Leserfrage: Hat die NATO die Friedensverhandlungen blockiert?

Und hat der ehemalige israelische Premier das wirklich so gesagt?

Was hat er wirklich gesagt?

Doch was hat Bennett denn nun wirklich in dem Video gesagt?

In der vergleichsweisen kurzen Passage, in der es um den Krieg geht, erklärt er zunächst, dass Israel sehr eigene Interessen hat.

Weiter erklärt Bennett in seiner sehr ausgewogenen Darstellung, dass er telefonisch versucht habe, zwischen den USA und Putin zu vermitteln. Nachdem Selenskyj ihn gebeten hatte, Kontakt zu Putin aufzunehmen.
Zu der Zeit habe er sich auch mit Scholz in Jerusalem getroffen. Der war überzeugt, eine Feuerpause erreichen zu können. Danach habe es mehrere Telefonate zwischen Putin und Selenskyj gegeben.
Zu dem Zeitpunkt ging es nicht um „Frieden“, sondern um eine Feuerpause, um weiter verhandeln zu können.

Er betont, dass alles was er getan habe mit Biden, Johnson, Macron, Scholz und Selenskyj abgestimmt gewesen sei. Putin habe auf der „Entnazifizierung“ bestanden, was schlicht bedeutet habe, Selenskyj zu entmachten. Dabei habe er versprochen, Selenskyj nicht zu töten.
Daher die Schlagzeile in fast allen Medien.

Weiter habe Putin nicht mehr auf die völlige Entwaffnung der Ukraine bestanden. Später sei Selenskyj davon abgewichen, der NATO beitreten zu wollen. Und er habe die von ihm geforderten Sicherheitsgarantien in Frage gestellt.
Diese gegenseitigen Zugeständnisse finden sich nicht nur in den Medien wieder, sondern auch in den Istanbuler Vorverhandlungen.

Nach dem so genannten Massaker von Butcha habe Bennet zu sich selber gesagt „Das war’s“. Er habe einer Einigung höchstens eine 50/50 Chance eingeräumt.
Mit diesem Stand sei er von Moskau nach Berlin geflogen und habe auch Frankreich, Großbritannien und die USA informiert.

Und dann kommt die Passage, welche die russische Propaganda und die wenigen Zeitungen nun ausschlachten.
Bennett erklärt, er sei nur ein Mediator gewesen. Er habe nicht weiter um Details verhandelt, da es nicht um ein israelisches Interesse ging.
Der Westen habe dann eine striktere Strategie gegenüber Putin bevorzugt. Was Bennett selber als „legitimes Interesse“ bezeichnet.

Der Moderator fragt daraufhin, ob der Westen blockiert habe. Was genau, geht aus den englischen Untertiteln nicht hervor. Worauf Bennett antwortet: „Grundsätzlich ja. Sie haben es geblockt.“

Er habe das für falsch gehalten. Aber sagen könne er es auch nicht, erst die Zeit würde es zeigen.
Weiter sagt er, dass die Reaktion auch verständlich sei. Da sie eine Symbolwirkung auf China und die Taiwan-Frage haben könnte.
Er spricht noch mehrere Minuten darüber, die aber ebenfalls sehr ausgeglichen sind und fern ab von irgendwelchen Schuldzuweisungen.

Das Nachspiel

Nachdem das Video online ging, veröffentlichte das staatliche russische Nachrichtenprotal Sputnik diese Aussage als Beweis, dass „der Westen“ die Bemühungen für ein Ende der „Ukraine-Krise“ beendet hätte. Auf Social Media wurde das Thema dann von russlandfreundlichen Kommentatoren aufgegriffen.

Bis jetzt 19 Mio mal gesehen und mit mehreren
Hinweisen versehen: Der Tweet

Ivan Katchanovski ist ein ukrainisch-kanadischer Geschichtsprofessor, der sich bereits während der ukrainischen Revolution mit prorussischen False Flag Äußerungen hervorgetan hat und auch gerne mal Beiträge des rechtsextremen Verschwörungsmystikers Tucker Carlson von Fox News teilt. Und der twitterte daraufhin, damit sei eine Bombe geplatzt: Westliche Führer hätten ein „Friedensabkommen“ blockiert.
Das wiederum wurde dann von Elon Musk mit „??“ kommentiert. Und damit ging es viral und das Narrativ war gefestigt.

