Putin hat Scholz mit Atomkrieg gedroht. Oder?

Ein Ausflug in Manipulation und Medienkompetenz

Der Autor

Robin Alexander ist stellvertretender Chefredakteur der Welt und tingelt als dieser gerne durch Talkshows.
Dass Militär und Sicherheitspolitik nicht sein Kernthema sind, ergibt sich nicht nur daraus, dass er Zivildienst geleistet hat. Sondern auch, dass sein Augenmerk eher auf die deutsche Innenpolitik gerichtet ist. Er hat Angela Merkel lange begleitet und Bücher über diese Themen veröffentlicht.

Die Veröffentlichung

Die Veröffentlichung läuft unter der Rubrik „Kommentar“. Das bedeutet, Alexander gibt dort keine Fakten wieder. Sondern seine Meinung. So wie auch ich hier.
Das ist in der Kategorien-Zeile ablesbar und zusätzlich noch einmal über der Überschrift als „Meinung“ erkennbar.

Der Beitrag

Der Beitrag selber ist hinter einer Paywall versteckt.
Die Welt finanziert sich zu weiten Teilen auch aus Abonnements. Rein handwerklich hat sie also ein Interesse daran, möglichst sensationelle Überschriften zu wählen. Um Leser zu verführen, zumindest ein Test-Abo abzuschließen. Das nennt man „Fuß in der Tür Technik“: Wenige springen nach einem Test-Abo wieder ab oder kündigen. Nach einem Jahr wundern sie sich über die Rechnung.
Das hat also gar nichts mit der Äußerung des jeweiligen Autors zu tun. Es sind handwerkliche Mechaniken, wie solche Medien gemacht werden.

Redaktionell passiert das ineinandergreifend. Die Redaktion beschließt, was sie hinter eine Paywall gesteckt wird. Wird etwas hinter eine Paywall gesteckt, können die Überschriften noch etwas dramatisiert werden. Ist der Inhalt dramatisch genug, kommt es eh hinter die Abo-Schranke.
Da Alexander aber stellvertretender Chefredakteur ist, wird er das sicher von vorn herein einkalkuliert haben. Er könnte sich gedacht habe: Jetzt haue ich mal was raus, was eine dramatische Schlagzeile ergibt. Dann kann das hinter eine Paywall und wir können vielleicht mehr Kohle machen.

Es ist zu einem immer wiederkehrenden Merksatz geworden: Die primäre Aufgabe solcher Medien ist nicht zu informieren, sondern Geld zu verdienen.
Leider war diese Erkenntnis nie sehr verbreitet. Und in Zeiten von Online Zeitungen, die man zum Teil kostenlos lesen kann, ist es wohl gänzlich aus dem Bewusstsein verschwunden.

Die Überschrift

Überschriften sind meist sehr durchdacht formuliert. Kurz und knapp, aber so, dass sie psychologisch etwas auslösen. Vielen ist vielleicht nicht bewusst, wie durchdacht sie sind.

In diesem Fall lautet die Überschrift: „Die Frage steht nun im Raum: Hat Putin Scholz einen Atomkrieg angedroht?

Fragen in Überschriften sind immer gut. Da man ja nur eine Frage stellt und keine Aussage trifft, können sie nicht widerlegt werden. Man kann den größten Mumpitz reinschreiben.
Also drängt sich die Frage auf, in wessen Raum diese Frage nun steht? Wer diskutiert darüber? Wer hat das überhaupt erwähnt? Vermutlich ist es doch eher so, dass der Autor selber durch seinen Beitrag die Frage in den Raum stellt. Die war vorher gar nicht da. Ein Kaninchen aus dem Hut des Zauberkünstlers auf dem Kindergeburtstag.

Der Begriff „Atomkrieg“ geht natürlich immer wie geschnitten Brot. Das macht Angst. Und der Leser geht ja zumeist fälschlich davon aus, dass der Autor mehr weiß, als er selber. Also will er mehr erfahren. (Und ein Test-Abo abschließen.)

„Jetzt also „taktische Atomwaffen“. Das ist die neueste Begründung, warum Deutschland keine schweren Waffen an die Ukraine liefern sollte. In die Debatte gebracht hat es Sigmar Gabriel am Mittwochmorgen: Wenn die Bundesrepublik den Angegriffenen Panzer liefere, könne Wladimir Putin dies zum Anlass nehmen, Nuklearwaffen einzusetzen.“

Robin Alexander, Welt, 21.04.2022

In dem sichtbaren ersten Absatz wird unterstellt, Sigmar hätte das so gesagt. Schnell prüfen lässt sich das nicht. Da der eine neue Beschäftigung gefunden hat, als Ex-Vizekanzler und Beisteher Scholzes durch Talkshows zu tingeln. Man müsste also suchen, wo er Mittwochmorgen war und was er da gesagt hat. Auf Twitter war es nicht, Talkshows finden abends statt.

