Russlands Übernahme von Belarus

Russisches Strategiepapier geleakt

Der Zerfall der russischen Seele

In der Sowjetunion spielten diese Ideen keine große Rolle mehr. Denn Sowjetrussland war mit seinen Satellitenstaaten ja weit größer.
Persönlich glaube ich, nicht einmal der Zerfall der Sowjetunion war ein großer Schlag für die russische Seele. Sondern dass viele der Sowjetstaaten sehr schnell von Russland wegwollten. Die Sphäre des russischen Imperiums zerfiel mit der Selbstständigkeit der vorherigen Sowjetrepubliken wie eine Lichterkette, bei der nacheinander die Lichter durchknallen.

Und mit als erstes die Ukraine 1991. Das muss für auf viele Russen so gewirkt haben wie auf uns, wenn Nordrhein-Westfalen oder Berlin/Brandenburg sich abspalten wollten. Epizentren der germanischen und deutschen Geschichte.

Diese Entwicklung fiel auch genau in meine Dienstzeit und ich habe zumindest den Zerfall der russischen Streitkräfte recht gut miterlebt. Verwaiste und verwahrloste Trabantenstädte des Militärs (Karosta, Liepāja), Schiffe die im Hafen versanken, Geschwader-Führer und Piloten die Schweine hüten mussten, weil sie keinen Sold erhielten.

In diese erneute Suche nach einer russischen Identität kam dann Putin. Quasi als Quereinsteiger. Groß geworden im KGB und in mafiösen und kleptokratischen Strukturen als Vizebürgermeister von St. Petersburg. Bis heute parteilos.

Was im Westen aber gerne vergessen wird, ist das Parlament.
Erste Bewegung zurück zu einem Nationalismus gab es bereits Ende der 1990er. Daraus ging dann 2001 die Partei Jedinaja Rossija (Единая Россия) hervor. Was häufig mit „Einiges Russland“ übersetz wird. Aber eigentlich „Vereinigtes Russland“ heißt. Und mit dem Kontext kann man dann verstehen, wohin die Reise gehen würde.

Seit 20 Jahren stramm rechts

Die Jedinaja Rossija ist strikt nationalistisch und vertritt den Etatismus. Was bedeutet, dass der Staat quasi für alles verantwortlich ist und alles regelt. Alles wird zentralisiert, die Rechte des Individuums werden den Interessen des Staates untergeordnet, die Wirtschaft wird mehr Richtung Panwirtschaft gesteuert, Konzerne werden verstaatlicht und so weiter. Genau was wir in Russland wiederfinden.
Auch der Marxismus und der Nationalsozialismus werden dieser Ideologie zugerechnet.

Nur zwei Jahre nach ihrer Gründung wurde die Jedinaja Rossija die stärkste Kraft in der Duma, dem russischen Parlament. Und nachdem viele Kleinparteien und Abgeordnete sich ihr angeschlossen haben, hatte sie eine Zweidrittelmehrheit. Und hält sie seitdem.

Richtig gelesen. Russland wird seit zwanzig Jahren von einer Partei regiert, die im Spektrum rechts von der AfD steht. Und genau das ist der Grund, warum die Nationalisten und Rechtsextremisten Europas nach Moskau gepilgert sind.
Deutsche Unternehmen und die deutsche Politik haben davor nicht nur die Augen verschlossen. Sie haben sie ganz fest zugekniffen und dafür die Taschen geöffnet.

Das Strategiepapier

Nun wurde ein russisches Strategiepapier geleakt. Die ersten Meldungen dazu kamen in der vergangenen Nacht.
Persönlich gehe ich davon aus, es wurde bewusst erst unmittelbar vor der heutigen Rede zur Lage der Nation von Putin veröffentlicht.
Es gab, ähnlich wie bei den Panama Papers, eine Recherchekooperation.

Das Netzwerk
WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung (Deutschland), Kyiv Independent (Ukraine), Delfi (Estland), Expressen (Schweden), Frontstory (Polen), Belarusian Investigative Center (Belarus), OCCRP („Dossier Center“, Russland), VSQuare (Tschechische Republik), Yahoo News (USA)

Das Papier stammt vermutlich aus dem Sommer 2021. Es wurde also verfasst, als die Pläne für den Angriff auf die Ukraine angelaufen sein müssen.
Darin wird auf 17 Seiten zusammengefasst, wie Russland Belarus annektieren will. Sehr konkret, die Übernahme soll bis 2030 abgeschlossen sein.

Es stammt aus der Direktion „Grenzübergreifende Zusammenarbeit“ der Präsidialverwaltung, die vor fünf Jahren gegründet wurde. Ihre Arbeit besteht darin Strategien zu erarbeiten, wie Russland seinen Einfluss auf Nachbarstaaten ausweiten kann.

Die Pläne sehen auch militärische Mittel vor. Das belarussische Kernkraftwerk soll in das russische Netz integriert werden, prorussische Eliten sollen installiert werden, und so weiter.
Als ein Mittel wird die Ausstellung russischer Staatsbürgerschaften und Ausweise genannt. So, wie es bereits in den besetzten Gebieten der Ukraine durchgeführt wird. Die Blaupause, das Playbook zur Übernahme.

Kontext ist alles

Das Problem ist nun, dass das eigentliche Papier noch nicht frei zugänglich veröffentlicht wurde. Da die Medienunternehmen natürlich erst einmal Umsatz generieren wollen. Beispielsweise hat die Süddeutsche dazu heute eine spezielle Seite veröffentlicht, die hinter einer Paywall verborgen ist.
Doch das kann sich nun schnell ändern.

Weshalb auch ich hier nicht sehr viel mehr dazu sagen kann und will.
Doch die Details sind meiner Meinung nach auch weniger wichtig. Offenbar haben auch westliche Nachrichtendienste das Strategiepapier geprüft und halten es für authentisch.

Wichtig ist den gesamten Kontext und den Hintergrund zu verstehen. Der Hintergrund der Dreieinigkeit russischer Völker, der politischen Entwicklung in Russland, dem Putinismus und russischen Nationalismus.

Denn es entlarvt die Narrative der russischen Propaganda.
Russland ging es nie um eine Befreiung von angeblich bedrohten Russen in der Ukraine. Russland ging es nie um eine angebliche Entnazifizierung. Und vor allem ging es nie um eine militärische Sicherheit, die durch eine NATO-Osterweiterung angeblich bedroht war.

Es geht Russland ausschließlich um die Erweiterung seiner Macht. Um eine russische Union, ein großrussisches Reich.

Wir haben nur 20 Jahre lang die Augen ganz feste zusammengekniffen und die Taschen aufgemacht.

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