Wie Populismus funktioniert: Klima, China und Nuhr

Wenn aus Satire Manipulation wird

Wieviel ein Staat produziert, ist der Umwelt egal

Zunächst einmal ist es der Umwelt völlig gleichgültig, welcher Staat wie viel Kohlenstoffdioxyd (CO₂) freisetzt. Staaten sind menschliche Konstrukte, die uns bei der Erfassung und Einordnung der Daten helfen.
Es wäre also sinnvoller zu schauen, wie viel CO₂ pro Kopf in den Staaten freigesetzt werden. Klar soweit?

Und jetzt halten Sie sich fest: Der dahergelaufene Chinese setzt weniger CO₂ frei als der gemeine Deutsche, der Nuhr im Ersten guckt.

Das hätte Dieter Nuhr leicht herausfinden können, als er die Grafik herausgesucht hat. Denn auf der gleichen Homepage findet sich eine Grafik des Ausstoßes pro Kopf.
Doch hätte er die verwendet, hätte sie seinen Gag ad absurdum geführt.

Man kann in den Grafiken auch die Rohdaten abfragen. Und die zeigen, dass vor allem in den Ländern am meisten CO₂ rausgehauen wird, die gerne Klimaanlagen betreiben: Australien, Kuwait, Bahrain, Arabische Emirate. Der absolute Spitzenreiter ist Qatar, wo gerade die Fußballweltmeisterschaft gekauft wurde.

Ein Katarer hat mehr als vier Mal so viel CO₂ raus wie ein Deutscher. Nur dass wir dazu ja auch noch ein ausgemachter Industriestandort sind, was in diese Berechnung mit einfließt.
Die USA kommen auf Platz 12, Russland auf Platz 20, Deutschland kommt auf Platz 36, China auf Platz 39.

Dass China so viel mehr CO₂ produziert liegt schlicht daran, dass in China 1,4 Milliarden Menschen leben. Mehr als in Europa und Nordamerika zusammen, fast 17-mal so viele wie in Deutschland.
Wenn wir es schon auf dem nuhrschen Niveau vergleichen wollten, müssten wir es mal 17 nehmen.

Die Manipulation von Grafiken und Zuschauern

Der Gag und damit die Verzerrung konnte nur landen, wenn man es möglichst überspritzt präsentiert. Das ist der Sinn von Satire, das ist in Ordnung.
Aber da ist einiges irgendwie so gar nicht in Ordnung.

Völlig abgesehen davon, dass die Einwohnerzahl von China nach dem zweiten Weltkrieg explodiert ist. Und erst danach eine Industrialisierung eingesetzt hat.
Trotzdem sieht der laut Nuhr fast senkrecht nach oben gehende Graph schon krass aus. Das ist psychologisch bedingt. Denn die Grafik soll ja den Anstieg zeigen. Es fällt kaum auf, dass China nur etwas mehr als doppelt so viel CO₂ wie die USA produziert. Obwohl in den USA nicht einmal ein Viertel so viele Menschen leben.

Die Grafik, wie Nuhr sie präsentiert hat:

Um etwas auf so einer Grafik dramatischer aussehen lassen, gibt es einen sehr einfachen Trick. Man verändert die Zeitleiste. Ist beim Thema Klima gerade schwer in Mode.
Es ist offensichtlich, dass die Ausschüttung von CO₂ mit der Industrialisierung eingesetzt hat. Und die hat in Deutschland und den USA bummelig 100 Jahre früher als in China eingesetzt. Die Daten auf Nuhrs Grafik beginnen tatsächlich mit dem Jahr 1792.

Das hätte Dieter Nuhr bei seinem Raussuchen ebenfalls leicht berücksichtigen können. Nicht nur auf der gleichen Internetseite. Sondern sogar in der gleichen Grafik. Da kann man nämlich die Länder zu- oder abschalten (was er getan hat) und die Timeline verkürzen.

Bedenkt man also, dass in China viel mehr Menschen leben und betrachtet die Jahre sei 2000, sieht das alle viel logischer aus. Und viel weniger dramatisch. Und viel weniger populistisch.
Die gleiche Grafik, nur mit anderen Einstellungen:

Schlimmer als nur Narrativ: Bewusste Manipulation

Nur um es pro forma und in Anbetracht des aufgeregten Zeitgeistes klar zu stellen: Ich halte nichts von Menschen, die sich auf der Straße festkleben. Oder in Museen Bilder beschmieren. Aus einem sehr einfachen, völlig unaufgeregten Grund: Weil der Protest völlig beliebig ist.

Würden sie sich bei BASF festkleben oder die Firmenzentrale eines Energiekonzerns mit Tomatensuppe beschmieren, wäre da noch ein Bezug da. Börse, CDU-Zentrale, es gäbe da schon ein paar Orte. Aber irgendwelche Leute auf dem Weg zur Arbeit aufzuhalten ist so Mittelstrahl.

Dann sei mir aber auch gestattet zu bemerken, dass ich die Aufregung darum nicht im Mindesten nachvollziehen kann. Wer durch eine solche Verkehrsblockade derart in Aggression und Stress versetzt wird, sollte doch vielleicht mal darüber nachdenken, ob er den richtigen Job hat oder das richtige Lebensmodell verfolgt.
Sorry, kein Verständnis für beide Seiten.

Noch weniger Verständnis habe ich allerdings für Satiriker, die billigen Applaus mitnehmen. Und Respekt habe ich auch nicht, wenn sie nicht dahin gehen, wo es weh tut. Auch ihrem Publikum, wenn das nun einmal zu kritisieren ist.

Dieter Nuhr hat allerdings mindestens in diesem Fall eine Schippe draufgelegt. Ich glaube auch in anderen Fällen, aber in diesem Fall ist es sehr leicht empirisch und faktisch nachzuvollziehen.
Er hat nicht nur etwas satirisch überspitzt. Er hat einen falschen Eindruck erweckt. Er hat das gebracht, was sein Publikum mit confirmation bias hören wollte, auch wenn es falsch ist.
Und als Amarena-Kirsche auf dem populistischen Eisbecher hat er die Grafik so eingestellt, dass sein falsches Narrativ bestätigt wird. Und das ist bewusste Manipulation.
Und wenn er jetzt von Rechtspopulisten auf Social Media instrumentalisiert wird, dann ist er das meiner Meinung nach sehenden Auges eingegangen.

Ich werde das Gefühl nicht los, diese Satiriker und Kabarettisten sind nicht mehr diejenigen, die Gesellschaftskritik üben. Sondern diejenigen, die ihre Gesellschaft verteidigen. Vermutlich interessiert es mich auch deshalb nicht mehr, was die zu sagen haben.

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