Gestern veröffentlichet der Insider (vormals Business Insider) ebenfalls einen Beitrag zu dem Thema.
Darin wird darauf hingewiesen, dass die englischen Untertitel auf YouTube falsch sind. Die entsprechende hebräische Vokabel sei mit „blockiert“ falsch übersetzte. „Gestoppt“ sei richtiger gewesen. Also Frankreich, UK, USA und Deutschland hätten diese diplomatischen Bemühungen um einen Waffenstillstand „gestoppt“. Nicht die Gespräche zwischen der Ukraine und Russland „blockiert“.

Natürlich kann man das für eine Ausrede halten. Doch der Insider ist nicht für schlampige Recherche bekannt. Co-Autorin des Artikels ist Talia Lakritz, eine orthodoxe Jüdin, die zuvor für die The New York Jewish Week gearbeitet hat. Man darf also davon ausgehen, dass sie Hebräisch spricht.

Fassen wir zusammen

  • Der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett gibt ein fünfstündiges Interview, in dem er unter anderem von seinen Vermittlungsversuchen zwischen der Ukraine und Russland erzählt.
  • Die Bitte für diese Vermittlung ging von dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj aus.
  • Es hat keine Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland gegeben. Sondern lediglich Vermittlungsversuche, in die auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA eingebunden waren. Die meisten Gespräche fanden telefonisch statt, meist nicht einmal mit den jeweiligen Präsidenten.
  • In den Vorgesprächen ging es nicht um eine Beendigung des Krieges, sondern um eine Feuerpause. Es hätten also erst Gespräche um eine Feuerpause zwischen der Ukraine und Russland stattfinden müssen, wonach Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges hätten folgen müssen. Davon war man weit entfernt.
  • Auf die Frage, ob die westlichen Staaten „es“ „blockiert“ hätten, antwortet er „Grundsätzlich ja.“ Betont jedoch minutenlang verständig, dass er nicht sagen kann, ob das eine gute Strategie war.
  • Der staatliche russische Nachrichtensender Sputnik greift diese Äußerung auf als Beweis, dass „der Westen“ bzw. „die NATO“ Bemühungen zur Beilegung des Konfliktes gestoppt haben.
  • Ein russlandfreundlicher, ukrainisch-kanadischer Professor tweetet, die NATO habe Friedensverhandlungen geblockt. Obwohl Bennett in diesem Zusammenhang ausdrücklich von Großbritannien, Deutschland, Frankreich und den USA gesprochen hat, nicht der NATO. Das wird von Elon Musk mit Fragezeichen kommentiert, wodurch es viral geht. Das Interview mit Bennett selber wurde bisher keine 200.000-mal angesehen.
  • Viele Medien berichten über das Interview, wobei der Aufhänger die Zusage Putins ist, Selenskyj nicht zu töten. Nur sehr wenige rechtspopulistische oder boulevardeske Medien (deutschsprachig scheinbar nur zwei) titeln mit dem Narrativ, „die NATO“ habe „blockiert“. Obwohl die NATO zu keinem Zeitpunkt involviert war.
  • In einem Beitrag des Insiders mit einer orthodoxen Jüdin als Co-Autorin wird drauf hingewiesen, dass das Verb „Blockieren“ falsch aus dem Hebräischen übersetzt ist und es korrekterweise einfach „Stoppen“ heißen müsste.

Wir haben es erneut mit der Verzerrung von Tatsachen zu tun, die vor allem von Rechtspopulisten und der russischen Propaganda erzählt werden.

Durch die Verkürzung und Vereinfachung wird (bewusst) impliziert, Ukraine und Russland hätten verhandelt, und „der Westen“ oder die NATO hätten der Ukraine dann gesagt „Das darfst du nicht.“
Doch das hat so nie stattgefunden. Alleine schon, weil es solche Verhandlungen nie gegeben hat. Es gab diplomatische Bemühungen um eine Feuerpause um überhaupt erstmal Verhandlungen möglich zu machen.

Die Richtigstellung ist gemäß Bullshit-Asymmetrie-Prinzip (Brandolinis Gesetz) fast unmöglich zu widerlegen. Da es entweder fünf Stunden Interview plus Übersetzung oder einen vier DinA4 Seiten langen Beitrag von Ungemeve kostet, das richtig zu stellen. Während bereits neuer Bullshit produziert wird.

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