen darf, wie er es für richtig hält.
Und alle sollen dafür bezahlen.

Das bedeutet nichts anderes, als dass Wagenknecht und die Unterzeichner bereit sind, die Hauptforderungen Russlands zu erfüllen. Entgegen des Völkerrechts und der UN. Entgegen der UN-Resolution, in der 140 Staaten für einen sofortigen Rückzug Russlands aus der Ukraine gestimmt haben.
Um einen Frieden zu erkaufen, dessen Preis nicht mit der Ukraine abgestimmt ist. Die Bundesregierung solle „zur Vernunft kommen“, die Ukraine wird nicht gefragt.

Was würden diese Leute wohl sagen, wenn die USA morgen Kuba überfällt? Würden sie auch dafür plädieren, dass der USA aus „Sicherheitsinteressen“ ein Teil Kubas zugestanden wird, damit wieder Frieden einkehrt? Ohne Kuba zu fragen?
Wie wäre es, wenn Japan Russland angreift und die Kurilen annektiert? Was wäre, wenn Finnland nach Sankt Petersburg marschiert? Oder China nach Wladiwostok, um Zugang zum Japanischen Meer zu haben? Und was machen wir, wenn Österreich morgen Bayern fordert?

Selbstverständlich ist Frieden ein hohes Gut. Aber ohne Souveränität kann es keinen Frieden geben.
Ohne Souveränität kann jedes Land Territorium jedes anderen Landes fordern. Und mit der gleichen Berechtigung fordern, es zu behalten.

Das Bestehen auf das Völkerrecht, auf die Resolutionen der Vereinten Nationen und die Souveränität von Staaten wird zur Kriegstreiberei umgedeutet.
Nichts anderes bedeutet der gerechte Frieden der Sahra Wagenknecht.

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