Aber gehen wir ökonomisch davon aus, er hat das so gesagt. Die Feststellung ist ziemlich unlogisch. Denn warum sollte Putin ausgerechnet bei deutschen Panzern eskalieren, während die USA inzwischen Milliardenhilfen in die Ukraine pumpen?

Zudem wird hier ein rhetorisch schöner Dreher deutlich.
Liest man die Überschrift, muss man davon ausgehen, dass Putin Scholz mit einem atomaren Angriff auf Deutschland gedroht habe. Was wie gesagt absurd ist. Erst im Kontext wird klarer: Es scheint um die Befürchtung zu gehen, dass Putin nukleare Waffen in der Ukraine einsetzt. Und damit laut Alexanders Mutmaßung Scholz gedroht haben könnte. Könnte. Konjunktiv. Könnte, hätte, würde… Und wenn die Welt voll Groschen wäre, wäre sie eine Parkuhr.

Was ganz nebenbei ziemlich irre wäre. Denn niemand wird gerne ein Gebiet verstrahlen, dass er nachher besetzen will. Über die Vorstellung des irrationalen, irren Putin wird noch zu sprechen sein. Sie ist eher eine Erklärungskrücke, weil viele die rationalen, stringenten und vorhersagbaren Motive nicht verstehen. Die aber spätestens seit 2008 deutlich erkennbar waren. Man hat sie nur ignoriert.

Unterm Strich

Also was ist unterm Strich wirklich passiert?

Der ehemalige Vize-Kanzler, der seit einigen Tagen seine mediale Wiederauferstehung feiert, äußert scheinbar irgendwo, dass Putin deutsche Waffenlieferungen zum Anlass nehmen könnte, in der Ukraine nukleare Waffen einzusetzen.
Was offenbar so beiläufig geäußert wurde, dass kein anderes großes Medium darüber berichtet hat.

Die bürgerlich-populistische Welt, die pseudo-seriöse Ausgabe der Bild, krittelt an der linksliberalen Regierung rum, wo sie nur kann.
Der stellvertretende Chefredakteur Robin Alexander kommt auf die Idee, dazu einen Kommentar zu schreiben. Denn damit kann er die angebliche Zögerlichkeit des Bundeskanzlers weiter anprangern. Obwohl dieser gar nicht zögerlich ist. Er hat klare Aussagen abgegeben, die offenbar mit Frankreich, den USA und Polen abgestimmt wurden. Diese Aussagen passen den Populisten nur einfach nicht.

Also haut der Robin, der alte Rochen, etwas in die Tasten. Vielleicht meint er das gar nicht selber, sondern meint einfach mal das, von dem er glaubt, dass andere das hören wollen. Alle „Talkshows“ von WeltTV und BildTV sind auf diesem Prinzip aufgebaut. Da sind sogar die Moderatoren einer Meinung mit den Gästen.
Die Redaktion, zu der er selber gehört, beschließt, diese eher unwichtige Meinungsäußerung hinter einer Paywall zu verbergen.
Um einen großen Anreiz für Leser zu schaffen, alles lesen zu wollen, wird eine möglichst dramatische Überschrift gewählt. Es wird so getan, als stünde eine Frage politisch im Raum, die eigentlich überhaupt erst der Redakteur in den Raum stellt. Die in anderen Medien keine große Rolle gespielt hat.

Und als extra Kick wird nicht klar formuliert, dass wohl eher ein Einsatz von nuklearen Waffen in der Ukraine gemeint ist. Der wenig Sinn ergeben würde. Es wird „Atomkrieg“ reingeschmissen. Worunter jeder erst einmal einen Atomkrieg zwischen Russland und der NATO versteht.

Ein Leser bekommt das am Rande mit. Er kann den Artikel nicht lesen. Liest also nur die Überschrift. Und versteht sie so, wie es auch beabsichtigt war: Putin hat Scholz mit einem Atomkrieg gegen Deutschland gedroht. Das ist das, was hängen bleibt.

Dahinter steht aber tatsächlich nichts als heiße Luft.
Man muss den Artikel dafür gar nicht gelesen haben.

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