China und Indien stimmen gegen Russland

Putins diplomatische Front bröckelt

In den vergangenen Wochen hat sich abgezeichnet, was China-Experten prognostiziert hatten: China geht mit zunehmendem Misserfolg immer weiter auf Distanz zu Russland.

Das ist recht einfach zu erklären, wird jedoch in der europäischen Öffentlichkeit wenig bedacht.
China ist ein Riese, in dem etwa zehn Mal so viele Menschen leben wie in Russland. Da China jenseits des Kommunismus eine lange Tradition von Kriegen und Konflikten mit Russland hat, kann man es kaum eine echte Freundschaft nennen.

Die kommunistische Partei Chinas ist viel stärker von der allgemeinen Akzeptanz ihrer Bevölkerung abhängig, als die russischen oder ostdeutschen Kommunisten es jemals waren.
Diese Akzeptanz beruht auf dem Versprechen des Wohlstands für alle. Deshalb gibt es in China auch keine Planwirtschaft, sondern es herrscht eher der Raubtierkapitalismus. Was eigentlich ein Widerspruch ist. So ist China durch die Hintertüre abhängig von den USA und Europa. Da dort die Absatzmärkte für die Produkte der allmählig langsamer boomenden chinesischen Wirtschaft sind.

China möchte Russland in einer Abhängigkeit sehen.
Zwar wurde in den Kommentarspalten häufig herangezogen, dass China fossile Brennstoffe von Russland gekauft hatte. Aber das geschah nur sehr begrenzt und zu Schleuderpreisen. Eine dauerhafte Partnerschaft scheint auch dadurch nicht zu entstehen. Da es nicht einmal eine entsprechende Versorgung über Pipelines von Russland nach China gibt.

China wägt also sehr genau ab. Abwartend, aus einer überlegenen Stellung heraus. Würde die Herrschaft Putins ins Wanken geraten, beispielsweise durch einen verlorenen Krieg in der Ukraine, wäre das schlecht für die Interessen Chinas. Andererseits will China es sich nicht mit „dem Westen“ verscherzen, allen voran den USA.

Aus dieser Situation heraus hat es sich bisher bei Entscheidungen in der UN enthalten. Es nennt den Überfall Russlands auf die Ukraine nach wie vor einen „Konflikt“ und vermeidet das Wort „Krieg“.

Der goldene Drache kommt in Bewegung

Ende April äußerte Lu Shaye, der chinesische Botschafter in Paris, die ehemaligen Sowjetrepubliken seien nicht souverän. Woraufhin ein diplomatischer Shitstorm über China hereinbrach. Lettland bestellte den Geschäftsführer der chinesischen Botschaft ein, die baltischen Staaten protestierten.
Die chinesische Regierung ruderte zurück: „China war eines der ersten Länder, die diplomatische Beziehungen zu den früheren Sowjetrepubliken aufgenommen haben. China respektiert den souveränen Status dieser Länder nach der Auflösung der Sowjetunion.“

Wiederum einige Tage später, am 05.04.23, sagte der erst im Dezember angetretene Botschafter Chinas Fu Cong der New York Post, die Nähe Chinas zu Russland sei jedoch nicht so eng und nicht unbegrenzt. Wie es anlässlich des Besuches von Xi bei Putin noch geheißen hatte. Das sei lediglich diplomatische Rhetorik.

Am 25.04. telefonierte der Staats- und Parteichef Xi Jinping dann endlich mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Der zeigte sich anschließend sehr positiv gestimmt.
China wolle einen Sonderbeauftragten in die Ukraine schicken. Und er könne sich China durchaus als Vermittler vorstellen.
Anschließend ernannte er Pawlo Rjabikin zum neuen Botschafter der Ukraine in China.

Die UN-Resolution

Vor einer Woche wurde nun eine Resolution der UN verabschiedet, mit dem reißerischen Titel „A/77/L.65“.
Darin geht es eigentlich um die Kooperation der UN-Mitglieder mit dem Europarat.
Sinngemäß bestätigt die UN darin, die Zusammenarbeit auszubauen und zu festigen.

Hinweis: Der Europarat ist nicht mit der Europäischen Union zu verwechseln. Die Union ist eine regierungsähnliche Organisation, die sich vor allem um wirtschaftliche Belange kümmert. Die Hauptaufgabe des Europarates sind die Völkerverständigung und die Menschenrechte.
Beide nutzen die gleiche Flagge und Hymne. Der Rat wurde bereits 1949 gegründet und hat 46 Mitglieder, die EU nur 27.

Ein Absatz darin hat es jedoch in sich:

„[die Unterzeichnenden erkennen an,] dass die unerwarteten Herausforderungen, der Europa sich gegenübersieht, die sich aus der Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine – und gegen Georgien zuvor – und die Beendigung der Mitgliedschaft der Russischen Föderation im Europarat, nach einer gestärkten Kooperation zwischen den Vereinten Nationen und dem Europarat verlangt, besonders um Frieden und Sicherheit wiederherzustellen und fortzuführen, basierend auf Souveränität, territorialer Integrität und politischer Unabhängigkeit jedes Staates, die Einhaltung der Menschenrechte und internationaler humanitärer Gesetze während der Feindseligkeiten, die Entschädigung der Opfer und alle jenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die für die Verstöße gegen internationale Gesetze verantwortlich sind.“

UN-Resolution A/77/L.65, verabschiedet 26.04.2023

Das bedeutet, die Unterzeichnenden erkennen an, dass Russland der Aggressor ist. Das alleine ist ein starkes Signal.
Darüber hinaus erkennen sie an, dass Russland das gleiche bereits zuvor in Georgien versucht hat. Und implizit wird damit die Souveränität der Ukraine und anderer ehemaliger Sowjetrepubliken nochmals bekräftigt.

122 Staaten haben der Resolution zugestimmt, nur fünf haben dagegen gestimmt: Russland, sein Verbündeter und de-facto Vasall Belarus, Nicaragua, Syrien und Nordkorea. Allesamt Diktaturen.

Die Resolution angenommen hat auch China.
Angenommen wurde die Resolution ebenfalls von Brasilien, das ein starker Handelspartner Russlands ist und in dem mehr Menschen als in Russland leben. Dort ist gerade erst der Rechtsextremist Bolsonaro abgewählt worden. Und Indien, das etwa so bevölkerungsreich wie China ist.

Das ist ein diplomatischer Paukenschlag. Und es ist verwunderlich, dass recht wenige Medien darüber berichteten. Zumindest nicht der Tragweite entsprechend, die sich abzeichnet.

Damit entfällt auch das verzerrende Argument einiger, die Mehrheit der Menschheit stünde auf Seiten Russlands oder sei zumindest neutral.
Russland wird diplomatisch immer weiter isoliert, Putins diplomatische Front bröckelt.

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