Wie man eine Streitkraft vor die Wand fährt

Jedes Rudeltier braucht Hierarchien

Meine Kompetenz, mich über den Ukraine-Krieg zu äußern, wurde inzwischen mehrfach in Frage gestellt. Völlig ok. Aufgefallen sind mir dabei einige Kritiken, weil ich zu meiner aktiven Zeit ja „nur“ Unteroffizier war. Ein Telefonat hat mir nun die Augen geöffnet. Muss ich einfach mal loswerden...

Der Unteroffizier führt die Truppe. Damit ist zu meinem Weltbild alles gesagt.
Es gibt eine dienstliche Atorität, eine fachliche und eine persönliche. Einen Unteroffizier erkennt man auch unter der Dusche.
Offiziere sind die vormaligen Adeligen, die Strategen. Sie haben dienstliche Autorität. Wirklich geführt werden die Soldaten „am Mann“ aber vom Unteroffizier.

Daher kommt der Begriff des „Spieß“. Der Kompaniefeldwebel war der, der sich um seine Jungs kümmert. Ein altgedienter Unteroffizier. Und der durfte dann den längeren Offiziersdegen tragen. Der als „Spieß“ bezeichnet wurde.
Offiziere, die als Zugführer eingesetzt werden, sind üblicherweise nur „in Stehzeit“ in der Funktion. Um Menschenführung zu lernen. Danach werden sie weiter ausgebildet, gehen weiter auf eine der Bundeswehr-Universitäten oder werden wegbefördert.

Viele Experten schätzen, dass der Mangel an Unteroffizieren in den russischen Streitkräften zu starken Problemen führt. Beispielsweise, dass immer wieder hochrangige Generäle an der Front bei einem Angriff sterben. So etwas würde bei uns kaum vorkommen.
Zum anderen, dass der Wegfall der Unteroffiziere dazu führt, dass jüngere Wehrpflichtige durch Längerdienende schikaniert und zum Teil gefoltert werden. Das Prinzip nennt man „Dedowschtschina“, die Herrschaft der Großväter.

Und letztendlich führt es dazu, dass Soldaten in einen Aufzug steigen, die Hausverwaltung einfach den Strom abstellt und ein Trupp stecken bleibt. Wie im März in Charkiv passiert. (Bild)
Wenn Feuerwehrleute wissen, dass man bei einem Brand den Aufzug nicht benutzt, sollten Unteroffiziere das im Krieg erst recht wissen. Die waren aber offenbar nicht anwesend. Russische Wehrpflichtige werden ohne Unteroffiziere losgeschickt. Das ist die russische Definition von Kanonenfutter.

Ein „alter“ Unteroffizier

Vor einigen Tagen habe ich mal wieder mit einem alten Kameraden telefoniert. Der damals auch mein Fachausbilder war. Und mit dem ich damals schon wundervolle Laber-Abende in der Messe hatte. (Kudos und Hut ab, Bussi.)
Im Gegensatz zu mir ist er später Offizier geworden und hat zum Schluss auch für einen Geheimdienst gearbeitet. Was sich bei Soldaten aus dem Nachrichtendienst ein „natürlicher“ Werdegang ist. Nun ist er in Rente.

Ich lasse das, was ich schreibe, auch gerne von anderen prüfen. Ich stelle mich dem. Tatsächlich habe ich etwas dagegen den Eindruck zu vermitteln, mehr zu sein als ich bin. Einer meiner besten Kumpel war als Unteroffizier im Kosovo. Ich würde schon Feuer bekommen, wenn ich strunze. Ganz sicher.
Bis jetzt habe ich bestanden. (Ich werde besagtem Kumpel diesen Artikel schicken.)

Und so habe ich auch am Telefon erzählt, dass ich meinen eigentlichen Dienstgrad nicht erwähne und immer versuche meine Expertise, die ja auch nach der Militärzeit nicht abrupt gestoppt hat, unabhängig von Standesdünkel darzulegen. Weil Standesdünkel eh mein größter Feind ist. Hatte zwei Diszis deswegen.

„Ja“ sagte mein Kumpel, „Du warst ja aber auch noch ein »alter« Unteroffizier.“ …Moment, was?

Alte und neue Unteroffiziere

Zu meiner Zeit – also die ganzen 1990er über – war es üblich, dass Unteroffiziere im Sanitäts-Bereich mit dem Dienstgrad Unteroffizier/Maat eingestellt werden konnten. Wenn sie vorher eine abgeschlossene Berufsausbildung in dem Bereich hatten. Also Arzthelferinnen und ähnliches.
Zum Ende meiner Dienstzeit wurde das auf den Bereich der Instandsetzung ausgeweitet. Also für Automechaniker und sowas. Ausdrücklich keine Kampfeinheiten.

Das hat die Bundeswehr augenscheinlich gemacht, um Rekruten zu bekommen. Als Lockangebot. Denn ein höherer Dienstgrad bekommt logischerweise auch mehr Geld. (Wobei es nicht so viel war, denn die Dienstzeit ist wie bei Beamten und Polizisten auch ein Faktor.)

Das wurde inzwischen offenbar deutlich ausgeweitet. Und zwar so weit, dass mein eher unautoritärer Kumpel inzwischen zwischen „alten“ und „neuen“ Unteroffizieren unterscheidet.

Es geht um Kompetenzen

Denn inzwischen können Rekruten nicht nur mit dem Dienstgrad Feldwebel/Bootsmann einsteigen. Nach einer offenbar sehr laxen Ausbildung werden sie auch dem Dienstgrad entsprechend eingesetzt.

Ich will nicht in dieses übliche „Damals war alles viel früher“-Gesabbel einstimmen. Darum geht es nicht. Das gab es schon immer. Wir hatten doch nix nach dem Kriech.
„Das ist doch kein Drill! Wir mussten damals noch…“
„Ja, is ja juut, Bismarck-Bernhard, hier hast du eine Leckmuschel.“

Um das für Laien verständlich zu machen:
Es geht nicht um Stillgestanden und Rumschreien. Es geht darum, dass diese Leute nach wenigen Monaten Ausbildung Unteroffizieren vorgesetzt werden, die den Job von der Pike auf gelernt haben. (Redewendung durch die Söldner des 30-Jährigen Krieges, die meist mit Piken bewaffnet wurden.)

Genau das geht ja regelmäßig bei Offizieren schief. Die in ihrer Stehzeit dann mal an einen eigentlich dienstgradniederen Stabsfeldwebel geraten, der 15 Jahre älter ist und genauso viel mehr Erfahrung hat. Die stoßen sich da die Hörner ab. Das ist gewollt, das ist gut so.

Aber wenn genau das jetzt bei Unteroffizieren gemacht wird, wird das auf ein Debakel hinauslaufen. Wir werden im Aufzug steckenbleiben.

Das lernt man nicht auf Lehrgang

Menschenführung und Erfahrung sind so genannte Soft Skills. Die nur mühsam und vor allem durch Erfahrung erlernt werden können.
Waffensysteme werden immer komplizierter, es wird immer mehr rein technisches Know-How gefordert. Aber die Politik und die Führung haben offenbar nicht verstanden, dass es leichter ist ein neues Waffensystem zu erlernen, als einen Zug Soldaten zu führen.

Der Unteroffizier muss als erster bereit sein zu gehen, um einen Weg für seine Leute durch das Minenfeld zu suchen. Doch das soll und darf er ja nicht. Was viel schwerer wiegt ist, dass er anderen befehlen muss, als erste durch das Minenfeld zu gehen. Und dazu muss er am besten schon einmal selber gegangen sein.
Das erlernt man nur durch soziale Kompetenz, Vertrauen und vor allem Erfahrung.

Völlig falsche Entwicklung

Diese Entwicklung hat mich doch sehr schockiert.
Das ist meines Erachtens auch das Ergebnis von irgendwelchen verkopften Politikern und ungedienten Beratern, die zu solchen Regulierungen kommen. Und die Tragweite nicht verstehen.
Und dann kann ich auch verstehen, wenn Menschen 20 Jahre nach meiner Dienstzeit nun meine Expertise anzweifeln. (Was ich gemacht habe, kann jeder nachlesen.)

Nur mal aus dem Lameng, was für Mannschafter und Unteroffiziere ich während meiner aktiven Dienstzeit kennengelernt habe:
Mein erwähnter Kumpel, Fachoffizier und „Geheimdienst“; zwei Helikopter-Piloten, drei Unteroffiziere und Mannschafter, die anschließend studiert haben; ein Unteroffizier, der Offizier der Reserve wurde und ein Ausbilder, der Fachoffizier bei den Waffentauchern geworden ist. Übrigens keiner irgendwie „streng rechts“.
Mein silbernes Tätigkeitsabzeichen hatte ich schon nach sechs Jahren.

Ich stelle mir gerade vor, wie mir als „Decksältesten“ einer dieser „neuen“ Bootsleute versucht hätte, einen Befehl zu geben.
Das wäre wohl mein nächstes Disziplinarverfahren gewesen.

Postskriptum: Als die wehrpflichtigen Fahrer nach dem Lehrgang zurück in unsere Grundausbildung kamen, wurde antreten. Der Unteroffizier wies Leopard II zu, die zum Waschen gefahren werden sollten. Die Rekruten (nicht einmal Gefreite) waren perplex. „Wir sollen damit jetzt zum Waschen fahren? Alleine? Das Ding kostet sechs Millionen.“ Antwort Unteroffizier: „Sie haben doch jetzt Führerschein. Ausführung.“ Im Zivilen sollen die gleichen Menschen dann einen Kursus für den neuen Kopierer im Büro besuchen. Das kann psychologisch schon nicht klappen.

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